Es gibt viel, viel Schlimmeres als nicht zerstörte Gemälde

Härdöpfelstock auf Monet zu werfen, ist falsch. Doch rechtfertigt die Aktion angesichts der Klimakrise eine derartig medial aufgeheizte Empörungswelle?

Climate protesters of Last Generation after throwing mashed potatoes at the Claude Monet painting "Les Meules” at Potsdam’s Barberini Museum on Sunday Oct. 24, 2022, to protest fossil fuel extraction. (Last Generation via AP)
Aktivist*innen bespritzen ein Bild von Claude Monet aus der Serie «Les Meules» im Museum Barberini. (Bild: Last Generation via AP)

Van Gogh, Monet, Vermeer. In verschiedenen europäischen Museen leeren Klimaaktivist*innen Tomatensuppe oder Härdöpfelstock auf berühmte Gemälde. Zum Teil kleben sie sich auch an den Bilderrahmen oder der Wand fest. Ihr Ziel: Auf den Klimanotstand aufmerksam machen. «Was fühlen Sie, wenn etwas schönes und unbezahlbares vor Ihren Augen angeblich zerstört wird?», rief einer der Aktivist*innen letzte Woche in einem Museum in Den Haag. «Sind Sie wütend?»

Oh ja, das sind sie. «Dieser ekelhafte Geltungsdrang widert mich an», schreibt eine Person in der Kommentarspalte auf dem NZZ-Instagramkanal. Man solle diese Personen nicht «verniedlichend» Aktivist*innen nennen, es seinen Verrückte, Vandal*innen, Terrorist*innen. Drakonische Strafen brauche es für diese «Respektlosigkeit gegenüber einzigartigen Kunstschätzen». Und die Feuilletons finden Ausdrücke wie «ästhetische Lynchjustiz» (Deutschlandfunk) für den Aktivismus.

Klima
(Bild: Bajour)

Gemälde nehmen keinen Schaden

Ich verstehe, wenn man sich über solche Aktionen ärgert und den Kopf schüttelt. Ich lehne Vandalismus ab und halte den Wert von konstruktiven Debatten hoch.    

Doch der Furor, mit dem sich jetzt Medienschaffende und Politiker*innen von rechts bis links auf die Aktivist*innen stürzen, ist, nun ja: bemerkenswert. Ist der Grad der, ich wage fast schon zu sagen, lustvollen Empörung, verhältnissmässig, angesichts des kleinen Schadens, der angerichtet wurde?

Weil, und das ist der Punkt: Die Gemälde nehmen bei diesen Aktionen keinen Schaden. «Wir hätten diese Aktion niemals gemacht, wenn das Gemälde nicht hinter Glas gewesen wäre», erklärt eine Aktivistin.

Ich würde behaupten: Die Aktion ist doof. Aber es gibt viel, viel schlimmeres, als nicht zerstörte Gemälde. Deswegen muss man nicht gleich den Weltuntergang einläuten. Das Gros der Reaktionen war, Entschuldigung, nicht der so genannten Hochkultur wert, die sie zu vertreten meinen.

Erfrischend differenziert sieht es Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler. Die Schweizer Museen wurden bisher verschont vor Angriffen. Und Keller hat auch keine Angst davor, wie er dem SRF sagte. Im Gegenteil – er hat sogar Verständnis: Das Anliegen (die Klimakrise, Anm. d. Red.) sei ein dringendes. Die Fondation Beyeler wolle auch eine Plattform sein, nicht nur für die Kunst, sondern auch fürs Publikum. Da gehöre es auch dazu, «dass die Menschen das Museum nutzen». Schlimm wäre es, wenn die Kunstwerke zu Schaden kämen.

Das Museum als Ausgangspunkt für gesellschaftliche Diskussionen, das ist ein Ansatz, der Hoffnung macht. Denn die Frage, die in diesem Empörungstaumel niemand so richtig stellen will, bleibt offen: Wie lösen wir die Klimakrise? Und welche Art von Klimaaktivismus ist zielführend?

Direktor Sam Keller vor dem Werk Cape Cod Morning (1950) des amerikanischen Kuenstlers Edward Hopper am Tag der Wiedereroeffnung, nach der durch das Coronavirus bedingten Pause, in der Ausstellung Edward Hopper der Fondation Beyeler in Riehen, am Montag, 11. Mai 2020. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Sam Keller, Direktor der Fondation Beyeler, hat keine Angst vor Klimaaktionen, so lange keine Gemälde zu Schaden kommen. (Bild: KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Es gibt keine eindeutige Antwort. Die etablierte Politik lebt von Kompromissen, über die das Volk das letzte Wort hat. Darauf fusst unsere Demokratie. Es könnte sein, dass radikale Aktionen der Kompromissbereitschaft schaden. Doch offenbar haben solche Formen politischen Engagements durchaus auch eine Wirkung. Der Soziologe Philip Balsiger sagte kürzlich in der BaZ: «Entweder man ist nett und setzt auf harmlose Aktionen – aber dann nimmt niemand Notiz. Oder man wird vehement und macht die Leute hässig.» Die Soziologie erforscht dabei auch die These, dass soziale Bewegungen von einem radikalen Flügel profitieren, weil dann moderate Anliegen als akzeptable Alternativen erscheinen.

Noch einmal: Ich verurteile die Gemäldeaktion. Aber angesichts der Weltlage erschüttert sie mich nicht. 

Dieses Wochenende sind wir im T-Shirt an die Herbstmesse, haben den spätesten je gemessenen Sommertag erlebt und uns über das schöne Wetter gefreut. Und das macht mir Angst. Mehr Angst als abwaschbares Essen auf einem kostbaren Gemälde. 

Wir haben ihn alle gespürt, den Hitzesommer. Wir haben sie gesehen, die schlimmsten Waldbrände in Europa diesen Sommer, wir kennen die Bilder von Hungerkatastrophen, Dürren, ausgemergelten Eisbären. Diese Katastrophe betrifft uns alle. Bereits heute. Und zwar megafest. Ich wünschte mir, die Menschen würden die Zeichen der Klimakrise mit derselben Dringlichkeit behandeln wie Härdöpfelstock auf Monet.

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