FCB-Fans widersprechen der Polizei

Ein Video zeigt, wie nach dem Spiel des FC Basel in Luzern eine Person aus nächster Nähe mit Gummischrot beschossen wird. Was ist passiert? Bajour hat mit fünf Fans und Polizei gesprochen.

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FCB-Fans warten nach dem Spiel des FC Basel gegen Luzern darauf, vom Stadiongelände wegzukommen. (Bild: Instagram)

Es hätte ein fröhlicher Abend werden können aus Basler Sicht. Der Auftakt in die Rückrunde war geglückt, der FCB schlug den FC Luzern mit 3 zu 0 Toren und feierte einen relativ ungefährdeten Sieg. Die Freude beim Anhang hielt allerdings nicht lang. Nach dem Spiel kam es vor der Swissporarena zu wüsten Auseinandersetzungen zwischen den Gästefans aus Basel und der Luzerner Polizei.

Was war passiert? 

Aus Sicht der Luzerner Polizei ist klar: Die Fans haben provoziert. Doch die Basler selbst erzählen eine andere Version: Die Polizei habe eskaliert. 

Bajour hat mit fünf Fans gesprochen, die die Ereignisse als Augenzeug*innen verfolgten sowie mit der Polizei und dem FCB. Die Fans wollen teilweise anonym bleiben, doch die Redaktion kennt die Namen. Die Beschreibungen der Fans widersprechen der Darstellung der Kantonspolizei Luzern. Ein Fan, der hier Sandro heissen soll, beschreibt die Ereignisse so:

«Nach dem Spiel verliessen wir den Gästeblock im Südosten des Stadions und wollten am Trainingsgelände entlang Richtung Zihlmattenweg und dann zu den Parkplätzen gehen (gelbe Pfeile). Dort versperrte eine Polizeikette den Weg (rote Linie). Wir sollten in einen der bereitstehenden Shuttlebusse steigen, sagte ein Polizist via Megafon, die würden uns direkt zum Bahnhof bringen. Das Gelände zu Fuss zu verlassen, das sei nicht erlaubt. Aber ich war mit drei Kollegen mit dem Auto angereist, was sollte ich also in diesem Bus? Wir warteten mit einigen anderen Fans vor der Polizeikette darauf, dass man uns zu den Parkplätzen gehen liess.»

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Skizze der Situation nach dem Spiel laut den Schilderungen von Augenzeug*innen: Violett: Wartende Shuttlebusse. Gelbe Pfeile: Weg der FCB-Fans nach dem Spiel. Rot: Polizeisperre. (Bild: Google Maps / Fanberichte)

Die Polizei Luzern hatte im Vorfeld der Partie informiert, sie werde keinen Fanmarsch der FCB Fans vom Bahnhof zum Stadion tolerieren, da es beim letzten Besuch des FC Basel zu Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Fans und der Polizei gekommen war. Die Basler Muttenzerkurve informierte daraufhin auf ihrer Homepage, man werde auf eine geschlossene Anreise nach Luzern mit dem Extrazug verzichten, um einer «Machtdemonstration» der Polizei den Wind aus den Segeln zu nehmen und einer «allfälligen Eskalation am Bahnhof aus dem Weg zu gehen». Titel der Fan-Mitteilung: «Dr Gschiider git noo, dr Esel blibt stoo.»

Warum eskalierte die Situation?

Die Anreise nach Luzern sei dann ohne Zwischenfälle verlaufen, berichten mehrere Fans. Manche kamen mit dem Extrazug, manche mit Zügen des regulären Fahrplans. Dritte mit dem Auto. Doch nach dem Spiel sollten plötzlich alle Fans vor dem Stadion in die Shuttlebusse steigen, egal wie sie angereist waren, berichten sie Bajour. Die unerwartete Blockade durch die Polizei habe unter den Fans für Nervosität gesorgt. Nachdem einige Anhänger*innen der Polizei gesagt hätten, sie seien mit dem Auto da, sei eine eine Ansage durchs Polizei-Mikrofon gefolgt: Wer mit dem Auto hier sei, der solle zum Beweis gut sichtbar den Autoschlüssel in die Luft halten. Diese Personen sollten die Sperre auf der rechten Seite passieren dürfen.

Es folgten «skurrile Szenen», wie mehrere Fans übereinstimmend berichten. Manche FCB-Anhänger*innen hätten nun im Schein der Polizeitaschenlampen ihre Autoschlüssel in die Luft gehalten. Einige von ihnen durften offenbar die Sperre passieren, aber nicht alle. Ein Matchbesucher berichtet gegenüber Bajour: «Ich bin im Auto eines Kollegen zum Spiel angereist. Jetzt standen wir vor der Polizei in Vollmontur und er durfte raus, weil er einen Schlüssel hatte und ich nicht. Wenn fünf Kollegen mit einem Auto fahren, dann haben doch nicht alle fünf einen Schlüssel dabei?»

Dann sei die Sitatuation eskaliert. V.*, der von sich sagt, er fahre an jedes Spiel des FC Basel, schildert es so: «Plötzlich  gab die Polizeikette den Zugang zur Strasse frei und drehte sich wie ein Riegel um 90 Grad nach rechts. Damit schien der Weg nach links zu den Autos, die im Quartier parkiert waren, frei zu werden.» V. sagt, die Stimmung sei gereizt gewesen. Aber es seien keine Fackeln geworfen worden. Die Polizei sagte zunächst etwas anderes, dazu später.

Zirka 40, 50 Fans wollten nun laut Aussagen von V. den Zihlmattweg Richtung Hubelmatt entlanglaufen. «Da wurden wir plötzlich von einer anderen Polizeieinheit von vorne mit Gummischrot beschossen», sagt V.: «Damit haben wir nicht gerechnet. Durcheinander brach aus. Wir rannten zurück zu den Bussen. Die anderen Fans, die bereits in den Bussen auf die Abfahrt warteten, hörten die Schüsse. Sie sahen die zurückrennenden Fans und begannen zu randalieren. Ich sah, wie die Windschutzscheibe von einem der Busse mit Farbe besprüht wurde.»

Ein Wasserwerfer sei herangerollt. Aufgebrachten Fans beschädigten später einige Busse auf dem Weg zum Bahnhof schwer Bajour sprach mit einem Fan, bei dem das Gummischrot mehrere Schrammen am Bein hinterliess. 

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Ein FCB-Anhänger schickt Fotos und sagt, er habe von den Gummischrot-Salven an beiden Beinen mehrere Schrammen davongetragen. (Bild: Leserfoto)
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Yannick (20), der die Szene aus einem der Busse beobachtete, sagt, die Schüsse der Gummischrotgewehre hätten im Innern der Busse Panik ausgelöst. Es wurde geschrien. Draussen sah er, wie ein Mann mit erhobenen Händen auf die Polizeikette zulief. Dann hörte Yannick den Knall einer einzelnen Gummischrotsalve. Der Mann drehte um. Ein Video der Szene fand auf Twitter und Instagram viel Beachtung und sorgte für Kritik: Der Mindestabstand für Gummischrot sei unterboten worden. 

In den Augen der Fans hat an diesem Sonntag vor und während dem Spiel nichts auf eine gewaltsame Eskalation hingedeutet. «Es gab keine Pläne für Stress», sagt V., die Muttenzerkurve habe explizit davon abgeraten. Sandro fügt an: «Dass wir die Eskalation mit dem Werfen von Petarden oder Böllern provoziert haben, wie das die Polizei behauptet hat, das ist schlicht nicht wahr.»

Die Polizei Luzern hatte in einer Medienmitteilung nach dem Spiel kommuniziert, die Einsatzkräfte seien «von Anhänger des FC Basel mit Knallpetarden und pyrotechnischen Gegenständen beworfen» worden. Als Reaktion habe sie Gummischrot eingesetzt. Mehrere Medien übernahmen die Mitteilung und illustrierten die Artikel mit Pyros schwingenden Fans. Die Bilder wurden später ausgetauscht. 

In einer zweiten Polizeimeldung vom Montag, den 31. Januar, war von Fackelwürfen als Auslöser der Eskalation nämlich nichts mehr zu lesen. Nun hiess es, die Fans hätten die Polizeikette durchbrechen wollen, was zum Gummischroteinsatz der Polizei führte.

Urs Wigger, Mediensprecher der Polizei Luzern sagt auf Anfrage, die Polizei habe Kenntnis vom Video mit der Schussabgabe auf den Mann. Man kläre den Sachverhalt ab. Es habe sich bei der fraglichen Szene um einen einzelnen Schuss gehandelt. «Bei der eingesetzten Munition ist eine Sicherheitsdistanz von mindestens fünf Metern einzuhalten», so Wigger. 

Am Montagabend tauchte dann aber noch ein weiteres Video auf, das die zweite Version der Polizei, wonach die Fans die Polizeisperre durchbrachen, ebenfalls in Frage stellt. Was genau zur Eskalation vor dem Stadion führte, bleibt also unklar. 

Der FCB will Vorkommnisse aufarbeiten

«Ich habe den Eindruck, man will mit uns ein ganz bestimmtes Bild provozieren», sagt Sandro und erinnert an das Auswärtsspiel des FC Basel in Bern vom 15. Dezember 2021. Damals hatte die Berner Polizei die Basler Fans mit einem Grossaufgebot erwartet und postwendend zurück nach Basel geschickt. Gästefans waren zu dieser Partie aufgrund der Coronamassnahmen offiziell nicht zugelassen. 

Die Polizei Luzern sagt, sie hat vor dem Spiel rund 80 Personen kontrolliert wobei Sturmhauben, Schlaghandschuhe und Betäubungsmittel sichergestellt wurden. Es sei ausserdem korrekt, dass FCB-Fans nach dem Spiel «teilweise warten mussten», um zu den Autos zu gelangen. Eine Massahme, um «ein Zusammentreffen und mögliche Auseinandersetzungen» mit FCL-Fans zu verhindern. 

Die Medienstelle des FC Basel sagt  auf Anfrage: «Wir haben Kenntnis von den Vorfällen und bedauern, dass es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen ist, die wir kategorisch ablehnen und verurteilen. Der Club ist in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten daran, die Vorkommnisse aufzuarbeiten.»

__________

* Name der Redaktion bekannt.

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Bei Bajour als: Reporter und Redaktor

Hier weil: da habe ich die Freiheit, Neues anzupacken und unkonventionell zu arbeiten, ohne über sieben Hierarchiehürden zu springen. Das ist toll. Gleichzeitig macht diese Freiheit natürlich Angst, und das wiederum schweisst zusammen. Darum bin ich auch hier. Wegen des Teams.

Davor: Bei der TagesWoche und davor lange Jahre an der Uni mit Germanistik & Geschichte.

Kann: Ausschlafen.

Kann nicht: Kommas.

Liebt an Basel: Die Dreirosenbrücke. Das Schaufenster des Computer + Softwareshops an der Feldbergstrasse Ecke Klybeckstrasse. Das St. Johann. Dart spielen in der Nordtangente. Dass Deutschland und Frankreich nebenan sind.

Vermisst in Basel: Unfertigkeit. Alles muss hier immer sofort eingezäunt und befriedet und geputzt werden. Das nervt. Basel hat in vielem eine Fallschirmkultur aus der Hölle. Absichern bis der Gurt spannt. Ich bin schon oft aus Versehen eingeschlafen.

Interessensbindung: Vereinsmitglied beim SC Rauchlachs.

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