Das Firmen-Problem Nr. 1
Was können Politik und Wirtschaft gegen den Arbeits- und Fachkräftemangel tun? An einer Konferenz diskutierten Politiker*innen, Verbände und Unternehmer*innen über Lösungsansätze.
Wenn ein Anlass mit dem nüchternen Titel «Konferenz: Fach- und Arbeitskräftemangel im Kanton Basel-Stadt» den grossen Saal im kHaus füllt, dann weiss man: Das Anliegen bewegt. Eingeladen hatte das Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt Basel-Stadt (WSU). Die grossen innovativen und allgemeingültigen Lösungsansätze waren von dieser Konferenz nicht zu erwarten. Das Ziel sei vielmehr ein gemeinsamer Wissensstand und die verschiedenen Akteur*innen aus der Wirtschaft (Politiker*innen, Verbände, Unternehmer*innen) zusammenzubringen.
Regierungsrat Kaspar Sutter begann seine eröffnende Rede denn auch mit einem Allgemeinplatz: «Wenn ich Unternehmen in Basel-Stadt nach dem grössten Problem frage, ist eigentlich an erster Stelle fast immer das Fehlen der Arbeitskräfte, der Fachkräfte, das Finden der Talents, das die Unternehmen sehr stark beschäftigt.» Sutter weiss, dass alle im Raum das wissen.
Die Ausführungen der verschiedenen Vertreter*innen aus der Wirtschaft zeichnen ein Bild, wie hiesige Unternehmen auf den Mangel an Arbeits- und Fachkräften reagieren – oder wo sie ansetzen könnten. Drei Beispiele:
Bestehende Mitarbeitende pflegen
Adrian Wüthrich von der Gewerkschafts-Dachorganisation Travail Suisse hält fest: Der Wirtschaft geht es gut. Aus Sicht der Arbeitnehmenden ist das grundsätzlich positiv, denn für sie ist Arbeit vorhanden. Obwohl Arbeits- und Fachkräfte jedoch sehr gesucht sind, merken die Leute das nicht im Portemonnaie. Das Lohnniveau sei seit 2014 etwa gleich geblieben. Damit schlägt Wüthrich eine Brücke zur «Kehrseite» des Arbeitskräftemangels: Dem steigenden Druck auf die Arbeitnehmer*innen. Bei einem Mangel haben diejenigen, die bereits in den Betrieben arbeiten, in der Regel zu viel Arbeit. Travail Suisse stellt fest, dass deshalb der Stress für Arbeitnehmer*innen kontinuierlich zunimmt.
Bei der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden haben Unternehmen einen «grossen Hebel», so Wüthrich. Sie können die Arbeitsbedingungen und das Betriebsklima beeinflussen.
Doch was genau wünschen sich die Arbeitnehmer*innen? Eine Befragung des Verbands für Personaldienstleister Swissstaffing habe gezeigt, dass sich 80 Prozent der Erwerbstätigen flexible Arbeit wünschen, sagt Direktorin Myra Fischer-Rosinger. Dazu gehören etwa die eigenständige Einteilung der Arbeitszeit oder Gleitzeit. Möglich sei das aber heute nur in 54 Prozent der Unternehmen. Ein Gap, den es zu überwinden gelte. Oder in den Worten von Fischer-Rosinger: «Die Unternehmen haben Nachholbedarf.»
Neue Arbeits- und Fachkräfte ausbilden und fördern
Nicht nur kleine Handwerksbetriebe, auch grosse Player wie Roche spüren den Fachkräftemangel – besonders im ICT-Bereich (Informations- und Kommunikationstechnik), also zum Beispiel im Ingenieurwesen oder in der Softwareentwicklung. Für diesen Sektor sagen Prognosen schweizweit einen Mangel von über 38’000 Fachkräften bis im Jahr 2030 voraus. Basel spürt das besonders deutlich, denn im Gegensatz zu Zürich oder Lausanne fehlt der Region die «Tech-Dynamik», wie Deborah Strub festhält, die bei der Handelskammer beider Basel die Abteilung «Cluster & Initiativen» leitet. Hinzu kommt, dass gerade für solche Berufe die Anforderungen der Unternehmen zum Teil sehr spezifisch sind – nicht nur Junge, sondern auch stellensuchende Erwachsene haben oft nicht das Rüstzeug dafür.
«Unser System ist im Moment noch darauf ausgelegt, dass wir ein ganzes Leben lang mit einer Lehre durchkommen», sagt dazu Wüthrich von Travail Suisse. Das funktioniere heute nicht mehr. Die Politik sei deshalb gefordert, Lösungen zu suchen und Unternehmen beim Ansatz einer «Lehre für Erwachsene» zu unterstützen. Und die HKBB setzt auf Nachwuchsförderung. Sie unterstützt zum Beispiel die Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) und die Universität Basel beim Aufbau von Studienangeboten im Bereich der Informatik. Aber nicht nur an den Hochschulen, sondern auch bei den Lehrstellen gibt’s noch Potenzial. Strub richtet deshalb gleich einen Appell an die Unternehmer*innen im Raum: «Schaffen Sie ICT-Lehrstellen.»
Arbeitssuchende abholen
Die grosse Mehrheit der Stellensuchenden seien «passiv Suchende», stellt Fabienne Vuillamoz vom Arbeitgebermarketing am Universitätsspital Basel fest. «Das sind also Leute, die willig wären, zu wechseln, aber noch nicht aktiv suchen.» Diese Personen könne man nicht mit einem Stelleninserat überzeugen, sagt sie. «Wir müssen sie subkutan abholen, in dem wir vielleicht in der Freizeit Social-Media-Posts schalten, wo sie sehen, weshalb es cool ist, am Unispital zu arbeiten.» Unternehmen müssten deshalb den Bewerbungsprozess und die «Ansprache möglicher Talente» anpassen.
Das Unispital versucht deshalb, mit Marketingmassnahmen «den Brand zu stärken» – auch im Ausland. Es werde wichtiger für Unternehmen, über Themen wie Arbeitsatmosphäre, Zusammenarbeit und Arbeitgeberleistungen zu sprechen. Vuillamoz erzählt von einem erfolgreichen Beispiel einer Social-Media-Pflegekampagne in der Grenzregion Deutschland und Frankreich, bei der das USB letztes Jahr 40 Personen rekrutierte. Vuillamoz teilt aber auch ein weniger erfolgreiches Beispiel: Nicht nachhaltig seien Kampagnen gewesen, bei denen bekannte Influencer*innen das Unispital bewarben. Das USB will deshalb mehr auf «Corporate Influencer» setzen und ausgewählte Mitarbeitende im Umgang mit Social Media schulen.
Die halbtägige Konferenz im kHaus verdeutlicht es: Pauschale Lösungen gibt es zwar keine, dafür zig verschiedene Ansätze, den Fach- und Arbeitskräftemangel anzugehen. Gerade ältere Arbeitnehmende, Frauen, Migrant*innen oder Geflüchtete treffen im Arbeitsmarkt noch zu häufig auf hohe Hürden. Gemäss verschiedener Prognosen dürften in der Schweiz bis 2040 mehrere Hundertausend Personen auf dem Arbeitsmarkt fehlen. Dass es dafür Lösungen braucht aus der Politik – WSU-Vorsteher Kaspar Sutter spricht zum Beispiel die Vereinbarkeit und die Zuwanderung an –, und von allen anderen Player*innen in der Wirtschaft, liegt auf der Hand. Und es manifestiert sich in solchen Anlässen, die versuchen, die Beteiligten an einen Tisch zu bringen – oder zumindest für ein paar Stunden in einen gemeinsamen Raum.