Übergriffig oder nicht?
Im Baselbiet wird bald über das Energiegesetz abgestimmt. Für den Kanton eine der brisanteren Abstimmungen. Und wie es dabei oft der Fall ist, werden viele Behauptungen gemacht. Wir haben genau hingeschaut.
«Klimaschutz ja, aber nicht so», «Wohnen wird zu teuer», «NEIN, zum übergriffigen Energiegesetz». Im Baselbiet sind die Menschen in den vergangenen Wochen nicht darum herum gekommen, solche Parolen zu lesen. Denn am 9. Juni stimmt das Baselbiet über ein neues Energiegesetz ab und die Gegner*innen machen ordentlich Welle.
Alleine zwischen den BLT-Haltestellen Münchenstein Spengler und Münchenstein Gartenstadt finden sich elf solcher Plakate. Die Befürworter*innen sind auf dieser Strecke mit nur einem Plakat vertreten. Doch was ist an den Argumenten der Gegner*innen eigentlich dran?
Ziele:
Der Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtverbrauch (ohne Mobilität) soll bis 2030 auf mindestens 70 Prozent gesteigert werden.
Bis 2050 soll das Baselbiet eine Netto-Null-Energiebilanz erreichen.
Der Heizwärmebedarf bei bestehenden Bauten soll bis 2050 auf durchschnittlich 40 Kilowattstunde pro Quadratmeter Energiebezugsfläche und Jahr gesenkt werden.
Der Kanton soll so weniger abhängig von ausländischem Strom werden.
Forderungen
Neubauten sollen – soweit technisch möglich und verhältnismässig – künftig einen Teil des von ihnen benötigten Stroms selber mit Fotovoltaikanlagen erzeugen.
Ab 2026 dürfen alte Heizanlagen nur noch durch erneuerbare Anlagen ersetzt werden.
Dies gilt auch für bestehende Bauten beim Ersatz von Kesseln oder beim Ersatz von Brennern, wenn die Heizung bereits älter als 15 Jahre ist.
Wenn die Bestimmung im konkreten Einzelfall zu unverhältnismässiger Härte führt, sieht das Dekret ebenfalls Ausnahmen vor.
Funktionstüchtige Öl- und Gasheizungen müssen im Unterschied zu anderen Kantonen weder vorzeitig noch bis zu einem bestimmten Stichtag ersetzt werden.
Gemeinden dürfen auch Konzessionsverträge mit thermischen Netzen abschliessen.
Fast alle Parteien im Landrat stehen hinter dem Gesetz. Nur SVP sowie Teile der FDP stellen sich dagegen. Unterstützt wird die Opposition unter anderem vom Hauseigentümerverband Baselland.
Behauptung 1: «Klimaschutz ja, aber nicht so»
Bereits 2016 stimmte die Baselbieter Stimmbevölkerung über ein Energiegesetz ab, das nun als Grundlage für das neue Gesetz gilt. Schon damals sollte der kantonale Energieverbrauch gesenkt, Häuser durch erneuerbare Energie geheizt und mehr eigener Strom produziert werden. Der Unterschied zur Situation jetzt: Nach der Auslegung von 2016 sind Privatpersonen nirgends dazu verpflichtet, das auch zu tun. Wer sich am Erreichen der Ziele beteiligt, bekommt zurzeit Fördergelder.
Auf Anfrage sagt SVP-Parteipräsident Peter Riebli: «Das Klimagesetz von 2016 unterstützen wird in der SVP immer noch. Das Gesetz hat uns schweizweit in eine führende Position betreffend CO2-Reduktion gerückt. Diese Entwicklung jetzt forcieren zu wollen, ist eine Fehlentscheidung. Das Gesetz ist also unnötig. Und bei jedem unnötigen Gesetz ist es nötig, dieses abzulehnen.»
Der Baselbieter Regierungsrat und Vorsteher der Bau- und Umweltschutzdirektion Isaac Reber sagt: «Für einen Teil des Landrats schiesst das Gesetz übers Ziel hinaus, andere haben noch mehr Anpassungen gefordert.» Bei der jetzigen Auslegung handle es sich um einen Kompromiss aller Landratspositionen.
Reber sieht es an der Zeit, das Energiegesetz von 2016 zu revidieren und begrüsst das neue Gesetz. Gegen die Argumente der Gegner*innen verweist er auf eine Aussage von Primeo-Chef Cédric Christmann: «Das Baselbieter Energiegesetz enthält überhaupt nichts Revolutionäres.»
Behauptung 2: «Wohnen wird zu teuer!»
Der Hauseigentümerverband Baselland (HEV) sorgt sich um die Kosten, die ein Heizsystemwechsel mit sich bringen könnte. Der HEV schreibt: «Gerade ältere Hauseigentümer wird es besonders hart treffen. Sie können sich eine Umstellung auf ein erneuerbares Heizsystem schlicht nicht leisten.» Laut Aussagend des HEV könne ein solcher Wechsel schnell mehr als 100'000 Franken kosten. Die Gefahr bestehe, dass Hausbesitzer*innen ihre Häuser verkaufen müssen.
Seit 2010 gibt es im Baselbiet das Energiepaket. Aus diesem können Hauseigentümer*innen Fördergelder zugesprochen werden, insofern sie ihr Haus mit erneuerbarer Energie heizen. 2021 verzeichnete der Kanton rund 2000 Fördergesuche und sprach insgesamt 22 Millionen Franken aus. Das sind um die 11'000 Franken pro gestelltes Gesuch.
Ein solches Gesuch hat auch Familie Müller in Muttenz gestellt. Der bz haben sie erzählt, welche Investitionen sie tätigen mussten, um von der Gasheizung auf eine Wärmepumpe umzustellen. Vor Abzug der Förderbeiträge waren das 54'990 Franken.
Behauptung 3: «Übergriffiges Gesetz»
Die Stimmbevölkerung kann zwar über das Energiegesetz abstimmen, darin werden aber nur die Ziele – wie Netto-Null bis 2050 – festgelegt, jedoch nicht, welche neuen Vorgaben im Gesetz gelten. Diese werden in einem separaten Dekret abgehandelt, das unabhängig von der Abstimmung umgesetzt wird. Das kritisieren die Gegner*innen und nennen das Vorgehen «übergriffig».
Reto Müller, Lehrbeauftragter an der Universität Basel, erklärt: «Dekrete werden vom Parlament erlassen und können ähnlich wie Verordnungen Ausführungsbestimmungen zu einem Gesetz enthalten.» Nicht alle Kantone kennen Dekrete, auch der Bund nicht.
Über ein Dekret kann die Bevölkerung nicht abstimmen. Müller sagt: «Wichtig ist, dass es im Dekret einen Bezug zu einer Bestimmung im Gesetz gibt. Das vorliegende Dekret bezieht sich auf Artikel 10 des Energiegesetzes. Dort wird expliziert auf ein ausführendes Dekret verwiesen. Damit hat das Parlament einen grösseren Gestaltungsspielraum.»
Der Hauseigentümerverband (HEV) bezeichnet das Vorgehen als «ein bewusstes Verwirrspiel». Es sei mehr als unschön, dass die Bevölkerung bei wichtigen Entscheiden aussenvor gelassen werde. Weiter schreibt der HEV: «Bei einem Nein zum Energiegesetz ist ein Stehenlassen des Dekrets politisch ein ‹No go› und wäre eine Missachtung des Volkswillens.»
Regierungsrat Isaac Reber stellt sich gegen diese Vorwürfe. Schon beim Energiegesetz 2016 sei klar festgelegt worden, dass Anpassungen am Gesetz via Dekret abgehandelt werden können. «Ausserdem hat der Landrat die Verknüpfung von Energiegesetz 2024 und Dekret ausdrücklich abgelehnt», sagt Reber. Genauso seien im Landrat keine Anträge gestellt worden, die im Dekret behandelten Vorgaben auf Gesetzesstufe zu heben. «Sollte das Stimmvolk das Energiegesetz am 9. Juni 2024 ablehnen, ändert das deshalb nichts an der Inkraftsetzung des Dekrets am 1. Oktober 2024», so Reber.
Behauptung 4: «Steuererhöhung durch Sanierung?»
Obwohl sich diese Aussage nicht auf den Wahlplakaten wiederfinden liess, kritisierten Gegner*innen im Landrat oder in der BaZ, dass allfällige Sanierungen am Haus dazu führen könnten, dass die betroffenen Hauseigentümer*innen in einer höheren Steuerklasse landen. Um auf die geforderten 40 Kilowattstunden pro Quadratmeter zu kommen, reiche ein erneuerbares Heizsystem nicht immer, sagen die Gegner*innen.
In der BaZ berichtete Hauseigentümer Lorenz Waller, wie er das Dach seines Hauses sanieren, die Fenster dreifach verglasen, sowie mehrere Türen einsetzen musste. Solche Sanierungen könnten dazu führen, dass der Eigenmietwert eines Hauses steige, was im Endeffekt dazu führen könne, dass die Hausbesitzer*innen höhere Steuern zahlen müssten.
GLP-Landrat Manuel Ballmer sagt gegenüber der BaZ: «Moderne Wärmepumpen liefern heute Vorlauftemperaturen, wie man sie von Ölheizungen kennt, was eine energetische Sanierung nicht zwingend notwendig macht.» Ebenfalls merkte Ballmer an, im Argument um potenzielle Steuererhöhungen gehe verloren, dass privat getroffene Energiemassnahmen schon heute mit hohen Steuervorteilen entlohnt werden könnten. Wie die bz berichtet, äusserte sich Isaac Reber gegenüber dem Nein-Komitee weniger diplomatisch: «Ich möchte das Komitee aufrufen, von Fiktion abzusehen. Das ist Irreführung der Stimmbevölkerung»
Dass sich die Opposition durchsetzt, hält Politologin Sarah Bütikofer für eher unwahrscheinlich: «In der Regel hält ein parlamentarischer Kompromiss, wenn er über mehrere politische Lager geht, einer Volksabstimmung stand», sagt sie zu Bajour. Diese Aussenseiterrolle erklärt wahrscheinlich die offensive Schiene, die von SVP und HEV gefahren wird.
Zu fest zurücklehnen dürfen sich die Befürworter*innen aber nicht. Laut Bütikofer sei es denkbar, dass die Gegner*innen leichtes Spiel hätten, insofern die Befürworter*innen sie gewähren liessen. Dies, weil die Mobilisierung dann einseitig ausfallen könne. «Im Schlafwagen gewinnt die Befürworterseite diese Abstimmung wohl sicher nicht», so Bütikhofer.