«Ich bin einfach ich»
Nach einem langen Weg und innerer Auseinandersetzung entschloss sich Angela mit 66 Jahren zu einer vollständigen geschlechtsangleichenden Operation. Der Fotograf und Fotojournalist Thomas Rauch hat Angela während einigen Monaten begleitet.
Bereits als Kind spürte ich, dass mein äusseres Geschlecht nicht mit meinem inneren Empfinden übereinstimmte. Im Kindergarten fühlte ich mich zu Damenkleidern hingezogen. Heimlich habe ich damals die Stiefel der Kindergärtnerin angezogen. Es dauerte aber Jahre, bis ich mich entschloss, diesen Wunsch öffentlich zu leben. So wurde aus Hansjürg Angela.
Thomas Rauch ist selbständiger Fotograf und Fotojournalist aus Basel. Er hat sich unter anderem auf Portraitfotografie und Fotoreportagen spezialisiert. Für Bajour hat er verschiedene Menschen porträtiert und mit ihnen über ihr Leben gesprochen.
Ich dachte zunächst an eine weniger invasive Operation. Doch Gespräche mit Ärztinnen und Betroffenen überzeugten mich davon, dass eine vollständige Operation die richtige Entscheidung ist. Keine Kompromisse mehr. Ich will meine Sexualität als Frau leben können. So war der Entscheid gefallen: Ich mache die grosse viereinhalbstündige Operation.
«Ich war im Geiste und im Denken schon immer eine Frau, hatte einfach Pech, dass ich nicht die richtige Hülle erhalten habe.»
Es gab schwierige Momente, vor allem in jungen Jahren, als ich versuchte, meine wahren Gefühle zu verdrängen. Mit 22 heiratete ich – damals noch als Hansjürg. Und ich bemühte mich, ein normales Leben zu führen. Doch immer wieder brach der Wunsch durch, als Frau zu leben.
Meine Ehefrau akzeptierte, dass ich Frauenkleider anzog. Sie stellte aber die Bedingung, dass ich mich in der Öffentlichkeit nicht so zeigte. Zudem sollte ich beim Sex immer der männliche Part sein. Mit diesem Kompromiss konnte ich damals leben. Zum Glück war meine Frau Krankenschwester und hatte oft Nachtschichten. So konnte ich meine Identität teilweise ausleben.
Geboren als Hansjürg wusste Angela aber schon immer, dass sie eine Frau ist. (Bild: Thomas Rauch)
Eher im Verborgenen lebte sie ihre wahre Identität aus. (Bild: Thomas Rauch)
Mit 66 entschied sie sich zu einer vollständigen geschlechtsangleichenden Operation. (Bild: Thomas Rauch)
Im Geiste und im Denken war ich schon immer eine Frau. Nur die Hülle war männlich. Als ich mich mit 49 Jahren gegenüber meiner Mutter outete, zeigte sie viel Verständnis. Sie nahm das Outing herzlich und liebevoll auf. «Bekomme ich jetzt die Tochter, die ich mir immer gewünscht habe?», fragte sie mit einem Lächeln und nahm mich in den Arm.
Heute lebe ich als Frau. Selbstverständlich. Ohne Drama. Ich bin in meinem Umfeld voll integriert und begegne vielen neuen Menschen. Aus diesen Begegnungen sind auch schöne Freundschaften entstanden. Die Gespräche ergeben sich fast von selbst. Ich muss mich nicht mehr erklären. Ich laufe durch die Stadt. Ich laufe überall. Ich bin einfach ich.