Frau oder nicht Frau, das ist hier die Frage

Basel-Stadt bekommt ein neues Gleichstellungsgesetz. Im aktuellen Entwurf ist nun wieder von Frauen und Männern die Rede. Widerstand regt sich dieses Mal vonseiten der queeren Community.

Margrith von Felten und Malcolm Elmiger
Soll das Gleichstellungsgesetz noch von «Frauen und Männern» reden oder nicht? Darüber sind sich Altfeminist*innen wie Margrith von Felten und Vertreter*innen der queeren Community wie Malcolm Elmiger uneins. (Bild: Screenshot Basta / Grüne / Unsplash; Illustration: Bajour)

Die Gleichstellungscommunity in Basel-Stadt hat Grund zur Freude, würde man denken. Seit Jahren stehen kantonale Gleichstellungsbeauftragte schweizweit unter Beschuss – auch in diesem Kanton. Und dennoch stockt die Regierung die Gleichstellungsbeauftragten um eine halbe Stelle auf. 

Dazu arbeitet die Politik ein neues Gesetz aus. So soll der kantonale Gleichstellungsauftrag, der sich aktuell noch auf die Gleichstellung von «Frauen» und «Männern» begrenzt, künftig auch auf lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Menschen (LGBTI) erweitert werden. Basel-Stadt wäre damit der erste Deutschschweizer Kanton, der seinen Gleichstellungsauftrag explizit erweitert. Gefordert wurde eine solche Erweiterung von Nora Bertschi, ehemals grüne Grossrätin und heute die rechte Hand von Beat Jans, dem Vorsteher des Präsidialdepartements.

Margrith von Felten
«Das Ausblenden und Negieren der Frauenrealität in einer nach wie vor geschlechterhierarchischen Gesellschaft führt für Frauen unweigerlich zu einem gleichstellungspolitischen Rückschritt.»

Margrith von Felten, Heilpädagogin, Juristin und ehemalige SP- und Grünen-Nationalrätin

Doch statt sich darüber zu freuen, ist am Rheinknie derzeit ein Streit entbrannt zwischen Frauen, nennen wir sie «Altfeminist*innen», und jüngeren Aktivist*innen aus der queeren Community. Allen voran geht es um Begrifflichkeiten: Soll das Gesetz noch von «Frauen und Männern» reden oder nicht?

Ja, finden die Altfeminist*innen, die sonst eine Verwässerung der Gleichstellungsarbeit befürchten. Nein, findet die queere Community, die Angst hat, dass das Geschlechterverständnis im neuen Entwurf zu eng gefasst wird. 

Der Streit dauert schon länger. Die Vernehmlassung ist bereits vorbei. Der aktuelle Ratschlag der Regierung liegt derzeit bei der Justizkommission. Es ist damit zu rechnen, dass er im Herbst im Grossen Rat behandelt wird. Und trotzdem will die LGBTI-Gemeinschaft heute Montag erneut ein Positionspapier veröffentlichen und so Einfluss auf die Justizkommission nehmen. Auf Initiative von Malcolm Elmiger, Organisator des runden Tisches und Vorstand Grüne Basel-Stadt, haben 9 Interessensvereine Forderungen ausgearbeitet. Das Vorgehen ist aus demokratiepolitischer Sicht aussergewöhnlich, zumal alle Gruppierungen während der Vernehmlassung bereits die Möglichkeit hatten, sich zur Vorlage zu äussern. 

Querschnittsaufgaben wahrnehmen

Aber nun gut: Konkret geht es der queeren Community um den Zweckartikel. Sie will identitätspolitische Bezeichnungen – wie eben Frau oder Mann – aus dem Gleichstellungsgesetz gestrichen haben. Erwähnt werden soll lediglich, dass Diskriminierung des Geschlechts (ohne weitere Zuschreibungen) oder der sexuellen Orientierung bekämpft werden soll. 

Ursprünglich hatte auch die Regierung das genau so geplant. In der ersten Fassung des Gesetzes stand nichts drin von Frauen und Männern. 

Doch deswegen gingen Altfeminist*innen auf die Barrikaden. Die Anwältin Susanne Bertschi und die Heilpädagogin, Juristin und ehemalige SP- und Grünen-Nationalrätin Margrith von Felten kritisierten in der BaZ, die Regierung tue so «als ob die Gleichstellung der Frauen bereits erledigt worden ist». Ihre Angst ist: Wenn es keine Frauen mehr gibt, kann man auch nicht erkennen, wie sie beispielsweise bei Lohngleichheit oder Beförderungen diskriminiert werden. 

«Das Ausblenden und Negieren der Frauenrealität in einer nach wie vor geschlechterhierarchischen Gesellschaft führt für Frauen unweigerlich zu einem gleichstellungspolitischen Rückschritt.» Ihre Bedenken meldeten die Kämpferinnen für die Gleichstellung auch via Vernehmlassung an. Ergo hat die Regierung die Frauen und Männer wieder in das Gleichstellungsgesetz geschrieben. 

Malcolm Elmiger
«Mit einer abschliessenden Aufzählung der Geschlechter wird der fortschrittliche Charakter des Gesetzes konterkariert.»

Malcom Elmiger, Organisator des runden Tisches der LGBTI-Gemeinschaft und Vorstand Grüne Basel-Stadt.

Das passt nun aber Malcolm Elmiger nicht. Er sagt: «Mit einer abschliessenden Aufzählung der Geschlechter wird der fortschrittliche Charakter des Gesetzes konterkariert.» Ein Gesetz müsse flexibel bleiben und auf die Entwicklung neuer Identitäten reagieren können. 

Ausserdem fordert die Community, dass alle Departemente verpflichtet werden, ihre Querschnittsaufgaben wahrzunehmen. Auch ein Justizdepartement müsse beispielsweise bei der Polizei Sensibilisierungsarbeit leisten, findet Elmiger. Und er fragt: «Wie reagiert die Polizei beispielsweise auf Gewalt in einer Beziehung zwischen zwei Frauen oder zwei Männern?» Auch diese Probleme müsse man ernst nehmen. 

«Die Frauenrechtler*innen versuchen bereits erkämpfte Gesetze durchzusetzen, den LGBTIQ* hingegen geht es vor allem um eine gesellschaftliche Bewusstseins-Veränderung.»

Erika Paneth, Co-Präsidentin Frauenrechte beider Basel.

Und schliesslich, so die dritte Forderung im Positionspapier, sollten die Bedürfnisse der Community von der zuständigen Behörde gehört werden. Die zuständige Behörde: Damit wären wir bei einem weiteren innerfeministischen Streitpunkt. 

So hat die Organisation Frauenrechte beider Basel (frbb) vergangenen Montag einigermassen aufgebracht einen Newsletter verschickt. Dieser Verein setzt sich seit über hundert Jahren für Frauenanliegen an. Nun sorgen sich seine Mitglieder um die «Abteilung Gleichstellung für Frauen und Männer». 

Die Abteilung werde in ihrer Wichtigkeit und Kompetenz beschnitten, heisst es: Denn das Präsidialdepartement möchte die Abteilung «Gleichstellung von Frauen und Männern» sowie die Fachstellen «Diversität und Integration» und «Rechte von Menschen mit Behinderungen» zu einer neuen Abteilung «Gleichstellung und Diversität» zusammenfassen. Wird das neue Gleichstellungsgesetz angenommen, soll sich die neue Fachstelle Gleichstellung auch (noch) um die Anliegen der queeren Community kümmern – dafür vorgesehen ist für zwei Jahre allerdings ein zusätzliches Pensum von 80 Prozent, davon 50 unbefristet.

Das Präsidialdepartement erhofft sich von der Zusammenlegung, dass Synergien besser genutzt und übergreifende Themen wie Mehrfachdiskriminierung fokussiert bearbeitet werden können. Auf Anfrage sagt Pressesprecherin Melanie Imhof: «Zukünftig soll das Zusammenspiel von Geschlecht mit weiteren sozialen Ungleichheitskategorien berücksichtig werden.» Durch die Bündelung würden die Themen Gleichstellung, Chancengleichheit, Diversität und Antidiskriminierung gestärkt.

Alessandra Widmer Lesbenorganisation Schweizt LOS
«Bei den jetzigen Diskussionen geht es um Kleinigkeiten, wir dürfen das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren.»

Alessandra Widmer, CO-Geschäftsleiterin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS)

Doch die Feminist*innen von Frauenrechte beider Basel «wehren sich mit allen Mitteln» gegen diese Zusammenlegung. Weil sie politischen Druck erzeugen wollen, organisieren sie derzeit das Bündnis «Gleichstellung - jetzt!». Dieses wird überparteilich von Personen mitgetragen, die sich ebenfalls gegen die vorliegende Fassung des Gleichstellungsgesetz des Regierungsrates wehren.

Die Altfeminist*innen befürchten, wie sie schreiben, dass die Gleichstellung von Frauen und Männern als «Nebenthema für nicht-angepasste Lebensformen» betrachtet werde. Mit dieser doch provokativen Aussage möchten die Frauenrechtler*innen die queere Community jedoch nicht angreifen, wie sie betonen: Es gehe keinesfalls gegen die Bedürfnisse von LGBTI und deren Notwendigkeit, in der Gesellschaft akzeptiert zu werden und dafür zu kämpfen. Doch dafür seien, trotz Überschneidungen, auch andere Mittel notwendig.

Auf Anfrage erklärt Co-Präsidentin Erika Paneth, dass sie durch die Vermischung der Themen eine Schwächung des politischen Kampfes für die Gleichstellung der Frauen befürchte: «Dadurch wird dem Tiger der Zahn gezogen.» Denn: «Die Formen der Diskriminierung überschneiden sich in Teilen zwar, haben aber auch andere Herausforderungen.» Die Frauenrechtler*innen versuchten bereits erkämpfte Gesetze durchzusetzen, den LGBTI hingegen gehe es ihrer Meinung nach vor allem um eine gesellschaftliche Bewusstseins-Veränderung. Angesichts der politischen Abstimmungserfolge wie der Ehe für alle kann man dies jedoch hinterfragen.

Mehr als ein Generationenkonflikt

Eine, die den Streit zwischen queeren Bewegungen und Altfeminist*innen mit Sorge betrachtet, ist Alessandra Widmer von der Lesbenorganisation Schweiz (LOS). Sie sagt: «Bei den jetzigen Diskussionen geht es um Kleinigkeiten, wir dürfen das grosse Ganze nicht aus den Augen verlieren.» Sie versteht die Ängste auf beiden Seiten. So unterstützt Widmer beispielsweise das aktuelle Gleichstellungsgesetz, das die Kategorien Mann und Frau (unter anderen) explizit nennt. Gleichzeitig gibt Widmer aber auch zu bedenken: «Es braucht Gleichstellungsarbeit, die nicht nur zwischen Frauen und Männern unterscheidet, sondern die alle Geschlechter und sexuellen Orientierungen und auch weitere Diskriminierungen miteinschliesst.»

Auf jeden Fall möchte Widmer verhindern, dass mit der nun losgetretenen Debatte der Eindruck entstehe, frbb spreche für alle Feminist*innen. «Die Organisation ist nicht überzubewerten.» Gleichstellungspolitik habe sich über die Jahre entwickelt und die aktuelle Diskussion sei mehr als ein Generationenkonflikt: «Die Anliegen der queeren Community als Nischenthemen zu bezeichnen, geht an der Realität vorbei: ein so gesellschaftlich relevantes Anliegen kann nicht als Nebengleis formuliert werden.» Damit verkenne Frauenrechte beider Basel die Relevanz von LGBTI-Bewegungen. Die Verbissenheit, das Festhalten aus altfeministischer Ecke verunmögliche eine solidarische Gesellschaft: «Es war schon immer auch ein Miteinander, und es sollte mindestens ein Nebeneinander sein», sagt Widmer und wünscht sich: «Die Altfeministi*innen könnten auch von der queeren Community lernen.» 

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Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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