Ukraine-Konflikt: Frenkendorf verliert die Hoffnung nicht
Der Frenkendorfer Funpark wurde innert Tagen zur Drehscheibe der Hoffnung. Ein Bericht von der momentan womöglich grössten stattfindenden Schweizer Hilfsaktion für die Ukraine.
Dort, wo im Swiss MEGA Park eigentlich Badminton gespielt wird, stapeln sich Berge von Hilfsmaterial. Helfer*innen ordnen, sammeln und verfrachten Spenden für die Flüchtlinge aus der Ukraine. Tonnenweise. Sie sollen in den nächsten Tagen mit verschiedenen Konvois an die Brennpunkte des Ukrainekonflikts gefahren werden.
Es ist ein beeindruckender Anblick. Man kommt sich vor, wie auf einer Art riesigen Deponie. Durchsichtige Kleidersäcke türmen sich bis fast unter die Hallendecke. Kisten werden haushoch gestapelt, Boxen herumgetragen. Kinder packen gemeinsam mit Senior*innen an. Es herrscht ruhige Hektik und irgendwie eine undurchschaubare Ordnung. Vier Badmintonfelder werden in Anspruch genommen, das sind ca. 350 Quadratmeter. Zählt man die zwei Squashfelder im hinteren Teil der Halle und den grossen Vorplatz – die auch genutzt werden dazu, kann man sich vorstellen wie viel Platz, aber vor allem Material inzwischen vorhanden ist.
Spenden: Spenden nimmt die Organsiatorin Basel School of Business nach wie vor an – entweder beim Bahnhof SBB für kleine Spenden oder direkt in Frenkendorf für grössere Sachen. Die genauen Orte findest du hier.
➡️ Besonders willkommene Spenden sind: Medikamente, Hygieneartikel, Trocken- und Babynahrung
Ausserdem braucht es Helfer*innen. Du kannst dafür einfach an die Bächliackerstrasse 8 in Frenkendorf gehen.
Zählen kann man die Helfer*innen im Gewusel kaum. Wie Ameisen bahnen sie sich ihren Weg kreuz und quer durch die Haufen – und doch mit klarem Ziel. Wer zum ersten Mal in die Halle kommt, hält erstmal kurz inne – angesichts der unglaublichen Betriebsamkeit und der schieren Grösse des Hilfsspektakels in der Funsporthalle. Die «grösste aktuell laufende Schweizer Hilfsaktion für die Ukraine-Opfer», wie später Olesia Lloyd-Mayer, die Vertreterin der ukrainischen Botschaft, den versammelten Medien berichten wird.
Das Team, welches hinter der Aktion steckt, besteht aus spontan zusammengefunden Helfer*innen. Für die Gründung einer Organisation blieb bis jetzt keine Zeit. Es wird improvisiert. Wie auch für diese Pressekonferenz, die an einem langen Tisch auf einem der Fussballfelder ihren Lauf nimmt.
Alexandra Somlo, Geschäftsführerin der Funparks, Samuel Eichenberger, Student der Basel School of Business, Olesia Lloyd-Mayer, die Delegierte der Ukrainischen Botschaft und die Ärztin «Vitalina» stellen das aus dem Nichts entstandene Projekt vor. Für langes Kennenlernen war keine Zeit. Alleine die Not verbindet. Und vielleicht nur für einen kurzen Moment.
Vitalina, die seit kurzem aus Kiew geflüchtet ist, wird bereits heute mit dem Konvoi wieder zurück in die Ukraine reisen um dort weiter Menschen zu behandeln.
Die Sache ins Rollen bringen
«Wir waren etwas überrascht in Bern, als plötzlich Laster vor der Botschaft vorfuhren mit Hilfsgütern», eröffnet die Leiterin des Koordinationszentrums der Botschaft Lloyd-Mayer die Pressekonferenz. Sie sei für diese Selbstinitiative der Schweizer*innen sehr dankbar, besonders «Alexandra und Samuel». Deshalb sei sie heute hier, sagt Lloyd-Mayer, bevor sie das Wort weiter gibt.
«Als mich Samuel Eichenberger, ein Freund meiner Tochter, kontaktierte und fragte, ob ich dabei sei, musste ich nicht lange überlegen», sagt Alexandra Somlo, die Geschäftsführerin des Areals, die unter anderem Kletter-, Paddel- und Fussballhallen betreibt. Wenn sie etwas anfasse, dann richtig.
So brachten sie es gemeinsam ins Rollen. «Zuerst über WhatsApp-Chats aus meinem Quartier, danach über Posts auf Instagram.» Die Beiträge verbreiteten sich rasend schnell, und plötzlich standen Menschen mit Spenden und grossem Willen zum Helfen auf der Matte. In einem zweiten Schritt habe sie ihre Kunden und ihr Netzwerk angeschrieben. Die Zahl der Hilfsbereiten wuchs explosionsartig.
Mit der Zunahme von Spenden, musste ein Organisationsplan her. «Ohne Struktur funktioniert es nicht», erklärt die studierte Juristin, die sich eine geordnete Arbeitsweise gewohnt ist. Kurzerhand wurden mit Samuel Eichenberger und der Business School ein Administrationsbüro geschaffen.
Eichenberger und sein Team bearbeiten die Anfragen, sichern die Kommunikation, checken die Transportmöglichkeiten und Zielorte gemeinsam mit der Botschaft: «Stand heute verlassen Freitagabend sieben 3,5-Tönner und ein grosser LKW das Gelände.»
Ab heute Freitag stellt die Botschaft weitere, kleine Laster zur Verfügung, die direkt in die Ukraine fahren sollen. Und «mittlerweile haben wir sogar Speditionsfirmen, die von sich aus LKW-Fahrer zur Verfügung stellen», erklärt Tätschmeisterin Alexandra Somlo.
Statt Ferien, von 06:00-02:00 Uhr in der Halle
Während Alexandra Somlo sich um das Drumherum kümmert, koordiniert Samuel Eichenberger die Fuhren und Spenden, die ankommen. Und die Helferinnen? «Die Freiwilligen wissen mittlerweile selbst, wie es läuft.», sagt der 22-jährige Student. Da es einen grossen Durchlauf von Helfer*innen gäbe, habe er den Überblick verloren, wer hier gerade anpackt. «Aber das ist nicht schlimm, weil alle denken mit.» Die Devise lautet: «Einfach mal machen und dann schauen – 100 Prozent DIY.»
Doch ganz unkoordiniert ist es nicht. Eichenberger erläutert den Gameplan: «Die Räumlichkeiten wurden in Abteilungen, wie zum Beispiel Sortierung, Abpackstation und Bereitstellung von Gütern für den Transport eingeteilt.» Dort schmeissen und koordinieren selbsternannte Verantwortliche die jeweiligen Abteilungen.
«Kommt eine neue Person dazu, wird sie durchgeleitet bis sie an dem Ort ist, wo es Unterstützung braucht. Braucht jemand eine Pause, wird untereinander rotiert», erklärt der Business-Student. So wird das Wissen und die Aufgabe von Helfer*in zu Helfer*in laufend weiter gegeben. «Damit werden alle denkende Köpfe und helfende Hände zu einem gut funktionierenden Getriebe vereint.
Und plötzlich muss er weg
Draussen steht der erste, fertig beladene Container. Die Spedition ist spät dran. Jetzt blockiert dieser mehrere Tonnen schwere Koloss die Zufahrt. Daneben stapeln sich die Kisten von weiteren Lieferungen. Die Helfer*innen haben kaum noch Platz, weiter zu sortieren. Die Sachen müssen noch verpackt und beschriftet werden, damit es reicht für den ersten Konvoi, der am Freitagnachmittag losfährt.
Wir werden unterbrochen von einem Fahrer, der Samuel Eichenberger darauf aufmerksam macht, dass gleich eine grosse Lieferung medizinischer Güter geliefert wird. Es braucht jetzt dringend einen Gabelstapler. Eichenberger telefoniert sich durch. Zwischen dem Eintippen der Telefonnummern und weiteren Fragen, die von Helfer*innen gestellt werden, nimmt er sich noch kurz Zeit, sich beim Reporter zu entschuldigen: «So läufts», und verschwindet hinter all den Hilfsgütern, die morgen mit ihm Richtung Osteuropa gehen.
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