Zum Abschluss der grosse Knall

In der Kaserne Basel hat am Dienstag die queere Community mit sogenannten Altfeminist*innen über das kantonale Gleichstellungsgesetz diskutiert. Ein Nazivergleich zum Ende der Veranstaltung sorgte für Kopfschütteln.

Podium
Im Bild von links nach rechts: Billy Ostertag (habs), Elisabeth Joller (Anwältin), Alessandra Widmer (Lesbenorganisation LOS), Martina Meier (Biologin und Mit-Initiantin von Justitia ruft), Johannes Sieber (GLP-Grossrat) und Moderatorin Martina Rutschmann. (Bild: Valerie Zaslawski)

Es war eine Stimmung wie an einem Festival, friedlich und harmonisch, bis sie am Ende ins komplette Gegenteil kippte – und die Anwesenden das Happening kopfschüttelnd und schimpfend verliessen.

Aber der Reihe nach: In der Abendsonne traf sich am gestrigen Dienstag die queere Community auf dem Kasernenareal in Basel, die Regenbogenfahne wehte im Wind, Prosecco wurde grosszügig ausgeschenkt, Zigaretten gequalmt. Im Rossstall lud die habs queer basel, die sich für die Anliegen der queeren Community einsetzt, zu einer Podiumsdiskussion zum Thema kantonales Gleichstellungsgesetz. Denn: Die Fronten sind verhärtet. 

So soll der kantonale Gleichstellungsauftrag, der sich aktuell noch auf die Gleichstellung von «Frauen» und «Männern» begrenzt, künftig auch auf lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Menschen (LGBTI) erweitert werden. Basel-Stadt wäre damit der erste Deutschschweizer Kanton, der seinen Gleichstellungsauftrag explizit erweitert. Doch anstatt sich darüber zu freuen, wird – allem voran – um Begrifflichkeiten gestritten, genauer: um die Definition von Geschlecht. Während die sogenannten Altfeminist*innen, die sich in der Gruppe Justitia ruft zusammengefunden haben, fürchten, durch das Gesetz würde die Kategorie Frau abgeschafft beziehungsweise die Gleichstellungsanliegen der Frauen kämen in Zukunft zu kurz, sorgt sich ein grosser Teil der queeren Community, dass eine zu inklusive Definition des Geschlechterbegriffs zu sogenanntem Othering, also Diskriminierung, führen könnte. 

Zwei Pole stehen sich gegenüber

Die Positionen sind bekannt und haben sich auch an diesem Abend wiederholt. Es diskutierten im voll besetzten Saal die Anwältin Elisabeth Joller, Alessandra Widmer von der Lesbenorganisation LOS, die non-binäre Person Billy Ostertag (die auch bei Bajour ihr Meinung bereits kundtat) sowie GLP-Grossrat Johannes Sieber – man könnte fast sagen – gegen Martina Meier, Biologin und Mit-Initiantin von Justitia ruft. Letztere stand mit ihrer Position – das Gesetz sei nicht geeignet, die Gleichstellung der Frauen voranzubringen – etwas alleine da. Moderiert wurde der Anlass von Journalistin Martina Rutschmann.

Vorlage zum Gleichstellungsgesetz

Basel-Stadt möchte seinen Gleichstellungsauftrag erweitern. Neu soll sich dieser nicht mehr nur auf Frauen und Männer beziehen, sondern auch auf lesbische, schwule, bisexuelle, trans und inter Menschen (LGBTI). Dafür schafft die Regierung eine halbe Stelle – und das in einem Bereich, der seit Jahren unter Beschuss steht. Bürgerliche würden die kantonalen Gleichstellungsbeauftragten am liebsten gleich streichen. Die Vorlage zum Gleichstellungsgesetz liegt aktuell bei der Justizkommission.

Der umstrittene Gesetzesartikel lautet aktuell so:

Artikel 1: Dieses Gesetz hat zum Zweck, die Verwirklichung der rechtlichen und tatsächlichen Gleichstellung in Bezug auf Geschlecht und sexuelle Orientierung in allen Lebensbereichen zu fördern und Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung, namentlich von Frauen und Männern oder unter Berufung auf Transidentität, Intergeschlechtlichkeit, Homo- oder Bisexualität, zu bekämpfen.

(Quelle: Ratschlag Regierungsrat)

Nach zweistündiger Diskussion resümierte die Grüne Grossrätin Fleur Weibel, die im Publikum sass: Hier würden sich zwei Pole in Stellung bringen, die beide nicht recht hätten. Weder würden Frauen durch das neue Gesetz abgeschafft, noch käme es zu Othering. «Ich wünsche mir, dass die beiden Pole etwas aufeinander zukommen, damit wir dieses Gesetz durch den Grossen Rat bringen.»

Im Moment befindet sich die Vorlage in der Justizkommission, und eigentlich hatten Polit-Beobachter*innen damit gerechnet, dass das Geschäft bereits im Mai im Parlament behandelt wird. Doch wie anwesende Mitglieder der Justizkommission durchblicken liessen, dürfte die Vorlage frühestens im Herbst behandelt werden.

Zum Abschluss dann grosse Aufregung. Marc Fehlmann, ehemaliger Direktor des Historischen Museums Basel und habs-Mitglied, trat in seiner Rolle als Veranstalter für ein finales Statement vor das Publikum. Er zitierte die allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 mit den Worten «all humans are equal» und sagt: «Uno-Menschenrechtskonvention wurde geschrieben ohne Kategorisierungen, weil man in lebhafter Erinnerung hatte, was die Konsequenzen sind, wenn Menschen in Gruppen kategorisiert werden. Weil 13 Jahre vorher ein anderes Kollektiv sich eine juristische Gesetzessammlung gegeben hatte, die aufgrund biologistischer Argumente legalisiert hat, dass man Menschen in Kategorien unterteilt - und dieses war die Legitimierung, um Menschen zu entmachten, enteignen, verfolgen und vernichten. Nur 12 Jahre vorher wurde die Basis für die Nürnberger Gesetze geschrieben, durch einen Mann, der in Landsberg eingesessen hat - und dieses Buch hiess <Mein Kampf>. Damals konnte sich noch niemand vorstellen, wie schlimm es werden könnte.»

Die Stimmung kippte

Durch das Publikum - insbesondere durch die Reihen der sogenannten Altfeminist*innen (die das biologische Geschlecht der Frau als Diskriminierungsmerkmal anführen) -, ging ein Raunen. Die Moderatorin Rutschmann lenkte ein und forderte die Gäste auf, nun doch rasch ein oder vielleicht auch zwei Gläser Wein zu trinken. Auf den Schock. Doch die Stimmung war gekippt. Nicht einmal mehr die Blumensträusse für die Podiumsteilnehmer*innen konnten verteilt werden. 

An der Bar erklärte SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer später gegenüber Bajour, dass dieses Statement für diese Frauen, die jahrzehntelang für Sichtbarkeit gekämpft haben, mehr als ein Affront sei. GLP-Mann Sieber wollte dazu nur Folgendes sagen: «Wie ich aus dem Austausch im Rahmen des Podiums entnehmen konnte, scheint Marc Fehlmann das Thema Diskriminierung stark zu beschäftigen. Und: Biologie, Gender, Medizin, Historik: So viel Wissenschaft und keine Einigkeit. Ob das gut kommt?» Und Billy findet: «Der Nazivergleich wäre nicht nötig gewesen. Der gestrige Abend hat gezeigt, wie tief unterschiedliche Menschen getroffen sind. Emotionen, insbesondere Ängste entfesseln sich.»

Fehlmann selbst war für ein Statement nicht mehr erreichbar. 

Anmerkung der Redaktion: Dieser Artikel wurde aktualisiert mit dem Wortlaut von Marc Fehlmann, ausserdem mit einem Zitat von Billy ergänzt.

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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