Haus im St. Johann, Leben im Speckgürtel
Die grosse Bajour-Immobilienrecherche zeigt die ersten Resultate. Im St. Johann sind die meisten Hausbesitzer*innen keine Grossinvestor*innen, sondern Privatpersonen. Einige von ihnen wohnen im Baselbiet. Wer sind die Menschen, die Wohnungen in der Stadt vermieten, aber selbst woanders wohnen? Wir haben mit vier von ihnen geredet.
Fast 80 Prozent der Liegenschaften im St. Johann gehören Privatpersonen. Das zeigt unser Datensatz, den wir mit Hilfe der «Wem gehört Basel?»-Crowd gesammelt haben. Aber: Mehr als jede zehnte Person, die im St. Johann Wohneigentum besitzt, hat sich für einen anderen Lebensmittelpunkt entschieden und sich im sogenannten Speckgürtel der reichen Agglo-Gemeinden rund um Basel niedergelassen.
Wir wollten wissen, wer diese Besitzer*innen sind, warum sie die Immobilien erworben haben und was sie damit vorhaben. Vier Baselbieter Hüslibesitzer*innen waren bereit, mit uns zu reden.
Harald Schirmer: Mit der Strasse verwachsen
«Ich bin hier aufgewachsen!» Harald Schirmer steht auf dem Trottoir und zeigt mit langem Arm und ausgestrecktem Zeigefinger auf sein Haus an der Ecke Lothringerstrasse und Immengasse. Mit «hier» meint er genau dieses Stück vom St. Johann. Das Haus ist nicht mehr das gleiche wie in Schirmers Kindheit. 1970/71 wurde neu gebaut, unter seiner Leitung. Seitdem steht an der Ecke ein Wohnhaus mit fünf Stockwerken, im Erdgeschoss befinden sich alte Geschäfts- und Produktionsräume und ein Eisenbahnladen.
Schirmer hat lange selbst in dem Haus gewohnt, bis 1985, dann kaufte er ein Einfamilienhaus in Allschwil. «Oben auf dem Hügel. Darüber war ich sehr glücklich. Das Haus hat sechs Zimmer und eine Galerie, schön gebaut. Auf der anderen Seite hat aber der Flugverkehr zugenommen, im Sommer kommt alle drei Minuten ein Flieger.» Das sei 1985 noch nicht so gewesen.
Heute ist Harald Schirmer 80 Jahre alt und pensioniert. Trotzdem fährt er unter der Woche jeden Tag mit seinem Fiat aus dem Baselbiet in sein Büro in Basel. Irgendwas habe er immer zu tun, sagt er. Bevor Schirmer anfängt, von seinem Haus und dem Geschäft, das sein Vater einst mitgründete, zu erzählen, setzt er seine Hörgeräte ein. «Dann verstehe ich Sie etwas besser.» Unsere Tour beginnt im Erdgeschoss, hinter grossen Glasfronten liegt Schirmers Büro, direkt daneben sein Eisenbahnladen.
Schirmer geht voran. An seinem Hosenbund hängt ein Ring mit vielen Schlüsseln, die beim Gehen leise rasseln; mit seinem weiten Karohemd erinnert er an einen Hauswart. Kurz hält er im Laden mit den Eisenbahnen im Schaufenster, dann geht es links durch eine Tür nach hinten, in ein zweites Büro mit zwei grossen Schreibtischen und vielen Fotos an der Wand. Zu jedem der gerahmten Bilder kann Schirmer eine Geschichte erzählen und jedes bezeugt seine Verbundenheit mit dem Quartier. Ein Foto zeigt Schirmer im Kostüm an der Fasnacht. Seit 1953 ist er als Tambour in der Spalenclique aktiv. Durch seinen Vater ist er ausserdem in die Basler Zunft zu Brotbecken aufgenommen worden, die Urkunde an der Wand beweist es.
Während Schirmer erzählt, nimmt er einen Bilderrahmen von der Wand. Er zeigt auf ein Foto der Aufrichte des ursprünglichen Hauses, das sein Vater, Joseph Schirmer, 1936 baute. Das Geschäft der Familie, eine Leimfabrik, spezialisierte sich über die Jahre auf weitere chemische Stoffe, 1980 übernahm Harald Schirmer, als sein Vater starb. Heute leitet sein Sohn Beat die Firma. Der Hauptsitz wurde vor ein paar Jahren nach Frick verlegt. Im St. Johann blieben die alten Büro- und Produktionsräume und das Wohnhaus, das Harald Schirmer alleine verwaltet.
«Als mein Vater starb, erbten meine Schwester und ich die alten Gebäude, die mit keinen Hypotheken belastet waren», sagt Schirmer. Er und sein Vater seien immer bestrebt gewesen, dass es nur «gute und solide Finanzierungen» gibt, sie seien aber auch immer sparsam gewesen.
«Ich lueg, dass das Haus immer schön im Stand ist», sagt Schirmer als er die Tür zum Hausflur aufschliesst. Mit dem Fahrstuhl geht es nach oben ins Dachgeschoss. Hier wohnte Schirmers Mutter bis zu ihrem Tod vor 15 Jahren. Seine Schwester und er hätten beschlossen, dass sie die Wohnung behält und auch einen Zins bezahlt. «Sie kommt öfter nach Basel und an Weihnachten trifft sich hier die ganze Familie, dann kocht meine Schwester für alle», erzählt Schirmer und lässt seinen Blick schweifen.
Die Dachgeschosswohnung ist gemütlich. Ein kleiner Flur führt zum Wohnzimmer mit grosser Sofaecke und Cheminee, dahinter liegt eine offene Küche. Aber Schirmer hat es auf etwas anderes abgesehen. «Machen wir schnell einen Blick in mein Refugium», sagt er und nimmt die Stufen hinter dem Wohnzimmer, die ihn unters Dach führen.
Sein Refugium, das ist ein etwa 30 Quadratmeter grosser Raum nur für seine Modelleisenbahnen. Entlang der Wand läuft die Strecke, mehrere Gleise nebeneinander. Hier dreht er regelmässig seine Runden und hält die Züge am Laufen. Hobby ist eine Untertreibung für die Leidenschaft des gelernten Lokführers und Eisenwarenhändlers. Zahlreiche Loks hat Schirmer über die Jahre gesammelt, einige davon selbst gebaut. Seinen Laden im Erdgeschoss betreibt er bis heute.
«Ich bin kein Wucherer-Hausbesitzer.»Harald Schirmer, Immobilienbesitzer aus Baselland
Mit dem Fahrstuhl geht es wieder nach unten, raus aus dem Büro aufs Trottoir. Schirmer schaut zur gegenüberliegenden Seite der Immengasse. Dort, an der Ecke, steht sein zweites Haus. «Ich wollte nicht, dass hier ein grosser Turm hinkommt», sagt er. «Als vor zehn Jahren opportun geworden ist, dass das Haus verkauft wird und ich wusste, es kommen Architekten, habe ich mich drum gekümmert und das Haus gekauft.» Um die 20 neuen Wohnungen wären ansonsten entstanden, sagt er, und das Haus wie es jetzt ist, würde schon lange nicht mehr stehen. Ihm ging es um das Erhalten.
Schirmer deutet auf die Häuser neben seinem. Sie sind alle höher. Hier wurde neu gebaut oder eine Etage drauf gesetzt. Bei Schirmer nicht, sein Haus ist noch immer zweistöckig. Nach dem Kauf habe er begonnen, die Wohnungen zu renovieren und zu modernisieren. «Es war ein Altbau mit WCs im Hausgang und ohne Badezimmer. Jetzt sind es moderne Küchen und Bäder in den Wohnungen, jedoch das Cachet einer Altbauwohnung wurde erhalten.» Für den Kauf musste Schirmer nach eigenen Angaben eine Hypothek aufnehmen für etwa 45 Prozent des Kaufpreises. «Die Renovationen habe ich aus Ersparnissen finanziert.»
«Jeden Franken, den ich mehr verdiene mit der Miete, muss ich versteuern.»Harald Schirmer
Zusammen mit dem anderen Wohnhaus hat Schirmer insgesamt 31 Mieter*innen. 3 in dem einen, 28 in dem anderen Haus. Ob er reich werden wolle mit den Wohnungen? «Wissen Sie, ich muss den Zins rechnen, den ich vor 50 Jahren gerechnet habe, und Sie dürfen nicht aufschlagen. Jeden Franken, den ich mehr verdiene mit der Miete, muss ich versteuern. Da will ich doch nicht die Leute verrückt machen und sagen, ich verlange so viel für eine Wohnung, dann kassiert nämlich die Stadt Basel.»
Er sei kein «Wucherer-Hausbesitzer», sagt Schirmer, deshalb seien im Haus alle Mieter*innen zufrieden mit ihm. «Meine Wohnungszinsen sind moderat und günstig.» In seinen 1-Zimmer-Wohnungen würden viele Student*innen vom Biozentrum wohnen. Die Miete koste für sie 555 Franken, mit Nebenkosten etwa 675 Franken.
Auch von einem Veräussern will Schirmer nichts wissen. «Das Haus verkaufe ich nicht. Was nachher passiert, wenn ich mal den Salat von unten fress – da kann ich nichts dran ändern.»
Angela Keller*: «Ich wollte nicht unbedingt Vermieterin werden»
«Ich sehe es als Glück, dass ich das Haus kaufen konnte», sagt Angela Keller* über ihre Immobilie im St. Johann, ein kleines Reihenhaus, viereinhalb Zimmer, mit hölzernen Fensterläden. «Ich bin im Nachbarhaus aufgewachsen, wo meine Eltern heute noch wohnen.»
Ihren richtigen Namen und die genaue Strasse möchte Angela Keller nicht nennen, wie die meisten Baselbieter Vermieter*innen, die wir kontaktiert haben. Wie sie zu dem Haus gekommen ist, erzählt uns die 54-Jährige am Telefon.
«Wir hatten 2010 die Möglichkeit, das Haus günstig zu kaufen. Ich wollte nicht unbedingt Vermieterin werden, das hat sich so ergeben», erzählt Keller, die mit ihrer Familie in Allschwil lebt. «Wir wohnen in Baselland und haben das auch damals schon. Es war keine Option, selbst in dem Haus zu wohnen. Wir waren hier daheim, die Kinder sind hier zur Schule gegangen und unser Haus in Baselland ist grösser.»
«Ich kann mir gut vorstellen, dort wieder zu leben.»Angela Keller, Hausbesitzerin
Das Haus in der Stadt hätten sie und ihr Ehemann für ihre beiden Kinder gekauft. «Aber die sind mit 24 Jahren jetzt noch zu jung, also haben wir es vermietet, bis es dann vielleicht wieder in die Familie übergeht.»
Um das Haus zu kaufen, hätten sie einen Kredit bekommen von der Bank. «Den tilgen wir mit der Miete, das geht schön auf. Es bleibt im Moment auch etwas übrig, aber sobald man etwas investieren muss, etwa wenn in zehn bis fünfzehn Jahren eine neue Küche kommt oder so, ist das auch wieder weg.» Keller sagt, sie hätten das Haus nicht unbedingt als Investition gekauft, sondern für die Eigennutzung für später. «Vielleicht wechseln wir auch mal ins kleinere Haus und die Kinder ins Grosse, wenn sie wollen.»
Angela Keller kennt die Strasse im St. Johann seit ihrer Kindheit. Sie besucht dort regelmässig ihre Eltern. «Die Strasse hat ein Eigenleben, das ist wirklich schön», erzählt sie. Die Bewohner würden in der Adventszeit eine Weihnachtsgasse mit Weihnachtsfenstern organisieren und im Sommer gebe es draussen ein Grillfest und andere gemeinsame Feste mit der Nachbarschaft. «Es ist wirklich eine härzige Strasse. Es ist immer noch ein Ort, wo ich mir gut vorstellen kann, wieder zu leben.»
Roman Loose*: «Wer keine Aktien oder Immobilien hat, gehört zu den Verlierern»
Auch der Baselbieter Immobilienbesitzer Roman Loose* möchte seinen echten Namen nicht in diesem Artikel lesen. Er sagt, es gebe eine Neidgesellschaft und es müsse nicht jeder wissen, dass er Wohneigentum besitze. «Geld ist ein heikles Thema.» Der 53-jährige Treuhänder hat seine Liegenschaft mit zehn Wohnungen im St. Johann ganz bewusst als Altersvorsorge gekauft. Das war im Jahr 2010. «Ich hatte ein gewisses Eigenkapital und das wollte ich investieren. Die Einnahmen aus Mietzinsen sind aus meiner Sicht besser als die Pensionskasse.»
Seine Investition in Wohnungen sieht er als «selbstbestimmte Vorsorge», auch wenn er damit ein gewisses unternehmerisches Risiko eingehe. Ein Haus zu bewirtschaften, sei eine anspruchsvolle Aufgabe. «Die Wohnungen sind auf lange Sicht rentabel. Wer momentan keine Aktien oder Immobilien hat, gehört zu den Verlierern der Politik der niedrigen Zinsen», ist Loose überzeugt. Ob er das Haus irgendwann veräussert, weiss er noch nicht.
Loose selbst wohnt in Binningen. Ihm aus seinem Wohnort den Vorwurf zu machen, er wolle dadurch Steuern sparen, findet er absurd: «Das ist Blödsinn, die Mieteinnahmen werden vor Ort versteuert. Jemand, der sowas sagt, hat keine Ahnung vom schweizerischen Steuersystem.»
Beat Huber*: «Das grösste Geschäft meines Lebens»
Beat Huber* hat früher im St. Johann ein zahntechnisches Labor mit einem Partner in einen Laden eingebaut. Sie schlossen einen Mietvertrag mit dem Besitzer des Hauses ab, aber bald stellte sich heraus, dass dieser nicht alleine handlungsbefugt und der Vertrag ungültig war. Das Haus sollte an die Person verkauft werden, die am meisten bietet. «Wir sollten den Vorzug haben, aber das war schwierig, weil wir schon unser ganzes Geld in das Labor gesteckt hatten», erzählt Huber am Telefon. «Wir waren sozusagen gezwungen, das Haus zu kaufen. Unsere Existenz steckte in dem Labor.»
Es habe sich dann doch eine Lösung mit einem Banker finden lassen, sodass sie quasi ohne Eigenkapital das Haus hätten kaufen können. Das war Ende der Achtzigerjahre. «Ich habe einfach Glück gehabt, aber ich bin zu der Immobilie gekommen wie die Jungfrau zum Kinde.»
1997 habe sein Partner das Labor verlassen und Huber kaufte ihm dessen Anteil vom Haus ab. «Ich habe ihm eine Offerte gemacht, dann war es mein. Das war das bisher grösste Geschäft meines Lebens.» Es sei eine gute Diversifizierung in seiner Vermögensanlage gewesen.
Bis 2007 wohnte Huber selbst in dem Haus, das über dem Laden im Erdgeschoss noch vier Wohnungen umfasst. «Dann bin ich nach Binningen gezügelt. Mir war die Drei-Zimmer-Wohnung zu klein. Ausserdem hat es mir gestunken, einen Eigenmietwert zu bezahlen, und in Baselland sind die Steuern und die Krankenkassen günstiger.» In Binningen wohnt Huber nach eigenen Angaben zur Miete. Ein Eigenheim wolle er in seinem Alter nicht mehr kaufen. Es sei der Wahnsinn, was Eigentumswohnungen heute kosten.
Heute ist der 70-Jährige pensioniert, vor drei Jahren hat er sein Labor aufgegeben. Jetzt sei dort ein Second-Hand-Kleidergeschäft. Irgendwann möchte er das Haus verkaufen. Gewinnbringend? «Ja, sonst gebe ich es nicht her, das ist ja normal», sagt er. Gegenüber von seinem Haus sei gerade ein Gebäude für zwei Millionen Franken weggegangen. Sein Haus sei nicht ganz damit vergleichbar, aber 1,5 Millionen Franken wolle er schon haben. «Darunter geht nichts.» Mit dem Geld werde er seinen Kredit ablösen und einen Gewinn machen.
«Es gibt genug Wohnungen in Basel, aber leider nur teure.»Beat Huber*, Hausbesitzer
«Wer in ein Haus investiert, der investiert sehr gut.» Die Zinsen seien sehr tief. «Für uns ist der Hypothekarzins damals viermal raufgegangen, das war anfangs sehr schwierig zu finanzieren, aber es wurde besser mit der Zeit.» Huber habe gelernt, dass man in Werte investieren muss, die «ein Nebeneinkommen bewirken», wie etwa ein Haus oder Aktien. Dann komme regelmässig Geld auf das Konto.
Trotzdem sieht Huber es nicht so, dass er durch die Wohnungen reich wird. «Schwarze Schafe gibt es überall, die sehe ich auch. Die kaufen Häuser, renovieren und vermieten teuer.» Er selbst habe ein altes Haus und Glück mit dem Standort in der Nähe vom Burgfelderplatz und mehreren Supermärkten. Mit den Wohnungen habe er nicht auf Gewinne spekuliert. «Ich habe immer das Nötigste gemacht, dass alles funktioniert, aber nichts vergoldet. So konnte ich immer einen erschwinglichen Mietzins verlangen. Es gibt ja genug Wohnungen in Basel, aber leider nur teure.»
*Name geändert. Klarname der Redaktion bekannt.