Hier wird die Pharmaindustrie neu erfunden

Im Spätsommer wird das neue Haus des Departements Biosystems Science and Engineering (D-BSSE) der ETH Zürich nach und nach in Betrieb genommen. Doch woran und wie arbeiten die Forscher*innen in diesem Gebäude wirklich? Bajour wagt einen Blick in das spektakuläre Innere des Neubaus.

Neubau_ETH (D-BSSE)
Woran arbeiten die Forscher*innen in dieser Blackbox? (Bild: Sebastian Perrig)

Diabetes, auch Zuckerkrankheit genannt, ist eine weltweit verbreitete Volkskrankheit. In der Schweiz leiden darunter rund 500’000 Menschen, weltweit 425 Millionen, Tendenz steigend. Auch in Afrika ist die Krankheit weit verbreitet – hauptsächlich wegen der oft zuckerlastigen Fehlernährung. Es gibt zwar Medikamente dagegen, aber diese sind teuer und müssen dauernd eingenommen werden. Das muss nicht sein. 

Um diese Krankheit in den Griff zu bekommen, wird in Basel derzeit an einer völlig neuen Methode gearbeitet. Und zwar im Haus des Departements Biosystems Science and Engineering (D-BSSE) der ETH Zürich an der Klingelbergstrasse. Das dunkle Gebäude wird im Spätsommer in Betrieb genommen. Von aussen wirkt es wie eine Blackbox, im Innern aber versucht ein Team um den Biotechnologen Prof. Martin Fussenegger, zusammen mit Mediziner*innen zu erklären, was bei Diabetes im Körper schief läuft, und zwar auf der Ebene der menschlichen Zelle. 

Die Ursache für die Krankheit liegt am Versagen von sogenannten Diabeteszellen, die für die Steuerung des Blutzuckers verantwortlich sind. Vereinfacht gesagt, wird eine defekte Diabeteszelle in eine funktionierende Zelle umgebaut. Diese misst den Blutzucker und schüttet selbständig Insulin aus, sobald der Zucker im Blut gefährlich steigt*.

«Das sind völlig neue Therapien», sagt der Departementsleiter Prof. Daniel Müller. Konkret läuft die Therapie so: Den Patient*innen wird eine Zelle entnommen. Diese wird, quasi im molekularen Bereich, «umprogrammiert», dann wird sie vervielfältigt. Diese Zellen werden in einer Kapsel in die zuckerkranke Person implantiert. Der Vorteil dieser Therapie: Es ist eine Einmalbehandlung. Zurzeit funktioniert das bei Mäusen, an Menschen wurde das Verfahren noch nicht getestet. «Das würde weltweit ein enormes Problem lösen, weil die bisherigen – lebenslangen – Therapien sehr teuer sind. Dies gilt gerade für Regionen mit tiefen Einkommen, wo Krankenversicherungen gar nicht existieren.»

ETH_Zahlen
Das Departement in Zahlen

350 Mitarbeitende mit Arbeitsverträgen, 19 Professor*innen, 200 Master-Studierende, 180 Doktorand*innen und 100 Wissenschafter*innen, v.a. Postdocs sind beim Departement beschäftigt. 2022 standen 22,5 Mio. Franken Drittmittel zur Verfügung. Zusammenarbeitsprojekte haben sie 73 mit der Universität Basel, 40 mit der ETH Zürich, 30 mit der Industrie und 117 mit internationalen Partner*innen.

Ein Bakterium schlägt Alarm

Auch Prof. Randall Platt arbeitet in der Black Box – als Bioingenieur an einem nicht minder interessanten Gebiet. Ihm ist es gelungen, ein Bakterium so zu programmieren, dass es seine eigene Aktivität registriert, bzw. speichert. Beispielsweise im Darm, wo dieses Bakterium für den Menschen gefährliche Veränderungen feststellen kann – und sogleich Alarm schlägt. Das Bakterium wurde also zum Diagnoseinstrument. «Das ist ein phänomenale Ingenieursleistung im Bereich der Biologie», schwärmt Müller. Wenn das Konzept trägt, könnte es die Darmspiegelung ersetzen.  

Ein drittes Projekt ist die Abwasseranalyse, welche Aufschluss über die Entwicklung einer Pandemie und den Infektionszustand der Bevölkerung geben kann. Im Rahmen der Covid-Berichterstattung kam immer wieder Prof. Tanja Stadler, die ebenfalls in diesem Departement arbeitet, zu Wort. Zusammen mit Prof. Niko Beerenwinkel begann sie, das Abwasser systematisch auf Covid-Viren und deren Unterarten zu analysieren, ein Vorgehen, welches zu einem europaweiten Standard zum Monitoring von Virusinfektionen wurde.

 

«Wir sind am Dialog mit der Öffentlichkeit interessiert. Man soll sehen, wie wir arbeiten»
Daniel Müller, Departementsleiter

Offizielle Eröffnung für März/April 2024

Operativ werden im neuen Gebäude bereits zu Semesterbeginn Mitte September Studierende ihre Laboreinheiten beziehen können. Bis alle Gruppen von der Mattenstrasse im Kleinbasel in das neue Gebäude im Schällemättelli umgezogen sind, wird es wohl Ende November werden. Der Innenausbau ist abgeschlossen. Die Schlüsselübergabe an die ETH erfolgte im Mai. Offiziell wird das Haus erst im März/April 2024 eröffnet. 

Der gedeckte Innenhof soll künftig öffentlich zugänglich sein und von der Ecke Schanzenstrasse diagonal Richtung Biozentrum durchquert werden können. Bajour durfte bereits heute einen kurzen Augenschein nehmen. Während das Haus von aussen dunkel erscheint, ist es innen dank dem Oberlicht sehr hell und erinnert an die Mall eines Einkaufszentrums. Es riecht nach frischer Farbe und nach Leinöl – herrührend wahrscheinlich von den Holztischen und -bänken der künftigen, ebenfalls öffentlichen Cafeteria. 

Die ETH bemühe sich um Offenheit und um Transparenz, soweit dies möglich ist. «Wir sind am Dialog mit der Öffentlichkeit interessiert. Man soll sehen, wie wir arbeiten», sagt Departementsleiter Daniel Müller. Die ETH-Arbeitsräume sind freilich nur mit Badge zugänglich. Das Gebäude ist hochtechnisiert. Derzeit wird die komplexe Gebäudeautomatisation abgestimmt.

Das Schlüsselwort des Departementes heisst Interdisziplinarität. Hier arbeiten  experimentell und statistisch tätige Biolog*innen tätig, Ingenieur*innen, theoretisch ausgerichtete Forscher*innen und Informatiker*innen in interdisziplinären Teams zusammen. Biologische komplexe Systeme sollen in ihrer Gesamtheit verstanden werden, sodass sie kontrolliert werden können. Die enge Verbindung der Erforschung der Biosysteme mit der Mikro-Ingenieurskunst und der Informatik führe zu einer neuen Art von Wissenschaft, ist man im BSSE überzeugt.

«Wenn man diese Erkenntnisse in die Gesellschaft bringen will, muss man den Diskurs suchen.»
Daniel Müller, Departementsleiter

Müller sagt: «Wir wissen, dass dies ganz neue Therapien und futuristisch anmutende Ansätze sind.» Und weiter: «Wenn man diese Erkenntnisse in die Gesellschaft bringen will, muss man den Diskurs suchen.» Dies versucht die Branche nach und nach. Im Gegensatz zu den 80er und 90er Jahren geniesst die medizinisch orientierte Gentechnologie mittlerweile eine relativ breite Zustimmung. 

Neubau_Spital_ETH
Das D-BSSE ist gut zwischen anderen Neubauten eingebettet. (Bild: Jeanne Wenger)

Keine Forschungsgelder durch EU

Im Moment scheint das Problem denn auch anderswo zu liegen: Seit kurzem ist die Schweiz wegen der Aufgabe der Rahmenverträge mit der EU von den von der EU geförderten Forschungsprogrammen ausgeschlossen, genauer: Die Schweiz kann in solchen Programmen nicht mehr den Lead übernehmen. Ausserdem erhält sie von der EU keine Forschungsgelder (European Research Council Grants) mehr. Das verringert automatisch die bislang intensiven Forschungskontakte in der EU. Das D-BSSE hat in den vergangenen 16 Jahren beispielsweise 19 solcher Grants erhalten.

Und es gibt sie, die Konkurrenz. Weil diese Forschungsgebiete vielversprechend sind, ist das D-BSSE nicht alleine unterwegs. Das heisst: die Konkurrenz setzt alles daran, Durchbrüche zu erzielen, und zwar am schnellsten. Und schliesslich ist es so, dass viele Projekte nicht erfolgreich sind und stranden. Doch das ist in der Forschung, auch in der privatwirtschaftlichen, immer wieder der Fall. Aber mit jedem Erfolg und Misserfolg eröffnen sich neue Möglichkeiten.

Die ETH weiss um die Wichtigkeit des Dialogs mit der Öffentlichkeit. So wurde auch in Basel die Debatte zu den neuen Forschungsansätzen angestossen. Einige Diskussionsabende sind bereits durchgeführt worden, weitere sind geplant.

* Korrektur, 24.07.2023, 10 Uhr: An dieser Stelle stand in einer früheren Version, Insulin werde ausgeschüttet, wenn der Blutzucker im Blut zu niedrig sei, das ist falsch: Es wird ausgeschüttet, wenn der Blutzucker zu hoch ist.

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