Hirschi not dead
Im März feierte das Hirscheneck ein letztes «Figg di Fest», dann kam Corona. Jetzt haucht eine ebenso bürgerliche wie umkämpfte Retterin namens Zusatzversicherung unseren Lieblingspunks wieder Leben ein.
Das Hirschi wollte schon immer anders sein. Letztes Jahr sagte «Saali», langjähriger Kollektivhirsch, zum 40-jährigen Jubiläum gegenüber «Telebasel»: «Es geht darum andere Wege zu finden fernab von den Ideen, die eine kapitalistisch geprägte Welt mit sich bringt».
Doch jetzt bekommt das Hirscheneck Unterstützung von einer Idee, die bürgerlicher nicht klingen könnte: der guten, alten Epidemie-Klausel. Es ist nämlich so, dass das Betreiber*innen-Kollektiv vor Jahren eine Versicherung bei der Mobiliar abgeschlossen hatte. Da überlegten die Hirschis hin und her, ob es die Zusatzversicherung wirklich brauche. «Zum Glück haben wir uns damals trotz der Mehrkosten dafür entschieden», sagt Hirschi-Maren.
Epidemie-Klausel oder: Kosename «0104»
Denn jetzt kommt die Epidemie-Klausel (Kosename «0104») gerade recht: Sie schützt bei Beizen den entgangenen Umsatz bis zur Höhe von 100'000 Franken. Das Hirschi hat doppelt Glück: Es hat die Versicherung bei der Mobiliar abgeschlossen. «Die Versicherung hat sich in der Corona-Krise nun kulant gezeigt», sagt Maren. Dank Klausel und Kurzarbeit ist es dem Kollektiv gelungen, die Löhne in den ersten zwei Monaten in voller Höhe zu sichern.
Doch nicht alle Beizen haben dieses Glück. Zwar haben laut Maurus Ebneter, Chef des Basler Wirteverbandes, viele Gastwirte einen Schutz gegen Epidemien im Rahmen ihrer Betriebsausfallversicherung abgeschlossen. «Wir haben rund 40 Anfragen diesbezüglich bekommen», teilt er mit. Doch nicht alle Versicherungen zeigen sich so kulant wie die Mobiliar oder auch die Basler Versicherung.
Pandemie-Wortklauberei bei der Axa und Helvetia
Konflikte gibt es etwa bei Helvetia und Axa, wie das «SRF» berichtete. Diese Versicherungen argumentieren, sie seien nicht zum Zahlen verpflichtet. Der Grund: Epidemie sei nicht gleich Pandemie.
Die Axa argumentiert:
«Zweck der Epidemieversicherung […] ist es, Betriebe gegen die Folgen eines zeitlich und lokal begrenzten Ausbruchs eines Krankheitserregers in ihren Räumlichkeiten zu schützen, etwa wenn es in einem Restaurant zu Salmonellenvergiftungen kommt – ein Ereignis, das selten eintritt und begrenzte Kosten mit sich bringt. Entsprechend gering sind die Versicherungsprämien: Bei einem Gastrobetrieb mit einer Million Franken Umsatz belaufen sie sich z.B. auf durchschnittlich rund 250 Franken im Jahr, also 2,5 Promille der Einnahmen. Eine Pandemie, wie wir sie jetzt mit dem Corona-Virus erleben, ist dagegen ein massives, Länder- und Kontinente übergreifendes Krankheitsgeschehen ohne örtliche Begrenzung und dadurch mit nicht abschätzbaren Auswirkungen.»
Und die Helvetia sagt dem «SRF»:
«In solchen Fällen bedarf es staatlicher Lösungen, wie sie letzte Woche vorgestellt worden sind. Auch aus Gründen der Fairness gegenüber den anderen Prämienzahlern berücksichtigt Helvetia stets die geltenden Versicherungsbestimmungen.»
In den Augen von Wirtepräsident Ebneter ist die Unterscheidung» zwischen Epidemie und Pandemie «spitzfindig»: «Das Schweizer Recht kennt den Begriff 'Pandemie' gar nicht», sagt er. So beruft sich auch der Bundesrat während der Corona-Pandemie auf das Schweizerische Epidemiengesetz.
Helvetia bietet Vergleichslösung
Ein vom Wirteverband in Auftrag gegebenes Gutachten stellt Prozessen deswegen gute Chancen aus. Mittlerweile bietet Helvetia darum eine Vergleichslösung an. Der Wirteverband prüft diese und will dann eine Empfehlung abgeben. «Sollten die Branchenriesen Helvetia und Axa eine faire Lösung anbieten, gehe ich davon aus, dass tausenden Gastwirten in der Schweiz stark geholfen werden kann», so Ebneter.
Das Hirschi bereitet sich derweil darauf vor, am 12. Mai wieder zu öffnen: mit einer abgespeckten Karte und Take-Away. Das hat das Kollektiv am Montag entschieden. Die angekündigte Öffnung der Gastronomie durch den Bundesrat habe die Beiz ein wenig überrascht, so das Kollektiv. Man sei noch dabei, diese neue Entwicklung zu verdauen. Diskussionsbedarf sei jedenfalls vorhanden
Laut Bundesrat dürfen bekanntlich maximal vier Menschen an einem Tisch sitzen und die Tische müssen mindestens zwei Meter auseinander stehen. Dadurch werden weniger Gäste Platz im Hirscheneck haben. «Wir rechnen mit einem Rückgang von mindestens 50 bis 65 Prozent», sagt Maren vom Betreiber*innen-Kollektiv. Angebot, Belegung und Öffnungszeiten müssten darum angepasst werden. Fest steht, dass es eine kleinere Karte und, bis auf Samstag, keine durchgehenden Öffnungszeiten geben wird. Gecancelt wurde vorerst auch der Sonntagsbrunch.
Das Hirschi macht normalerweise aber bekanntlich nicht nur Speis und Trank, sondern auch Konzerte im Keller. Diese sind weiterhin untersagt. Doch Luca von der fünfköpfigen Kulturgruppe vom Hirschi bleibt einigermassen gelassen: «Wir sind vom Lockdown nicht so stark getroffen wie andere Läden», sagt er. Das Hirscheneck sei ausserdem als Teil der Dachgenossenschaft, der alle Mieter im Gebäude angehören, in einer glücklichen Lage. Sollte es ganz hart auf hart kommen, ist hier möglicherweise Spielraum vorhanden.
Punks not dirty
Allerdings wurde in letzter Zeit auch viel investiert: Unter anderem bekam der Bandraum eine neue Dusche. «Ich muss mir eigentlich keine Sorgen machen, dass das Hirschi untergeht, und habe den Kopf frei, um mich um andere Projekte zu kümmern», sagt Luca. Er ist nebenbei der Initiator der Plattform Kulturklinik, die Geld für Künstler sammelt. Dennoch: «Ein mulmiges Gefühl bleibt».
Das letzte Konzert im Hirscheneck, an dem er persönlich mitwirkte, fand am 7. März statt. Vier Bands und drei DJs traten beim «Figg di Fest» auf – alles Lärm oder Geballer. Das Verlangen, die Gehörgänge wieder richtig durchzupusten, ist seitdem nicht nur bei Luca exponentiell gestiegen. Wann und unter welchen Auflagen es mit Live-Musik weitergeht, wann Bands wieder international touren können, kann indes niemand sagen.
Monate? Jahre?
«Konzerte werden wahrscheinlich als Letztes wieder erlaubt», befürchtet Luca. Den Mitgliedern der Konzertgruppe bleibt, die Zeit so gut es geht zu nutzen, beispielsweise um die Infrastruktur auf Vordermensch bringen. «Das Beste aus der Situation machen eben», sagt Luca. «Und die Hoffnung nicht aufgeben.»
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Zusatz: Seit heute, 5. Mai 2020, liegt das Schutzkonzept für gastronomische Betriebe vor. Gäste müssen Namen und Telefonnummer im Restaurant abgeben, damit sie zurückverfolgbar sind.