EU-Hürden für Schweizer Krebsforschung

Die Firma Artidis entwickelt in Basel ein nanotechnologisches Hightech-Analysegerät für Krebsdiagnosen – nur wenige 100 Meter von der Grenze zu Deutschland und zu Frankreich. Nur: Das Gerät wird zuerst in den USA zugelassen und angewendet. Warum nicht in der EU?

Philipp Oertle, Entwicklungschef bei Artidis und Mitgründer der Firma, vor dem nanomechanischen Analysegerät.
Philipp Oertle, Entwicklungschef bei Artidis und Mitgründer der Firma, vor dem nanomechanischen Analysegerät. (Bild: zvg)

Im Tech Park an der Hochbergerstrasse 60a stehen in einem unscheinbaren Warenlager der Firma Artidis zwei Meter hohe Holzkisten bereit. «Hier werden unsere Analysegeräte zum Versand in die USA verpackt», sagt Philipp Oertle, Mitgründer und Leiter Entwicklung und Produktion von Artidis.

In den USA, im MD Andersen Cancer Center in Houston, werden sie auf Herz und Nieren getestet. Es geht um nichts weniger als um eine revolutionäre Analysemethode von Krebszellen. Die US-Kontrollbehörde Food and Drug Administration (FDA) hat ein strenges Auge auf die Geräte aus dem fernen Basel. Nach mehreren Testjahren hofft man an der Hochbergerstrasse auf eine baldige Zulassung.

Der Stücki Business Park, nahe der deutschen Grenze. Im Vordergrund stillgelegte Industriegeleise.
Der Stücki Business Park, nahe der deutschen Grenze. Im Vordergrund stillgelegte Industriegeleise. (Bild: zvg)

Konkret analysieren die Geräte mit einer winzigen Nadelspitze, welche eine atomare Auflösung erlaubt, eine krebsverdächtige Gewebeprobe und können so die detaillierten Zellstrukturen bestimmen.  «Wir bewegen uns hier in der Grössenordnung unterhalb eines Tausendstel einer Haaresbreite», so Oertle. 

Während die «harten» Zellen stabil sind, haben die «weichen» die Fähigkeit, Metastasen zu bilden, das heisst: im Körper zu streuen. In der Krebsbekämpfung sind das äusserst wichtige Erkenntnisse. Gleichzeitig lasse sich diese Technologie nahtlos in die Krebs-Standardbehandlung integrieren, sagt Oertle. Klinisch relevante biologische Informationen würden über den gesamten Lebensweg der Patient*innen und für eine Vielzahl von Krankheiten erfasst. 

Made in Basel

Die Artidis-Geräte werden an der Hochbergerstrasse zusammengebaut, viele Komponenten stammen aus der Region respektive der Schweiz. In Basel zählt das Technologieunternehmen 67 Mitarbeitende, in Barcelona 2 und in Houston 7.

Für die FDA muss Artidis Zulassungsdossiers von mehreren tausend Seiten bereitstellen, weil es sich um eine ganz neue Technologie handelt. Zwei Fragen stehen für die FDA im Vordergrund: Ist die Technologie sicher in der Anwendung? Und ist sie effektiv?

Spitäler und Behörden seien in den USA gegenüber neuen Technologien und Innovationen viel aufgeschlossener als in der EU, sagt Oertle. Ausserdem sei der US-Markt riesig, und die Zulassung durch die FDA ermögliche Verhandlungen mit allen Krankenversicherungen in den USA. Zudem setze sich die FDA selbst eine Zielfrist von 150 Tagen zwischen der Einreichung der Dokumente und dem Zulassungsbericht. In der EU gibt es keine solche Frist.

Mindestens so problematisch wie das Zulassungsprozedere in der EU sei der Mangel an Spitzenfachkräften und Spezialist*innen, sagt Oertle. Deshalb sei in seinen Augen die Zustimmung zu den Bilateralen III so wichtig. Derzeit ist der Antrag auf eine Zulassung in der EU aber nicht spruchreif.

Erstes Opfer des fehlenden Rahmenabkommens

Im gleichen Gebäude wie Artidis, rund 100 Meter nördlich, hat vor einigen Jahren auch Medartis ihre Zelte aufgeschlagen. Die 1997 gegründete Firma ist eine der weltweit führenden Herstellerinnen für die chirurgische Fixierung von Knochenbrüchen (Ostheosynthese). Produziert wird praktisch ausschliesslich an der Hochbergerstrasse. Der Exportanteil liegt bei 95 Prozent, die Exporte gehen in 50 Länder. In der EU wachsen die Absatzmärkte Deutschland, Österreich, Frankreich und Spanien stark. Medartis beschäftigt in Basel 380, weltweit 950 Mitarbeitende.

Wie so viele in der Medtech-Branche ist auch Medartis mit den Zertifizierungsproblemen in der EU konfrontiert. Dieser hoch spezialisierte Wirtschaftszweig war das erste Opfer nach der Kündigung des Rahmenabkommens mit der EU. Der Wegfall der gegenseitigen Anerkennung für Medizinprodukte habe die Schweizer Medtech-Branche erheblich getroffen und führten zu einem Wettbewerbsnachteil für Schweizer Unternehmen, sagt Medartis-Sprecher Fabian Hildbrand.

Ausserdem sei das Zulassungsprozedere in der EU selbst komplexer geworden. «Wir konnten uns zwar über mehrere Jahre auf das veränderte Zertifizierungssystem einstellen, doch die Herausforderungen bleiben erheblich», so Hildbrand. Zudem gebe es weniger Stellen, die EU-zertifiziert sind. Entsprechend seien die Wartezeiten gestiegen. 

Trumps Drohungen wirken 

Medartis produziert schon seit 2024 erste Serien in den USA, vorwiegend Halbfertigprodukte für die Schraubenproduktion. Aber dieses Geschäft werde kontinuierlich ausgebaut, heisst es bei Medartis, unter anderem wegen der  Zoll-Drohungen von US-Präsident Donald Trump. Die lokale Fertigung wird aber auch wegen der unmittelbaren Nähe zum US-Markt vorangetrieben.  In diesem Jahr beginnt Medartis in den USA mit der lokalen Plattenfertigung.

Implantat von Medartis, made in Basel.
Implantat von Medartis, made in Basel. (Bild: Yvan Steiner)

Christof Klöpper, CEO Basel Area Business & Innovation, relativiert die Klagen der Industrie. «Natürlich sind die Bestimmungen der EU für Schweizer Medtechfirmen eine Erschwernis.  Aber lokale Firmen würden vom dynamischen Ökosystem, das auch die gut vernetzte Medtech-Industrie in den Kantonen Baselland und Jura umfasst, profitieren, sagt Klöpper. Die Präsenz von zahlreichen grossen und kleinen Firmen und Forschungseinrichtungen begünstige Kooperationen, die Innovationen im Bereich Medtech möglich machten. So biete der Standort Basel «Vorteile, welche die Nachteile wieder wettmachen», ist er überzeugt.

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