«Ich hasste es, eine Frau zu sein»
Jede zehnte Frau* leidet an Endometriose. Bei jeder äussert sich die Krankheit anders. Wie? Fünf Frauen berichten über Kollapse, Unverständnis von Fachpersonen und die Einsamkeit, die diese Krankheit mit sich bringt.
Nachdem «Warum weinen Sie? Ich sehe ja nichts», unser Artikel über Endometriose, erschien, haben wir viele Rückmeldungen von betroffenen Frauen bekommen – fünf davon erzählen hier ihre persönliche Leidensgeschichte.
* Selbstverständlich können auch Trans-, Inter- und nonbinäre Menschen an Endometriose erkranken. Voraussetzung ist eine Menstruation.
Isabelle (37): Schwindel, Angstzustände, Libidoverlust
Seit fünf Uhr liege ich jetzt wach in meinem Bett – geplagt von Schmerzen. Ich bin Pflegefachfrau am Basler Unispital auf der Coronastation und heute ist mein erster freier Tag, nach fünf Tagen arbeiten am Limit.
Die Schmerzen, das Unwohlsein und die Müdigkeit haben schon vor ein paar Tagen begonnen. Da ich aber eine sehr gewissenhafte und verantwortungsvolle Mitarbeiterin bin, habe ich trotz allem hundert Prozent gegeben. Ich kann ja nicht jeden Monat eine Krankmeldung machen. Also schleppe ich mich oft vollgepumpt mit allen möglichen Schmerzmitteln durch die Arbeitstage. Manchmal sind die Krämpfe so stark, dass ich kurz vor einem Ohnmachtsanfall stehe. In all den Jahren habe ich mich einmal für einen Tag krankgemeldet. Für meine Schmerzen ernte ich oft Unverständnis, was dazu führt, dass ich mich schon gar nicht mehr traue, über meinen Leidensdruck zu reden. Meine Freund*innen und Familie ausgenommen, die sind mir eine grosse Stütze und tragen mich sehr liebevoll durch die Tage.
Seit etwa 15 Jahren gehört die Endometriose zu meinem Leben. Wenn ich dir das so schreibe, merke ich, dass 15 Jahre eine verdammt lange Zeit sind. In diesen 15 Jahren habe ich dreimal die Gynäkologin gewechselt, in der Hoffnung, dass ich endlich gehört und verstanden werde.
Ich hatte früh den Verdacht, dass Endometriose der Grund für meine Schmerzen ist. Aber meine beiden ersten Gynäkologinnen wollten nichts davon hören. Erst die aktuelle Frauenärztin konnte durch eine umfassende Untersuchung mein Gefühl bestärken. Die «Lösung» war aber auch bei ihr die Pille. Aus Not habe ich mich darauf eingelassen, obwohl ich nicht so radikal in meinen Hormonhaushalt eingreifen möchte. Die Pille führt bei mir zu weniger Krämpfen, dafür bekomme ich Angstzustände und eine deutlich herabgesetzte Libido. Als ich meiner aktuellen Frauenärztin davon erzählte, sagte sie: «Sie müssen sich halt entscheiden, was Ihnen wichtiger ist.»
Nach fünf Monaten entschied ich mich für die Schmerzen und setzte die Pille wieder ab. Das Traurige ist, dass meine Frauenärztin Mühe hat, mich in dieser Entscheidung zu verstehen. Einmal sagte sie: «Frau Linsenmann, das Gute daran ist, dass die Menopause absehbar ist. Sie haben in ihrem Leben schon länger menstruiert, als Sie noch menstruieren werden!» Bestimmt wollte sie damit nur ihre eigene Unsicherheit ausdrücken und einen aufmunternden Spruch machen, aber ihre Aussage hat mich damals sehr getroffen. Wieso sind wir der Medizin so unwichtig? Wieso müssen wir uns «einfach damit abfinden»? Das verstehe ich nicht und es macht mich traurig und wütend.
Andrea Anna (43): Schmierblutungen, Krämpfe, Durchfall, Unfruchtbarkeit
Mit 11 fing es an. Ich hatte Krämpfe, gefolgt von Magenschmerzen, Durchfall und Erbrechen. Ab da lief es jeden Monat so ab.
Mit 18 hatte ich drei Frauenärzte durch. Alle verschrieben mir eine Pille, jedes Mal eine andere, und jedes Mal brachte sie wieder nichts. Ein Arzt meinte, ich hätte wohl einen Reizmagen und -darm, konnte sich aber nicht erklären, wieso die Schmerzen ausgerechnet während der Regel so stark waren, dass ich kaum laufen konnte. Es kam immer wieder derselbe Satz: Frauenprobleme sind während der Periode normal. Wie sehr ich diesen Satz hasse.
Mit 25 waren die Schmerzen so stark geworden, dass ich manchmal eine ganze Woche lang weinend im Bett lag – aus Ratlosigkeit und Wut darüber, dass ich da durch musste. In diesen Momenten hasste ich es, eine Frau zu sein. Einmal war ich alleine in meiner Wohnung und hatte extreme Krämpfe mit wiederkehrender Migräne. Ich konnte nicht aufstehen, mir war schlecht. Innert zwei Stunden warf ich fünf Dafalgan ein, die nichts brachten. Weinend rief ich meine Hausärztin an, ob sie nicht was machen kann, ich sei verzweifelt und könne nicht mehr. Sie meinte bloss, ich solle kein Baby sein, das seien halt Frauenbeschwerden, da müsse man durch. Ein paar Tage später kam meine Regel, die Schmerzen wurden erträglicher. Nur um dann nach ein paar Tagen wieder anzusteigen. Es war die Hölle.
In den ganzen Jahren suchte ich immer wieder neue Frauenärzte auf, die mir neue Pillen verschrieben. Nichts half. Ich hörte Kommentare wie vielleicht sei es psychisch, vielleicht würde ich mir diese Schmerzen nur einbilden. Eine Ärztin sagte einmal, dass ich doch in Wahrheit vielleicht auf Frauen stehen würde und die Schmerzen vorschieben würde, um nicht mit meinem Freund schlafen zu müssen. Andere sagten, wenn ich nur ein Baby bekäme, würden die Schmerzen sicherlich aufhören. Jedes Mal verliess ich weinend und verwirrt die Praxis. In jedem dieser Momente hasste ich mich und meinen Körper.
Auch Sex war eine Qual, es fühlte sich jedes Mal an, als würde jemand mit einer Klinge in mich eindringen und mich von innen aufschlitzen. Danach hatte ich tagelang Schmierblutungen und Schmerzen im Unterleib. Ich blutete manchmal auch während des Geschlechtsverkehrs, was eine andere Ärztin ebenfalls als normal abtat. Für meine Beziehungen war das Gift, sie gingen alle in die Brüche.
Mit 30 fing meine Periode an, sich zu stauen. Ganz lange kam kein Blut und dann musste ich plötzlich sehr schnell auf Toilette, wo es förmlich aus mir herausschoss. Wie bei einem Wasserhahn, den man nach 5 Minuten wieder langsam zudreht. Dazu kamen Krämpfe und Durchfall. Ich verlor regelmässig das Bewusstsein oder sank vor Schmerz in die Knie.
Eine gute Freundin war meine Rettung. Sie war bei mir zum Kaffeetrinken, als ich vor Schmerz zusammensank und aufs WC rannte, um das Blut loszuwerden. Meine Freundin wusste sofort, was los war und organisierte einen Termin mit einer Fachärztin in Bern.
Ich fuhr also nach Bern, wo an zwei Terminen verschiedene Untersuchungen gemacht wurden. Man fragte mich, wann ich meine letzte Regel hatte und ich weiss noch, wie ich antwortete, dass ich es nicht wisse. Die täglichen Schmierblutungen waren zu meinem Alltag geworden. Da fiel zum ersten Mal dieses Wort: Endometriose. Ich hatte es nie zuvor gehört. Ein Operationstermin wurde vereinbart, knapp eine Woche nach der Untersuchung. Nachdem mich so viele Jahre niemand ernstgenommen hatte, ging es jetzt plötzlich sehr schnell.
Die OP dauerte länger als angenommen. Als ich wieder zu mir kam, trat die Ärztin an mein Bett und erklärte mir, dass ich innerlich fast verblutet wäre. Mein linker Eileiter und Eierstock waren zertrümmert wie ein Minenfeld, der Gebärmuttereingang fast zugewachsen. Alles voller Endometrioseherde. Das Blut hatte sich gestaut, weil es durch all die Verwachsungen nicht mehr abfliessen konnte.
Damals war ich 36. Ich bekam eine Dauerpille verschrieben, so dass ich keine Regelblutung mehr hatte, und wachte jetzt jeden Morgen ohne Schmerzen auf. Das Gefühl kann ich gar nicht beschreiben, es war so schön. Ich fand auch eine Frauenärztin, die mich ernst nahm – zum ersten Mal in meinem Leben. Leider ging sie vor drei Jahren in Pension. Jetzt habe ich eine Ärztin, die sagt, ich solle mir doch einen alten Mann suchen, der auch nicht mehr könne. Diese Sprüche treffen mich sehr.
Die Endometriose hat vieles in meinem Leben kaputt gemacht. Ich habe keine Kinder und werde nie welche haben können. Geschlechtsverkehr tut immer noch sehr weh, was ich immer offenlege, wenn ich einen Mann kennenlerne. Häufig höre ich danach nichts mehr.
Noch heute habe ich bei jedem kleinen Krampf Angst, dass es wieder die Endometriose ist. Aber ich versuche die Tage so zu nehmen, wie sie sind. Auch wenn ich partnerschaftliche Zweisamkeit vermisse, sind mir meine Hunde ein Trost.
Ich würde mir wünschen, dass Endometriose kein Tabuthema mehr ist, und dass sich keine Frau dafür schämen muss. Es gibt eine gute Selbsthilfegruppe auf Facebook, aber da habe ich mich bis jetzt noch nicht getraut, etwas zu schreiben. Trotzdem ist es mir eine Stütze wenn ich all die Erfahrungen lese. Sie zeigen mir: Ich bin nicht allein.
Sabrina (39): Darmprobleme, Schmerzen beim Sex, in vitro, geglückte Geburt
Seit dem ersten Tag meiner Periode habe ich Schmerzen. Meine Frauenärztin und Mutter sagten mir immer, das gehöre dazu, sowas sei normal. Ich dachte damals: Ok, nehme ich halt Schmerzmittel. Ich machte mir nicht gross Gedanken. Aber es wurde immer schlimmer. Auch beim Geschlechtsverkehr hatte ich wahnsinnig Schmerzen, ohne sie richtig benennen zu können. Ich besuchte verschiedene Frauenärztinnen, die eine riet mir, die Pille ganz durchzunehmen, damit ich gar keine Mens mehr hätte. Ich zog das eine Zeit lang durch, ging dann reisen und stellte auf Hormonspritzen um.
Als ich zurückkam, fühlte ich mich komplett verschoben. Meine Mens war zurückgekommen und mit ihr anhaltende Schmerzen, vier, fünf Tage im Monat. Dazu litt ich an Durchfall und Rückenschmerzen. Manchmal waren sie so stark, dass ich nicht arbeiten konnte.
2014 bin ich kollabiert. Ich war im Fitnessstudio in der Sauna und spürte plötzlich einen starken Schmerz im Unterbauch. Mit aller Kraft schleppte ich mich zur Toilette, wo ich mich übergab. Eine Freundin schaute nach mir und versuchte mir zu helfen, aber ich kam nicht mehr hoch. Ich dachte damals, ich hätte einen Herzinfarkt. «Ich kann nicht mehr», sagte ich meiner Freundin, worauf sie meine Eltern anrief. Die fuhren mich ins Krankenhaus, wo man mich erst gar nicht untersuchte, sondern sofort auf Blinddarm schloss. Irgendwann schickten sie mich dann doch auf den gynäkologischen Notfall.
Auf dem Ultraschall war nichts zu sehen, also behielten sie mich über Nacht da, um bei Verschlechterung meines Zustands eine Bauchspiegelung zu machen. Am nächsten Tag hatte ich tatsächlich eine Operation. Danach kam eine Ärztin in mein Zimmer und erklärte mir, dass ich von einer schlimmen Endometriose befallen sei und man mir den Eierstock ausschaben hatte müssen. «In ihrem Bauch sieht es so schlimm aus, dass Sie wahrscheinlich nicht mehr schwanger werden können», sagte sie. Diese Aussage traf mich sehr, auch wenn ich damals keinen Kinderwunsch hatte. Ich wusste: Darüber entscheidest jetzt nicht mehr du, sondern dein Körper.
Trotzdem war ich froh um die Diagnose. Endlich kannte ich den Grund für meine jahrelangen Schmerzen. Ich begab mich in die Obhut einer Spezialistin. Diese sagte mir, ich solle sofort durchgehend die Pille nehmen. Zusätzlich zu den Endometriose-Herden in den Eierstöcken und an der Darmaussenwand hatte ich auch noch massive Verwachsungen im inneren Becken, einen sogenannten «frozen pelvis». Ich wusste: Eine Operation bedeutete möglicherweise einen künstlichen Darmausgang. Ausserdem ist so eine Operation keine Garantie dafür, dass es besser wird. Und Verschwinden tut die Endometriose sowieso nie ganz.
Nachdem ich mir eine Zweitmeinung eingeholt hatte, entschied ich mich für eine Hormontherapie. Ich wurde auf Visanne gesetzt, was für mich in dem Moment gut passte. Dann lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Ich sagte ihm früh, dass es bei mir schwierig werden könne mit dem Kinderthema, was er nachvollziehen konnte, weil bei ihm zuvor eine schlechte Spermienqualität diagnostiziert worden war. Es war also ziemlich schnell klar, dass wir wohl nicht auf natürlichem Weg schwanger werden konnten.
2018 setzte ich Visanne ab und begann mit in vitro. Meine Eileiter sind komplett zu, anders hätte eine Befruchtung nicht funktioniert. Wir hatten unglaubliches Glück, es klappte beim ersten Mal und ich wurde schwanger. Und 2019 kam unsere Tochter per Kaiserschnitt zur Welt.
Nach der Geburt nahm ich ziemlich schnell wieder durchgehend die Pille und dann Visanne. Ich bin heute symptomfrei, aber habe immer noch grosse Schmerzen beim Geschlechtsverkehr. Sex ohne Schmerzen ist für mich nicht möglich. Das ist belastend, besonders für unsere Beziehung. Ich bin hässig auf meine frühere Frauenärztin, die meine Endometriose nicht erkannte. Es gibt Menschen, bei denen wurde das mit 18 diagnostiziert und man konnte die Herde so entfernen, dass sie es heute unter Kontrolle haben. Dieses Glück hatte ich nicht. Trotzdem bin ich froh, dass ich meinen Alltag mittlerweile relativ schmerzfrei bewältigen kann.
Meine grösste Angst ist, dass ich die Endometriose an meine Tochter vererbe. Aber ich kann sie aufklären und dafür sorgen, dass es früh erkannt wird. Damit würde ich ihr das Leid ersparen können, das ich durchleben musste. Immerhin.
Anja (28): Depressionen, Darmprobleme, Unverständnis, Einsamkeit
Ich habe nie ein normales Körpergefühl gekannt. Seit ich klein war, spürte ich, dass im Bauchraum etwas nicht stimmt, ohne Worte für dieses Gefühl zu haben. Meine Blutung war immer sehr stark, und seit ich die Spirale abgesetzt hatte, zunehmend mit stechenden Schmerzen verbunden. Bis vor meiner Laparoskopie diesen Sommer musste ich den Menstruationsbecher, den ich benutze, bis zu sieben Mal am Tag leeren. Bei 12ml pro Becher sind das über 80ml Blutverlust am Tag. So viel verlieren gesunde Frauen in fünf Tagen.
Ab 14 standen aber Darm- , Haut- und Allergieprobleme im Therapiefokus. Gegen die vermutete Akne bekam ich während Jahren die Chemiebombe Isotretinoin (Roaccutan, Tretinac) verschrieben, mit mässigem Erfolg. Für die Einnahme muss man zusätzlich ein hormonelles Verhütungsmittel einnehmen, da bei Schwangerschaft ein 80-prozentiges Risiko für die Behinderung deines Kindes damit verbunden ist. Die Darmprobleme und Schmerzen wurden über die Jahre allmählich schlimmer, trotz unzähligen Experimenten und Rat von allen Fach- und Alternativärzt*innen. Auf Anraten meiner Gynäkologin liess ich mir die Spirale einsetzen und ein paar Jahre später die Kupferspirale. Ich glaube, das war die schlechteste Entscheidung meines Lebens. Ich machte damals meinen Master in London und litt während Eisprung und Periode unter abartigen Schmerzschüben. Es fühlte sich an, als würde mich jemand erstechen. Um die Blutung zu stoppen, musste ich mehrmals auf den Notfall. Meine Gynäkologin riet mir, die Spirale noch nicht zu entfernen, in der Hoffnung auf Besserung. Leider habe ich mich selbst erst nach drei Monaten ernst genug genommen, um das Ding wieder rausnehmen zu lassen.
Mit dem Kupfer im Blut und den Entzündungen im Unterbauch wurden die Darmprobleme immer schlimmer. Ich sah aus wie im sechsten Monat schwanger und konnte keinen Bissen mehr essen. Diagnose: Dünndarmfehlbesiedlung (SIBO). Bakterien vom Dickdarm wandern in den Dünndarm, da sich der Darm nicht mehr richtig bewegen und sich somit nicht mehr richtig ‘putzen’ kann. Die Diagnose war zwar korrekt - während zwei Jahren musste ich im Dreimonatstakt Antibiotika nehmen, wurde chronisch erschöpft, depressiv und unfassbar verzweifelt. Das dafür gängige Antibiotika Rifaxamin brachten mir Freunde aus Indien mit. In der Schweiz kostet eine zehntätige Therapie 300 Franken. Meistens wird es von der Krankenkasse nicht übernommen. Mir wurde damals klar: Gesundheit ist ein Privileg.
Und Gesundheit ist abhängig vom Wissensstand, von den Expert*innen, die du auf deinem Weg findest oder nicht. Keiner der Fachpersonen, die ich seit dieser Diagnose aufgesucht hatte, kam auf die Idee, dass die Ursache der Darmentzündung eine Endometriose sein könnte. Heute weiss ich, dass das eine bekannte Korrelation ist.
Ich schämte mich damals so, zum Arzt zu gehen. Zu oft war ich schon auf dem Notfall gewesen und wurde wieder nach Hause geschickt, weil man nichts fand. Die Schmerzen wurden zwar zum Glück ernst genommen, aber von deren Ursachen hatte das ganze Universum keinen Plan, so kam es mir vor.
Hast du einen gebrochenen Arm, wissen alle sofort: Der Person geht's schlecht. Aber Schmerzen ohne sichtbaren Grund? Da wirst du schnell in die Ecke der psychischen Probleme gestellt. Schon oft haben mir Bekannte gesagt: Du musst mal runterkommen. Negatives Denken verstärkt deine Schmerzen nur noch. Sie raten mir, mehr Yoga zu machen, mehr Meditation. Was sicher ein legitimer Rat ist – trotzdem hat es mich sehr verletzt. Die Problematik wird kleingeredet und die Schuld und Handlungsmacht auf einen selbst verfrachtet.
Die Bauchschmerzen verschwanden nicht, genausowenig wie der aufgeblähte Bauch. Ich verbrachte meine Freizeit erschöpft im Bett, wo ich mich stundenlang durch mögliche Erklärungen für meine Symptome klickte. Ich verpasste mein Leben - aber ich konnte nicht aufgeben. Im Juli 2020 hielt ich die Schmerzen nicht mehr aus. Ich konnte nicht mehr richtig gehen und hatte ständig das Gefühl gleich ohnmächtig zu werden. Nach langem Zögern traute ich mich endlich auf den Notfall, wo mich eine Gynäkologin untersuchte und sofort eine Notfall-OP anordnete. Im Ultraschall erkannte man ein zehn Zentimeter grosses Endometriom im Eierstock. Das machte es den Ärzt*innen endlich sehr einfach, die richtige Diagnose zu stellen: Endometriose. Im Bauchraum fanden sie zahlreiche Verwachsungen. Dies erklärte, wieso die Darmmotilität so eingeschränkt war. Eine mechanische Ursache, nach all den Pillen, die ich geschluckt hatte.
Die Antwort wäre so einfach gewesen.
Nach schneller Genesung folgten die drei besten Wochen meines Lebens. Zum ersten Mal fühlte ich mich wie eine gesunde Frau. Der Darm beruhigte sich, mein Bauch wurde flach. Der Bauchumfang schrumpfte von Grösse 38 zu 34 – 36. Ich konnte alles essen. Die Haut sah viel besser aus, nun da die Dauerentzündung behoben war. Man legte mir ans Herz, Hormone zu nehmen, um die Endometriose zu unterdrücken. Visanne oder Medikamente, die eine künstliche Menopause auslösen. Mit Anfang Dreissig in eine künstliche Menopause versetzt zu werden – davor graute es mir.
Ich versuchte verschiedene Hormontherapien, aber habe bis heute mit keiner gute Erfahrungen. Die Endometriose ist mit Gestagen Präparaten zwar besser, aber zu den Nebenwirkungen zählen Ausschläge, kompletter Libidoverlust und zu meinem Grauen auch die erneute Verlangsamung der Darmaktivitäten. Mittlerweile bin ich wieder bei den Antibiotika angekommen. Es ist ein Teufelskreis: Nehme ich nichts, habe ich unerträgliche Schmerzen und die Endometriose wuchert weiter. Lasse ich mich auf Therapien ein, kämpfe ich mit schlimmen Nebenwirkungen in der Hoffnung, einmal ohne Probleme Kinder kriegen zu können.
Das ist das Gefährliche an diesen (offenbar viel zu unbekannten) Diagnosen: Du leidest, aber sagst dir, so schlimm könne es ja nicht sein, andere Frauen haben schliesslich auch Bauchweh während ihrer Periode. Dann wartest du so lange, bis es nicht mehr erträglich ist, suchst dir medizinischen Rat - und der bestätigt deine These: Da ist nichts zu sehen. Es braucht ungeheuer viel Kraft, in solchen Momenten für sich einzustehen.
Die Recherche nach Therapiemöglichkeiten und Erfahrungsberichten geht weiter. Die Suche aufgeben würde bedeuten, den jetzigen Zustand als Status Quo zu akzeptieren. Wer kann und will das schon. Seit Jahren sehne ich mich nach einer Ruheinsel, auf der sich der Körper und Geist ein paar Wochen lang ausruhen können - ganz ohne Schmerz. Die Insel war ein paarmal ganz nah, aber ich erreiche sie nie. Ich muss immer weiterschwimmen.
Anna (54): Wehenartige Schmerzen, unerfüllter Kinderwunsch
Ab Ende Zwanzig fing es an. Ich hatte monatlich unsägliche, wehenartige Schmerzen. Sie begannen ca. 24 Stunden nach Einsetzten der Blutung und wenn sie da waren, waren sie da. Stundenlang: am Tag und in der Nacht. Ich vertrug keine Gerüche, konnte die Schmerzen nur mit einer Wärmflasche und ständiger Bewegung ertragen und wenn es ganz schlimm wurde, musste ich mich übergeben. Diese Schmerzen galten offenbar als absolut «normal». Ich sage normal, da dazumal weder meine beste Freundin, die Krankenschwester war, noch meine Gynäkologin, es offenbar seltsam fanden, dass ich solche Schmerzen hatte.
Leider hatte ich das Pech in Zürich eine unwissende Gynäkologin zu haben, welche mir Schmerzmittel empfahl, die aber nichts genützt haben. Als ich nach Basel zog, ging ich (auf Empfehlung der Zürcher Ärztin) zu einer Gynäkologin in einer Gruppenpraxis in Binningen. Sie war zwar Schulmedizinerin, sah sich aber als Naturärztin und beschwichtigte ihre Patientinnen mit pseudo-esoterischen Sätzen wie «du musst halt auf deinen Bauch hören» (zu einer Frau, die dann notfallmässig ins Spital musste) oder «das wollte das Schicksal so» (zu mir, als ich nicht schwanger wurde). Grauenhaft.
Ich ging zu ihr, weil ich mit 38 Jahren schwanger werden wollte. Sie machte eine oberflächliche Untersuchung und ein Gespräch. Keine Abklärung, keine Blutentnahme, kein Hormonspiegel-Check und kein Ultraschall – obwohl das in meinem Alter mit Kinderwunsch unabdinglich ist. Nach dem Termin empfahl sie mir chinesische Medizin bei einem anderen Arzt. Und du wirst es erraten: ich wurde nie schwanger. Nach anderthalb Jahren vergeblicher Bemühungen fand ich, dass etwas nicht stimmen konnte und verlangte bei ihr Untersuchungen, die sie schon von Anfang an hätte machen müssen, wie Ultraschall und Blutprobe. Danach hatte ich endlich Gewissheit: Ich hatte Endometriose.
Anfangs 2007 wurde ich operiert und die Schmerzen waren weg. Ich war mittlerweile 41 Jahre alt. Im Spital riet man mir, eine In-vitro-Fertilisation machen zu lassen. Leider sagte mir niemand, dass bei Frauen ab 40 die Krankenkasse diesen kostspieligen Eingriff nicht mehr bezahlt. Wir versuchten es mit einer milderen Variante, der Insemination. Wer sich diesem Prozedere aussetzt, weiss, wie viel Stress sie verursacht. Nach ein paar gescheiterten Versuchen liessen wir es sein.
Als ich den ganzen Zusammenhang und die Rolle der beiden Ärztinnen darin erfasst hatte, schrieb ich ihnen einen Brief und konfrontierte sie damit. Die Zürcher Ärztin antwortete nie und die Baslerin liess über eine Kollegin ausrichten, dass ich ja immer gewusst hätte, dass sie (als Schulmedizinerin) naturheilkundlich arbeiten würde. Kein Mitgefühl, keine Entschuldigung, kein Gespräch. Beide Ärztinnen waren vom Typ her links-feministisch-alternativ und Menschen, denen ich eine gewisse Sozialkompetenz attestiert hätte. Nun, da kann frau sich gewaltig täuschen.
Diese Inkompetenz und der ärztliche Standesdünkel haben mich noch jahrelang beschäftigt und begleiten mich bis zum heutigen Tag. Für sie war ich nur eine Patientin, für mich aber hatte ihr Verhalten einen starken Einfluss auf mein Leben: Ich musste mich mit der Tatsache abfinden, dass ich kinderlos bleiben werde. Den Kinderwunsch loszulassen ist so, als würde ein Familienmitglied sterben. Es tut bis heute weh.