«Lasst uns gemeinsam die Musikstadt Basel bunter und vielfältiger machen»

Die IG Musik fordert mehr Geld für freie Musiker*innen statt für Institutionen. Und damit eine moderne Förderpraxis. Ist das Anliegen gerechtfertigt? Im Interview sagt Co-Initiant Victor Moser, wieso Gegenwind für die politische Debatte wichtig ist.

IGMusik
Die IG Musik möchte die Kulturförderung demokratisieren.

Im vergangenen November wurde mit der Clubförderung der letzte Punkt der Trinkgeld-Initiative (TGI) umgesetzt. Damit fördert Basel-Stadt als erster Schweizer Kanton das Nachtleben staatlich. Doch für einige in der Branche ist dies nicht viel mehr als ein bescheidener Anfang, denn: Im Bereich Musik werden laut der IG Musik 2024 immer noch 90 Prozent der Fördergelder in klassische Orchester fliessen. Für Musikrichtungen wie Rock, Pop oder Jazz bleiben 10 Prozent. Sie fordert mittels ihrer Initiative für mehr Musikvielfalt eine gerechtere Verteilung. Ein Drittel der Musikförderung soll demnach freien Musiker*innen statt Institutionen zugutekommen – und die Kulturförderung ein Stück weit demokratisiert werden. 

Die Debatte verspricht, hitzig zu werden, ja gar die Musikbranche zu spalten, weil die Initiative faktisch zu einer Umverteilung führen dürfte, auch wenn die Initiant*innen stets betonen, nicht auf eine angemessene Förderung der Klassik verzichten zu wollen. So steht die Frage im Zentrum, was wir uns als Gesellschaft an Kultur leisten wollen? Anders gefragt: Ist die grosszügige Förderung der Klassik und ihrer Institutionen noch zeitgemäss? Der Zeitpunkt, um das Kulturleitbild, welches 2025 ausläuft, grundsätzlich zu überdenken, scheint ideal. Und Basel zeigt sich – auch dank des Inputs durch die Initiative – einmal mehr von seiner progressiven Seite, im Vergleich stehen Städte wie Zürich in Sachen kultureller Selbstreflexion noch am Anfang.

Gesamtsanierung und Erweiterung Stadtcasino Basel, Schweiz von Herzog de Meuron  Architekten, Basel, Schweiz, Casinogesellschaft, Basel aufgenommen am 19. Juli 2020 von Roman Weyeneth, fotografie roman weyeneth gmbh, Fotostudio Basel, Schweiz
Wohin des Weges, liebe Kulturstadt Basel?

Das Jammern am Rheinknie ist trotz der eben gesprochenen Gelder gross. Mit der Initiative für mehr Musikvielfalt wird die Unzufriedenheit derzeit an die Oberfläche gespült. Ein guter Zeitpunkt, das Kulturleitbild zu überdenken und eine Strategie zu entwickeln. Eine Auslegeordnung.

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Der Regierungsrat empfahl die Initiative letzten Juni ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung, die Bildungs- und Kulturkommission folgte dem Nein vergangenen Februar. Heute Mittwoch entscheidet der Grosse Rat über das Vorhaben. Die Bürgerlichen werden sich gemeinsam mit der GLP ebenfalls dagegen aussprechen, während SP und GAB dafür votieren. Doch den parteipolitischen Fraktions-Entscheidungen sind schwierige Diskussionen vorausgegangen. Beispielsweise schreibt die Grüne Grossrätin Jo Vergeat auf ihrem Instagram-Account: «Zermürbt wegen einer politischen Diskussion, die spaltet, was aus meiner Sicht zusammengehört.» 

Die Initiative wird wohl im Herbst zur Abstimmung kommen. Dass derartige Begehren durchaus Erfolg haben können, zeigte die Annahme der TGI Ende 2020, welche Regierung und Grossen Rat einigermassen kalt erwischt hatte. Ob das Kulturbudget nochmals mir nichts dir nichts erhöht werden würde, um die Forderung der Initiative zu erfüllen, ist fraglich. Die Rede ist schon heute von einem potentiellen Referendum von rechts. Kommt hinzu, dass sich andere Bereiche der Kulturbranche, wie beispielsweise Literatur oder Theater, von einer weiteren Budget-Erhöhung für die Musik benachteiligt fühlen dürften. Auch deshalb wird sich die IG Musik, die sich laut Stellungnahme riesig auf die Abstimmung freut, den Fragen rund um den Verteilungskampf stellen müssen. 

Hier bereits ein Vorgeschmack.

Moser
Victor Moser: «Die öffentliche Musikförderung sollte mehr auf die Interessen der Bevölkerung Rücksicht nehmen.»

Victor Moser, Sie sind Musiker und Mit-Initiator der Musikvielfalts-Initiative, was bedeutet «mehr Musikvielfalt» für die Initiant*innen? Mehr lokales Musikschaffen? Faire Gagen? Mehr Taylor Swift in Basel? 

Es wäre doch wunderbar, wenn wir mal eine Taylor Swift aus Basel hätten, oder? Aber es ist wichtig zu wissen, dass kommerziell erfolgreiche Künstler*innen grundsätzlich keine öffentlichen Fördergelder bekommen. Interessanterweise wird diese Frage bei Orchestern nie gestellt. Niemand kommt dort auf die Idee, dass Erfolg ohne Förderung möglich ist. Was wir mit der Musikvielfalt-Initiative wollen ist, dass die Steuergelder allen Genres zugutekommen und die freien Musikschaffenden fairer entlöhnt werden für ihre Arbeit. 

Wird das freie Musikschaffen mit der Trinkgeld-Initiative nicht genug unterstützt?

Nein. Die öffentliche Musikförderung sollte mehr auf die Interessen der Bevölkerung Rücksicht nehmen. Um diese zu ermitteln, hat die IG Musik gemeinsam mit dem Forschungsinstitut Ecoplan und der Uni Basel eine repräsentative Studie zum Musik-Konsum in den beiden Basel durchgeführt. Eine Erkenntnis aus der Studie: Das Bedürfnis für Klassikkonzerte wird mehrheitlich befriedigt, während sich viele Befragte in den Bereichen Pop oder Rock/Punk/Metal mehr Konzerte wünschen. Der untersuchte Musik-Konsum passt nur begrenzt mit der öffentlichen Musikförderung zusammen. 

Das wissenschaftliche Team von Ecoplan sieht die Studie nicht als Wegleitung zur Musikförderung. Wie kam es zu dieser Interpretation durch die Initiant*innen?

Weder die Studienautoren*innen noch die IG Musik haben je von einer «Wegleitung zur Musikförderung» gesprochen. Was die Studie deutlich aufzeigt ist: die Menschen hören und mögen ganz viel unterschiedliche Musik. Sie hören eben nicht nur Klassik. Gefördert werden in Basel aber hauptsächlich klassische Orchester. Aus diesen Fakten ziehen wir selbstverständlich unsere Schlüsse für die Initiative. Wenn alle Steuerzahler*innen Kultur finanzieren, dann muss das auch im Sinne der gesellschaftlichen Diversität möglichst vielfältig passieren.

«Wenn die Initiative angenommen wird, setzen wir uns gerne dafür ein, dass Basel als Kulturstadt ein grösseres Budget für die Musikvielfalt erhält.»
Victor Moser, Co-Initiant

Kommt es bei einer Annahme der Initiative zu Entlassungen? Die Initiative schürt bei klassischen Orchestern Verlustängste; 100 Musiker*innen-Stellen und die Existenz des Sinfonieorchesters (SOB) wird zur Diskussion gestellt. 

Das SOB ist wichtig für Basel und wir können uns nicht wirklich vorstellen, dass es nicht gelingen soll, ein solches Orchester in Zukunft zu finanzieren. Schwierig wird es, wenn mit solchen Argumenten Angst geschürt wird, weil der Wille fehlt, die Situation aller Musiker*innen zu verbessern und nur auf den eigenen Geldbeutel geschaut wird. Wenn die Initiative angenommen wird, setzen wir uns gerne dafür ein, dass Basel als Kulturstadt ein grösseres Budget für die Musikvielfalt erhält. 

Ist das denn realistisch? Warum wurde die Aufstockung, die sich 
auf 8.13 Millionen Franken belaufen würde, dann nicht explizit im Initiativtext gefordert?

Wenn alle mitziehen und ihre politische Lobby aktivieren, ist das absolut realistisch. Basel kann sich das leisten. Das sagt übrigens auch Franziskus Theurillat vom SOB im neusten Telebasel-Beitrag: Es braucht mehr Mittel für die freie Szene. Zuerst soll die Stimmbevölkerung aber darüber entscheiden, ob sie ein Drittel des Budgets für das freie Musikschaffen auch angemessen findet. Danach braucht es eine genaue Analyse, welche Bereiche in welcher Form zum freien Musikschaffen gerechnet werden. Die Initiative ist genau deswegen unformuliert, bietet viel Spielraum und nimmt sowohl den Kanton, die Institutionen und die Politik in die Pflicht, sich auf ein zeitgemässes Fördersystem zu einigen.

Der politische Wille ist entscheidend und das Fördersystem entwicklungsfähig. 
Victor Moser, Co-Initiant

Die unformulierte Trinkgeldinitiative forderte in ihrem Initiativtext auch keine explizite Aufstockung, sondern, dass «mindestens 5 Prozent des ordentlichen kantonalen Kulturbudgets für die aktive Jugendkultur» eingesetzt wird. 

Genau. Erst mit einem Budgetpostulat wurde die Aufstockung der TGI gesichert! Das ist doch das beste Beispiel dafür, dass der politische Wille entscheidend und das Fördersystem entwicklungsfähig ist. 

Der Verein Netzwerk Kulturpolitik (VNK) forderte einen Gegenvorschlag zur Initiative. Doch der Bildungs- und Kulturkommission (BKK) war Ihre Initiative zu wenig konkret. Hätte die IG Musik da nicht mehr rausholen können?

Es hat uns sehr gefreut, dass der VNK die Grundanliegen der Initiative unterstützt. Dass das Netzwerk gleichzeitig einen Gegenvorschlag forderte, in welchem die Umsetzung durch eine Erhöhung des Budgets finanziert wird, ist für uns nachvollziehbar. Wir hätten Hand geboten für einen Gegenvorschlag, jedoch konnte sich die BKK nicht zur Prüfung eines Gegenvorschlag durchringen. Das war für uns sehr bedauerlich.*

«Gegenwind ist unser Fahrtwind», sagte die IG Musik in der bz. Was ist die Strategie dahinter?

Gegenwind ist wichtig für die politische Debatte. Wir verstehen auch die Ängste der Institutionen. Aber die aktuelle Verteilungssituation lässt sich einfach kaum erklären. Die Jobsituation der freien Musiker*innen ist entsprechend katastrophal. Das wissen wir selbst aus unserem Freundeskreis. Die Zahl dazu: 67 Prozent der selbständig erwerbenden Musiker*innen verdienen bei 45 Arbeitsstunden pro Woche weniger als 3’333 Franken pro Monat. Das ist einer so reichen Stadt wie Basel nicht würdig. Lasst uns also gemeinsam die Musikstadt Basel bunter und vielfältiger machen!

*Präzisierung der Redaktion: Im Bericht der Bildungs- und Kulturkommission (BKK) zur Initiative heisst es: «Nachdem die Kommission die Beratung des Geschäfts bereits beendet hatte, erreichte sie ein Schreiben von etablierten und staatlich unterstützten Institutionen des Kantons Basel-Stadt. Mit dem Schreiben wurde die BKK darum ersucht, in Erwägung zu ziehen, einen konstruktiven Gegenvorschlag zur Initiative auszuarbeiten.» Dieser Antrag wurde abgelehnt.

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Valerie Zaslawski

Das ist Valerie (sie/ihr):

Nach einem ersten journalistischen Praktikum bei Onlinereports hat Valerie verschiedene Stationen bei der Neuen Zürcher Zeitung durchlaufen, zuletzt als Redaktorin im Bundeshaus in Bern. Es folgten drei Jahre der Selbständigkeit in Berlin, bevor es Valerie zurück nach Basel und direkt zu Bajour zog, wo sie nun im Politikressort tätig ist.

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