Annekäthi und die Kirschbäume

Die Chirsi-Zeit zeigt exemplarisch, wie schwierig es ist, heute einen eigenen Hof zu betreiben. Zu Besuch bei einer jungen Landwirtin, die es wagt.

Annekäthi Schaffter im Quittenbaum
Ja, wir wissen es: Das ist ein Quittenbaum. Für Annekäthi im 🍒-Baum bitte hier lang: ⤵️

Prallgefüllte Bäume am Dorfrand von Metzerlen tuns kund: Es ist Chirsi-Zeit. Rund 200 dieser Bäume gehören Annekäthi Schaffter. In früheren Sommern stellte ihre Familie jeweils 5–10 Personen allein für die Ernte dieser kleinen Früchte an. Heute ist das anders. Weshalb, erzählt die 35-Jährige auf der Terrasse ihres Elternhauses. Annekäthi sitzt im Schatten und hat die Füsse auf den Stuhl hochgezogen. Ihre Schuhe könnten auch einer Wanderin gehören. 

Seit über 260 Jahren führte ihre Familie den «Chirsgartehof», bis Annekäthi 2019 die Betriebsleitung übernahm. Und damit auch die Verantwortung. Dass sie einmal die Familientradition weiterführen würde, war für Annekäthi aber nicht immer klar. Ihre vier Brüder gingen andere Wege, studierten oder machten Ausbildungen ausserhalb der Landwirtschaft. Auch Annekäthi studierte, Altertumswissenschaften und Osteuropäischen Kulturen an der Uni Basel, und unterrichtete währenddessen mehrere Jahre Latein. 

An den Wochenenden und in den Ferien arbeitete sie jeweils bei ihren Eltern. Irgendwann stellte sich dann die Frage, wie es mit dem Hof weitergehen soll. «Dann habe ich realisiert, dass ich ja gar nicht mehr hierherkommen könnte, zum Arbeiten und zum Sein, wenns niemand übernimmt», erzählt sie. Dann sei «zimmli schnell» klar gewesen, dass sie das machen will. 

Hochstammbaum Kirsche Chirsi
Gehören zusammen: Leitern und Hochstammbäume.

Annekäthi spricht mit ruhiger, unaufdringlicher Stimme und nimmt ab und zu einen Schluck Kaffee. Sie wirkt bescheiden. Ihre Arme liegen locker auf der Armlehne. «Meistens bin ich schon relativ entspannt», bestätigt Annekäthi und lacht. Trotz der anstrengenden Arbeit, den langen Tagen, der Verantwortung. Zum Hof gehören neben Obstbäumen – insgesamt 300, ⅔ davon sind Kirschen – auch Kühe, Getreidefelder und ein kleiner Laden mit allerhand Eigenprodukten.

Die Eltern Schaffter arbeiten noch heute mit, die Mutter vor allem im Laden, der Vater draussen und bei den Kühen. «Wenn dus gerne machst, ist es nicht so viel Arbeitszeit. Und ich mach oft auch nicht ewigs, wenn ich nicht muss.» Sie grinst. Klar, wenn man zum Beispiel heuen müsse und zu den Wochenenden hin werde es meist streng, aber, findet Annekäthi und zuckt mit den Schultern, «das isch eigentlich ame au no schön.» Sie hätten nicht regelmässig 12-Stunden-Tage. Wie gesagt: bescheiden.

Hohe Suizidrate bei Bäuer*innen

Aber jetzt mal Klartext: Die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft sind kein Zuckerschlecken. Gemäss Agrarbericht 2021 arbeiten Landwirt*innen durchschnittlich 54 Stunden pro Woche, Ferien sind rar. Zukunftsängste und Geldsorgen sind zwei der Gründe, weshalb die Suizidrate unter Bäuer*innen im Vergleich zu anderen Branchen hoch ist. «Solche Fragen treiben mich weniger um», sagt Annekäthi. «Ich glaube, bei meinen Eltern war das happiger, sie mussten viel investieren, neu bauen, hatten Kinder. Das habe ich jetzt alles nicht.»

Ja, räumt sie ein, viel Planungssicherheit habe sie eigentlich nicht. «Aber das Gute ist, dass ich nicht einen grossen Betriebszweig habe, von dem alles abhängt. Mit der Direktvermarktung im Hofladen kommen wir gut durch.»

Auf dem Weg zu den Chirsibäumen geht Annekäthi am Laden vorbei. Am Stand draussen rückt sie schnell die Sirupflaschen zurecht, die von Hand beschrifteten Etiketten nach vorne, sortiert die Tüten mit verschiedenen Broten und Zöpfen. Im kleinen Raum nebenan: Konfitüren und Kompott, aber auch Kräutersalze und Würste.

Angefangen hat das alles vor etwa 25 Jahren – und das hat durchaus mit einer Entwicklung zu tun, die die junge Landwirtin noch heute beschäftigt. Damals begann ihre Mutter, die hofeigenen Zwetschgen zu Konfi zu verarbeiten, weil sie diese nicht mehr an den Grosshandel verkaufen konnte. Mittlerweile ist das auch bei anderen Erzeugnissen so, jüngstes Beispiel: Hochstammkirschen.

Annekäthi Schaffter Werkstatt
Annekäthi sorgt für Ordnung.

Seit einigen Jahren werden in den Läden vor allem grosse Kirschen nachgefragt. «Allein schon deshalb hatten wir immer viel Ausschuss», erzählt Annekäthi. Zudem seien die Kirschen von den Hochstammbäumen relativ heikel beim Transport und in der Lagerung. Das grösste Problem seien Kirschessigfliegen. Die kleinen Insekten legen ihre Eier in die reifen Früchte, sowohl wenn diese noch am Baum hängen, als auch wenn sie bereits gepflückt sind. Aus den Eiern schlüpfen kleine Würmchen. In relativ kurzer Zeit werden die Kirschen sauer. Das Problem ist beachtlich: «Manchmal muss man deswegen die Hälfte der Ernte wegwerfen.» Das heisst auch, dass es für Produzent*innen wie Annekäthi schwierig ist, vorauszusagen, wie viel Ernte sie haben werden. Denn wie viele Kirschen schon am Baum betroffen sind, merkt man erst, wenn man sie in die Hand nimmt. 

Von der Kirschessigfliege gestochen

Bei den Bäumen angekommen, demonstriert Annekäthi: «Man kann sie so ein bisschen drücken. Schau, da kommt jetzt Saft aus diesem kleinen Loch.» Das Chirsi ist «gestochen», der Wurm drin. Die Landwirtin steigt auf die Leiter, pflückt hampfelweise Kirschen und prüft eines nach dem anderen. Viele davon landen auf dem Boden. «Das auch, das auch», murmelt sie. 

Für dieses Fliegenproblem gibt es eine Lösung: Kirschbaum-Anlagen. Die dort angepflanzten Bäume sind dicht in Netze eingepackt. Auch davon gibts in der Region um Metzerlen einige. Diese Art des Anbaus ist zwar kostspielig, hat aber viele Vorteile: Die Bäume können dichter aneinander wachsen – Hochstammbäume brauchen einen Abstand von zehn Metern –, man muss zum Ernten nicht so hoch auf eine Leiter steigen, und die Netze schützen die heiklen Früchte vor dem Wetter und halten Insekten fern. 

Annekäthi Schaffter im Kirschbaum
«Das auch, das auch.» Annekäthi prüft ihre Chirsi auf Stiche der Kirschessigfliege.

«Diese Kirschen werden nun im Grosshandel bevorzugt und wir können unsere deshalb nicht mehr so gut verkaufen», erzählt Annekäthi. Aber sie will nicht miesepetrig sein: «Jetzt stellen wir halt weniger Leute ein, machen die Früchte ein und können so einen Teil gut loswerden.» Ausserdem verkaufen sie die Ernte auf dem Hof, manchmal auch an die türkischen Lädeli in Basel. «Diese Entwicklung ist für uns nicht so gravierend», sagt die 35-Jährige. «Aber schade ist es schon. Und für uns ist auch biz eine Identitätssache, weil die Chirsi früher so zu unserem Hof dazugehört haben.» 

Müssen die Bäume, wenn sich der Markt weiter in die gleiche Richtung entwickelt, also bald etwas anderem weichen? «Neinei», winkt Annekäthi lächelnd ab. Es gebe immer noch viele Leute, die Hochstammfrüchte schätzen würden und dafür extra zum «Chirsgartenhof» kommen. «Zudem stehen die Bäume ja auf unseren Weiden, spenden den Kühen also immer noch Schatten und bieten vielen Tieren und Insekten einen Lebensraum. Im Weg sind sie jedenfalls nicht.» 

Annekäthi winkt zum Abschied, ihr Gemüsegarten ruft. Nach einem frühzeitigen Feierabend klingt das nicht. Aber deshalb ist sie auch nicht Landwirtin geworden.

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