Was bedeutet die Jubiläumsfeier für jüdische Menschen in Basel?
Am Wochenende wird in Basel das 125-Jahre-Jubiläum des 1. Zionistenkongresses gefeiert. Was bedeutet das jüdischen Menschen in Basel?
Vor 125 Jahren fand der Erste Zionistenkongress im Basler Stadtcasino statt. Zu Ehren des historischen Ereignisses – der Historiker Georg Kreis schreibt ihm Qualitäten eines Gründungsmythos’ zu – finden dieser Tage und besonders am 28. und 29. August verschiedene Veranstaltungen statt. Zur Jubiläumsgala am Montagabend werden über 1’000 Gäste aus aller Welt erwartet, darunter auch der Israelische Staatspräsident Jitzchak Herzog.
Im Vorfeld beschäftigen die Öffentlichkeit vor allem Sicherheitsmassnahmen, eine angekündigte Demo mit dem Titel «Free Palestine – No Zionist Congress» am Sonntag, das erwartete grosse Polizei- und Militäraufgebot und die kurzfristige Verschiebung der Veranstaltungsreihe «Zionismus - Traum & Wirklichkeit».
Aber was bedeuten diese Jubiläumsfeierlichkeiten jüdischen Menschen in Basel? Fünf ganz persönliche Blickwinkel:
Rolf Stürm
72 Jahre, Mitglied der Israelitischen Gemeinde Basel und der Liberalen Jüdischen Gemeinde in Zürich, ehemaliger FDP-Grossrat (2005–2009)
«Ich sage von ganzem Herzen ja zu dem, was die World Zionist Organization geschafft hat und finde es richtig, dass das gefeiert wird. Dabei feiern wir nicht den Zionismus und wir feiern auch nicht den Staat Israel, sondern das Jubiläum einer internationalen Vereinigung, die ganz wichtig für die Gründung des demokratisch regierten Staates Israel war. Theodor Herzl hatte einen Traum, und dieser wurde verwirklicht. Was danach passiert ist, nach dem 6-Tage-Krieg und Jom-Kippur-Krieg, in den besetzten Gebieten und so weiter – dafür ist nicht die WZO, sondern der Staat zuständig. Bei allen visionären, ja gar prophetischen Qualitäten, die ich Herzl zugestehe, bin ich sicher, dass er nicht vorausgesehen hat, wie sich das alles entwickeln wird.
Sehr bedauerlich finde ich deshalb auch, dass eine Demonstration stattfinden muss, die nicht sehr reflektiert mit den Unterschieden von jüdisch, zionistisch und israelisch umgeht. Ihre Kritik richtet sich gegen den Staat – und die Jubiläumsfeier einer internationalen Organisation ist dafür einfach nicht der richtige Ort. Vom offiziellen Teil der Feier bekommen wir als lokale Juden übrigens nicht viel mit, es ist ja auch kein lokaler Anlass. Was mich aber schon lange sehr interessiert, sind die Veranstaltungen, die jetzt im Vorfeld zu den Feierlichkeiten stattfinden. Diese sind für die lokale Bevölkerung und ermöglichen konstruktive Diskussionen. Hoffe ich zumindest.»
Gabrielle Girau Pieck
54 Jahre, inter-spirituell, Gymnasiallehrerin und Theologin
«Ich habe das Jubiläum bisher nicht so wahrgenommen und weiss auch nicht genau, was das Programm am Wochenende ist. Zwar bin ich in den USA in einer sehr zionistischen Familie aufgewachsen: Meine Grosseltern hatten vier Kinder und Israel war für sie wie ein fünftes Kind. In unserem Wohnzimmer hing ein grosses Bild, auf dem Theodor Herzl und der Rhein abgebildet waren. Was das aber wirklich bedeutet, ist mir erst klar geworden, als ich nach Basel gezogen bin.
Was mir die Feierlichkeiten persönlich bedeuten, weiss ich also nicht so genau. Ich liebe Israel, habe auch da gelebt und finde es gut, dass das jüdische Volk heute ein Land hat, das ein sicherer Hafen ist. Aber das alles ist auch kompliziert. Es gibt viel Leid in Israel, auf beiden Seiten. Ich kann auch verstehen, dass es eine Demonstration gegen die Feier gibt – weiss aber nicht, ob uns das wirklich weiter bringt. Ich habe sehr viele Fragen, zum Beispiel: Wie können wir gemeinsam in die Zukunft gehen? Es ist wirklich kompliziert.»
Yves Kugelmann
51 Jahre, Chefredaktor Jüdisches Wochenmagazin Tachles
«Feierlichkeiten per se sind mir nicht wichtig, sondern die Frage, mit wie viel Sinn, Inhalt, Qualität sie bespielt werden. Wichtig wären Einordnung, Kontextualisierung, Verhandlung der Kongresse, was daraus folgte und welche Bedeutung sie allenfalls in der Gegenwart haben. Im Gegensatz zu früheren Feiern zum 100. oder 75. Jubiläum ist das angekündigte Programm auf dürftigem Niveau und findet weitgehend unter Ausschluss der Stadt- und weiteren Gesellschaft statt.
Das Jubiläum wäre ja eine Steilvorlage für die Diskussion brennender Themen zu Judentum, Israel, Zionismus und vielem mehr. Leider haben sich die Organisatoren nur auf Pflicht statt Kür geeinigt und präsentieren ein fades, wenig relevantes und ausweichendes Programm, das weit entfernt ist von der inhaltlichen und personellen Exzellenz an den Basler Kongressen bis 1946. Zu Ihrer Frage der angekündigten Demonstrationen: Kritik und Widerspruch sind Teil des Schweizer Selbstverständnisses in einem demokratischen Rechtsstaat. Beide müssen ausgehalten werden und sollen zugleich auf adäquatem Niveau stattfinden.»
Die Anlässe am 28. & 29. August werden von der World Zionist Organization verantwortet, die vorgängigen Veranstaltungen von diversen Organisator*innen:
- Dienstag, 23.08., online
: Zionismus: Traum und Wirklichkeit - Mittwoch, 24.08., Universität Basel: Traum oder Trauma? Stimmen aus Israel und Palästina
- Donnerstag, 25.08., Universität Basel: What Role Does Religion Play in the Middle East Conflict?
- Samstag, 26.08., Stadtcasino: Solidaritätsanlass der Internationalen Christlichen Botschaft Jerusalem
- Sonntag, 28.08. & Montag, 29.08., Congress Center Messe: Herzl Social Impact Entrepreneurship Summit & The Herzl Leadership Conference
- Montag, 29.08., Stadtcasino: Gala Event
Guy Rueff
66 Jahre, modern-orthodox, Präsident der Israelitischen Gemeinde Basel von 2008–2018
«Ich freue mich auf die Jubiläumsfeier und werde selbst am Montagabend auch dort anwesend sein. Für mich ist das fast ein Deja-vu, weil ich als Präsident der IGB vor fünf Jahren mitgeholfen habe, einen Festakt zum 120-Jahr-Jubiläum des Zionistenkongresses zu organisieren. Das ist dann zwar aus verschiedenen Gründen nicht zustande gekommen, aber schon damals habe ich erlebt, wie positiv die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Amtsstellen und der Polizei in Basel waren. Unsere Stadt ist bekannt dafür, offen gegenüber allen Religionen und Ideen zu sein und das war schon vor 125 Jahren so. Ich schätze, dass damals in Basel ermöglicht wurde, den Grundstein für einen jüdischen Staat zu legen.
Die Feier am Wochenende ist, wie wenn wir eine 700-Jahr-Feier für die Schweiz machen. Ihrer Gründung gedenkt man ja auch. Ich habe durchaus gewisse Sympathien für den Zionismus, weil ich weiss, wie schwierig das für Jüdinnen und Juden gewesen ist, nie irgendwo akzeptiert zu sein. Um das zu ändern, hat es den Zionismus gebraucht. Ich würde mich deshalb aber nicht als Zionist bezeichnen. Ich bin Schweizer, Basler, Jude. Über die heutige Politik kann man geteilter Meinung sein und es ist auch richtig, wenn man dazu Kritik äussert oder demonstriert – solange Israel nach den gleichen Massstäben beurteilt wird wie andere Staaten und es nicht antisemitisch wird. Aber logisch kann man diskutieren und versuchen, Lösungen für die Probleme in Israel zu finden.»
N.C.
20 Jahre, nicht religiös, wohnt seit 9 Jahren in Basel, will lieber anonym bleiben
«Ich bin definitiv sehr zionistisch. Aber das Jubiläum des 1. Zionistenkongresses selber bedeutet mir nicht unbedingt etwas. Ich habe nicht einmal gewusst, dass deshalb dieses Wochenende in Basel etwas stattfindet. Ich unterstütze sehr, dass Juden ein Land haben können, das ihnen gehört und wo sie sich sicher fühlen können. Das ist ein essentieller Teil für unser Überleben. Ob das jetzt wirklich Israel sein musste, wo schon andere Leute gewohnt haben, das muss ich noch mit mir selber ausdiskutieren. Ich habe jedenfalls Familienmitglieder, die aus diesem Grund antizionistisch geworden sind. Aber die Vergangenheit kann man nicht ändern und für mich ist Israel der einzige Ort auf der Welt, an dem ich mich komplett wohl fühle und keine Angst habe, dass mir etwas passiert.
Was ich schon sehe: Die Palästinenser brauchen Hilfe und ihre Situation muss sich ändern. Und ich verstehe auch, dass es deshalb eine Demonstration geben wird, alle haben das Recht, ihre Meinung zu äussern. Aber eine Lösung habe ich nicht und ich weiss auch nicht, ob die Demonstranten eine haben. Viel wichtiger als solche Feiern oder Demos finde ich, was wir jeden Tag machen.»
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