«Heute überwiegt die Erleichterung»
Nach 738 Tagen sind die lebenden Geiseln, die von der Hamas im Gazastreifen festgehalten wurden, frei. In Tel Aviv versammelten sich Zehntausende Menschen und feierten ihre Rückkehr. Auch unter Basler Jüd*innen ist die Erleichterung gross – die Hoffnung auf einen Frieden aber verhalten.
Michal Lewkowicz
Für mich als Jüdin und Israelin ist heute ein historischer Tag. Es ist bewegend und berührend, diese Bilder aus Israel zu sehen. Zu wissen, dass nun keine lebenden Geiseln mehr in Gaza sind, ist so befreiend. Ich habe das Gefühl, dass ich endlich wieder atmen kann.
Es ist aber auch ein komplexer Moment, denn es gibt Geiseln, die die letzten zwei Jahre nicht überlebt haben. Zahlreiche Menschen sind in diesem Krieg gestorben. Aber heute überwiegt die Erleichterung darüber, dass die Geiseln nun zu ihren Familien zurückkommen.
«Als Israelin empfinde ich diesen Tag als ausserordentlich bewegend – das Leben hat gewonnen, das ist mein Eindruck.»Michal Lewkowicz, Künstlerische Leiterin Mizmorim-Festival
Als Israelin empfinde ich diesen Tag als ausserordentlich bewegend – das Leben hat gewonnen, das ist mein Eindruck. Im Judentum ist es eine Mitzwa, also ein Gebot der Tora, jeden Menschen – sei er tot oder lebendig – zurückzuholen. Daher ist dieser Tag so bedeutend. Die Befreiung der Geiseln war immer die oberste Priorität der Bevölkerung. Niemand in Israel arbeitet heute normal, alle sind in den Städten unterwegs und feiern, dass mit Präsident Trump dieser Deal nun gelungen ist. Er wäre ohne die tausenden Israeli, die seit dem 7. Oktober 2023 für die Geiseln auf die Strasse gegangen sind, nicht möglich gewesen.
Der Glaube an Frieden ist mir leider aktuell abhandengekommen, dafür müssen wir einander erst akzeptieren und miteinander sprechen. Aber die Hoffnung ist jetzt wieder da.
Philip Karger
Ich freue mich wirklich sehr darüber, dass die Geiseln endlich in Freiheit sind und dass immerhin einige von ihnen noch leben. Daran habe ich gar nicht mehr geglaubt. Für die jüdische Gemeinschaft und vor allem für die Angehörigen ist es (auch) sehr wichtig, dass die Überreste der verstorbenen Geiseln zurückgegeben werden und sie Trauerarbeit leisten können. Die Freilassung und Rückführung sind eine Grundvoraussetzung dafür, dass es einen Frieden geben kann. Daher überwiegt mein Gefühl einer grossen Erleichterung im Moment.
«Die Zeit wird zeigen, wie es in Zukunft in Israel weitergeht und ob ein Frieden gelingt.»Philip Karger, LDP-Grossrat
Neben grosser Freude empfinde ich auch Trauer und Wut, dass die Geiseln nun zwei Jahre von der Hamas gefangen gehalten und für terroristische Zwecke missbraucht wurden. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es den Menschen in Geiselhaft ergangen ist. Dennoch sind die Befreiung und Erleichterung gross, nicht mehr jeden Tag daran denken zu müssen, dass dort immer noch Geiseln gefangen gehalten werden.
Ich bin aber auch sehr skeptisch, wie es nun weitergeht. Noch kann ich nicht an die Worte Trumps glauben, der von dauerhaftem Frieden spricht. Auch wenn die allgemeine Hoffnung nun gross ist, bin ich aufgrund meiner jahrelangen Erfahrung eher verhalten. Die Zeit wird zeigen, wie es in Zukunft in Israel weitergeht und ob ein Frieden gelingt.
Steffi Bollag
Für mich gibt es heute ausschliesslich das Gefühl der Freude. Mir wird bewusst, wie gross die Anspannung in den letzten zwei Jahren war. Jetzt ist der Moment gekommen, an dem die Geiseln frei sind. Ich spüre daher eine grosse Erleichterung.
«Heute bin ich nicht in der Lage, weiterzudenken, wie es in Zukunft weitergeht. Jetzt ist der Moment der grossen Freude.»Steffi Bollag, Präsidentin Israelitische Gemeinde Basel
Heute bin ich nicht in der Lage, weiterzudenken, wie es in Zukunft weitergeht. Jetzt ist der Moment der grossen Freude darüber, dass die Geiseln, die noch leben, zurück zu ihren Familien kommen und die Überreste der leider verstorbenen Geiseln ebenfalls zurückgegeben werden.
Wir haben in der Gemeinde seit dem 7. Oktober täglich spezielle Gebete gesagt, die nur in aussergewöhnlichen Situationen gebetet werden. Von heute an müssen wir diese Gebete für die Freilassung der Geiseln nicht mehr sprechen. Sie haben uns und vielen Jüdinnen und Juden auf der Welt in den vergangenen zwei Jahren Halt und Hoffnung gegeben.
Yves Kugelmann
Freude und Trauer liegen an diesem Tag zu nahe beieinander. Auch bei uns im Verlag. Mitarbeiter*innen haben Angehörige in den Massakern oder im Gaza-Krieg verloren. Zwei Jahre lang haben wir die Tage gezählt mit unserer Mitarbeiterin in Israel, deren Schwager heute morgen auf der Fahrt mit der Hamas erstmals mit der Familie sprechen konnte. Sie hat teilweise seine Kinder grossgezogen, wie eine Löwin mit der Familie tapfer für die Geiseln gekämpft, gegen die Regierung und diesen Krieg.
«Die Palästinenser und die Israeli müssen mit offenen Augen die Verbrechen der letzten Jahre aufarbeiten ohne weitere Ideologisierung.»Yves Kugelmann, Chefredaktor Jüdische Medien AG
Dieser heutige Tag hätte vor weit über einem Jahr erfolgen sollen und können. Die Wende in Nahost wird dann eine, wenn sie zumindest mit den Bevölkerungen in der Region entstehen wird. Vielleicht ist nun, nach dem Teilungsplan von 1947, der Clinton-Initiative für die Osloer Verträge der dritte Versuch erfolgreicher für eine Koexistenz – die nun noch mehr Zeit benötigt.
Die Palästinenser und die Israeli müssen mit offenen Augen die Verbrechen der letzten Jahre aufarbeiten ohne weitere Ideologisierung. Denn die Israeli werden von den bestialischen Massakern ebenso wenig loskommen, wie die Amerikaner von 9/11. Der Gaza-Krieg mit seiner totalen Eskalation darf ebenso wenig weglegitimiert werden wie einst die Nakbah.
Danielle Kaufmann
Die letzten Tage waren sehr belastend. Ich war immer in der Sorge, dass die Geiseln doch nicht freikommen könnten. Gerne wäre ich die letzten Tage in Israel gewesen, um diese Sorge mit den Menschen vor Ort zu teilen, wie jetzt auch die Freude. Wie ich aus Israel höre, ist dort nun ein Freudenfest im Gange.
Ich selber habe sehr gemischte Gefühle. Ich spüre seit dem 7. Oktober 23 eine Gleichzeitigkeit, die schwer zu ertragen ist, weil mir beide Seiten wichtig sind. Ich freue mich von tiefstem Herzen für die Geiseln und ihre Angehörigen und hoffe sehr, dass sie sich wieder erholen können. Gleichzeitig beschäftigt mich das Schicksal der palästinensischen Menschen im Gazastreifen sehr. Ich denke an all die Toten auf beiden Seiten, die nie wieder nach Hause kommen können. Und an die Menschen, die zwar leben, im Gazastreifen aber kein Zuhause mehr haben.
«Die nächsten Tage werden auch innenpolitisch in Israel spannend und ich kann meine Sorgen trotz der Freude heute nicht ausschalten.»Danielle Kaufmann, Datenschutzbeauftragte des Kantons Basel-Stadt
Natürlich habe ich Hoffnung auf Frieden, bin aber nicht sicher, ob er wirklich möglich ist. Ich habe Mühe damit, dass Trump nun so eine wichtige Rolle spielt und in Israel gefeiert wird. Und dennoch, zum Glück hat er endlich erreicht, dass die Geiseln frei sind, aber warum erst jetzt?
Die nächsten Tage werden auch innenpolitisch in Israel spannend und ich kann meine Sorgen trotz der Freude heute nicht ausschalten. Ich hoffe einerseits, dass die letzten zwei Jahre eine Zäsur gewesen sind, dass nun ein dauerhafter Friede kommt und eine Zweistaatenlösung möglich sein kann – und andererseits, dass wir nicht alle enttäuscht werden.
Gilbert Goldstein
Das Schicksal der Geiseln lag mir wie ein Mühlstein am Hals. Ich empfinde eine riesige Erleichterung für die Geiseln, für ihre Angehörigen, für das ganze israelische Volk und alle jüdischen Menschen. Die noch lebenden jüdischen Geiseln sind nun in Freiheit – was mit den Verstorbenen geschieht, ist ja bisher noch nicht klar.
«Die Freilassung der Geiseln ist ein wichtiger Punkt, der nun gelöst ist.»Gilbert Goldstein, Kommissionsmitglied Israelitische Gemeinde Basel
Es wird aber in diesen Tagen klar, dass die europäische Politik völlig versagt hat und zur feigen Zuschauerin geworden ist. Ich bin wahrlich kein Trump-Freund, aber die Geiseln sind nur durch seine Entschiedenheit heute frei.
Wie es nun weitergeht, das ist die ganz grosse Frage. Ich kann nur bitter lachen, wenn ich in den Medien lese, dass nun der Frieden beginnt. Ich bin da leider sehr skeptisch, solange die Hamas eine Entwaffnung ablehnt. Die Freilassung der Geiseln ist ein wichtiger Punkt, der nun gelöst ist. Aber viele andere Dinge sind noch nicht geklärt und ich muss leider eingestehen, dass ich nicht mehr an einen wirklich Frieden glaube. Seit dem 7. Oktober ist eine grosse Bitterkeit in meinem Herzen.
Dan Wiener
Ich empfinde Erleichterung, aber keine Freude. Die 20 überlebenden Geiseln können nun nach Hause, wir wissen nicht, was sie erlebt haben und jetzt durchmachen. Ich denke auch an die verstorbenen Geiseln, an die 900 Soldatinnen und Soldaten, die in diesem Krieg gestorben sind. Und natürlich auch an die 60’000 toten Palästinenserinnen und Palästinenser.
«Ich hoffe, dass es bald ein Israel ohne Netanjahu und ohne Kriege geben wird.»Dan Wiener, Kulturunternehmer und -berater
Ich frage mich, ob dieser schreckliche Krieg, den wir erlebt haben, wirklich notwendig war, damit die Hamas wenigstens in Bezug auf die Geiseln aufgibt?
Meine Hoffnung ist, dass es einen Gazastreifen ohne die Hamas gibt und dass vielleicht die Chance endlich wahrgenommen wird, einen palästinensischen Staat ohne Hamas und Fatah zu gründen. Ich sehe diese Möglichkeit aber als sehr gering an und befürchte, die Chance haben wir schon lange verpasst. Ich hoffe zudem, dass es bald ein Israel ohne Netanjahu und ohne Kriege geben wird.
*Valerie Wendenburg schreibt auch für die Jüdische Medien AG.