Kein Boykott ohne echte Argumente
Die Bernoullianum-Besetzer*innen werden noch diese Woche Recherchen zu Verbindungen israelischer Partner-Unis mit dem Gaza-Krieg präsentieren. Sie fordern pauschal einen Boykott israelischer akademischer Einrichtungen. In einem Statement distanziert sich die Gruppe von Antisemitismus. Doch der Dialog bleibt herausfordernd. Eine Analyse.
48 Stunden dauerte die Besetzung des Bernoullianums durch pro-palästinensische Aktivist*innen vergangene Woche. Mit der medial äusserst wirksamen Protest- und Störform hätte die Gruppe erfolgreich ein Schlaglicht auf eigentlich universitätsinterne Fragestellungen werfen können: Wie umgehen mit Forschungskooperationen, falls die Partnerinstitutionen an einem Krieg beteiligt sind?
Statt einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Forderungen der Besetzer*innen wurde vergangene Woche aber hauptsächlich über Antisemitismus diskutiert. In der Basler Zeitung wurde die Besetzung als «mitunter antisemitisch» bezeichnet. Von der Fachgruppe Jüdische Studien gab es ein Statement, in dem von einem «Klima der Angst» bei jüdischen Studierenden aufgrund der Besetzung berichtet wird. Auch die Israelitische Gemeinde Basel äusserte ihre Besorgnis aufgrund der Uni-Besetzung.
Die inhaltliche Debatte rückt, wenn überhaupt, erst jetzt in den Fokus – nach dem Ende der Besetzung und bei abnehmender medialer Aufmerksamkeit. Am Mittwoch kündigten die Aktivist*innen an, weitere Recherchen zu Verbindungen israelischer Partner-Unis mit dem Krieg vorzustellen. Sie werden dies im Laufe der Woche tun und wollen anhand ihrer Recherchen aufzeigen, inwiefern israelische Universitäten, die mit der Uni Basel kooperieren, Verbindungen zum Krieg in Gaza haben.
Auf eine pauschale Forderung nach einem Boykott wird sich die Uni Basel kaum einlassen.
Diese Diskussion um einen Boykott der Zusammenarbeit mit israelischen Unis, die z. B. auf X zum Teil als «Forscht nicht mit Jüd*innen» antisemitisch verstanden wurde, wird in einem Gastbeitrag im Bund erntshaft diskutiert und mit Argumenten belegt.
Auf eine pauschale Forderung nach solch einem Boykott wird sich die Uni Basel kaum einlassen. Die roten Linien von Rektorin Andrea Schenker-Wicki sind bekannt, auch wenn sie sich selbst nie dem Dialog mit den Aktivist*innen gestellt hat (die illegale Besetzung sieht sie nicht als legitime Kommunikation mit dem Rektorat): Einen kompletten akademischen Boykott Israels lehnt sie ab.
Damit steht sie nicht alleine da. Weltweit und auch in Basel sprechen sich derzeit tausende Forscher*innen und Wissenschaftler*innen gegen einen akademischen Boykott aus. Im Netz kursiert ein Aufruf, den mittlerweile mehr als 6100 Personen unterzeichnet haben. In dem Schreiben heisst es, Boykottaufrufe gegen israelische akademische Einrichtungen seien nicht neu, hätten aber seit dem 7. Oktober 2023 eine neue Dimension angenommen. Die Unterzeichner*innen treten entschieden für die Zusammenarbeit und die Fortsetzung der Arbeit mit israelischen akademischen Einrichtungen ein. Sie sind überzeugt, «dass die schrittweise, oft subtile Ausgrenzung israelischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Grundprinzipien des professionellen Verhaltens und der akademischen Freiheit widerspricht.» Ein akademischer Boykott gegen Israel sei kontraproduktiv für die innerisraelischen Debatten und den israelisch-palästinensischen Dialog.
Auch Caspar Battegay, Lehrbeauftragter im Fachbereich Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft der Uni Basel, hat den Aufruf unterschrieben. Er sagt zu Bajour: «Ich bin ganz klar gegen einen Boykott israelischer Universitäten. Ein solcher würde der Wissenschaftsfreiheit widersprechen. Zudem ist er im Kampf für Frieden und Demokratie im Nahen Osten kontraproduktiv, denn oft bieten die israelischen Universitäten und ihr akademisches Umfeld Platz für kritische Perspektiven, Debatte und auch Widerspruch gegen die Politik.» Ein Boykott würde aus seiner Sicht dazu führen, dass die rechte Regierung in Israel gestärkt werde. «Der akademische internationale Austausch darf nicht gewaltsam und willkürlich unterbrochen werden», sagt Battegay.
In der Tat wären bei einem pauschalen Boykott auch Wissenschaftler*innen und Projekte betroffen, die mit dem Krieg in keinem Zusammenhang stehen oder die israelische Regierung unter Benjamin Netanyahu sogar offen kritisieren, wie zum Beispiel die französisch-israelische Soziologin Eva Illouz. Darauf verweist auch Alfred Bodenheimer, Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Uni Basel, der betont, dass die Universitäten in Israel «wichtigster Hort freiheitlichen Denkens» seien: «Das betrifft nicht nur die hohe Anzahl von Dozierenden, die konsequent gegen Versuche der derzeitigen israelischen Regierung eintreten, den Rechtsstaat zu unterminieren.» Bodenheimer verweist auf die Offenheit und Förderung arabischer Studierender an israelischen Unis, deren Anzahl in den vergangenen 15 Jahren immens gewachsen sei.
Laurent Goetschel, Direktor von Swisspeace, hatte vergangene Woche versucht, zwischen der Unileitung und den Aktivist*innen zu vermitteln. Er sagt: «Swisspeace sieht in Kooperationen mit Universitäten ein wichtiges Instrument, um Wissen über die Friedensförderung weiterzuentwickeln und in geographischen Kontexten, die von Konflikten bedroht sind, zu verankern.» Wichtig sei, dass es gewisse Freiräume zur Entwicklung eigener Ideen und Initiativen gebe, die forschungsbasiert in die Lehre und je nachdem auch in die politische Praxis der jeweiligen Staaten hineingetragen werden können. Er sagt: «Es ist klar, dass nicht in allen Ländern Universitäten gleichermassen frei und ungebunden agieren können. Aber selbst in der Schweiz wird manchmal die Forschungsfreiheit von gewisser politischer Seite infrage gestellt. Vor diesem Hintergrund sehe ich akademische Institutionen als die letzten Akteure an, die Boykottforderungen unterliegen sollten.»
Die Aktionen der Besetzer*innen verunsichern die jüdische Gemeinschaft.
Eigentlich wollten die Besetzer*innen vermeiden, dass man statt über den Grund ihres Protests über eine mögliche antisemitische Motivation des Protests diskutiert. Deshalb machten sie im Code of Conduct von Anfang an klar, dass sie unter anderem Antisemitismus nicht tolerieren.
Dennoch: Die Aktionen der Besetzer*innen verunsichern die jüdische Gemeinschaft, obgleich sie vergangenen Freitag zu einem interreligiösen Shabbat der Gruppe «Jüdische Community in Solidarität mit Palästina» mobilisiert haben. Damit wollten die Aktivist*innen aktiv ein Zeichen gegen Antisemitismus setzen.
«Wir wollen mit aller Klarheit festhalten, dass sich unser Protest an den Unis in keinster Weise gegen jüdische Menschen richtet. Die Sorgen und Ängste, welche aufgrund der Berichterstattung über unseren Protest ausgelöst wurden, bedauern wir sehr und möchten wir ernst nehmen», schreibt die Gruppe «Uni Basel for Palestine» nun in einem Statement, das Bajour vorliegt. «Antisemitismus ist eine grosse und reale Bedrohung in Europa, die wir nicht im geringsten relativieren. Wir stellen uns als Bewegung entschieden gegen Antisemitismus und Rassismus.»
Sie führen in ihrem Statement weiter an, weshalb ihnen diverse Begriffe und Sprüche, die in der Vergangenheit wiederholt kritisiert wurden, für die Bewegung so wichtig sind: Konsequent ist von einem «Genozid» in Gaza die Rede, wobei sie auf einen Argumentenkatalog des University Network for Human Rights verweisen, um den Begriff des Völkermords zu legitimieren. «Intifada» sehen sie im arabischen Originalsinn des Worts als Aufstand gegen eben jenen Völkermord. Und bei «From the river to the sea – Palestine will be free» meine man Freiheit und Gleichheit im gesamten Gebiet für arabische, jüdische, alle Menschen.
Diese Erklärungen sollen deutlich machen, dass die Selbstwahrnehmung der Aktivist*innen eine nicht antisemitische ist. Doch sie legen auch offen, inwiefern die antisemitische Interpretation hingenommen wird – ansonsten würde man auf Begriffe verzichten können, die Juden und Jüdinnen als Aufruf zur antisemitischen Gewalt oder als terroristischen Claim zur Abschaffung des israelischen Staates verstanden werden.
Der Nährboden für antisemitische Vorfälle ist seit dem Hamas-Angriff und der darauffolgenden israelischen Invasion in Gaza-Krieg stärker geworden: Im Februar brannte vor der Basler Synagoge eine Israel-Flagge. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund notiert in seinem Antisemitismusbericht 2023 in der deutsch-, der italienisch- und der rätoromanischsprachigen Schweiz 155 antisemitische Vorfälle, was eine starke Steigerung im Vergleich zum Vorjahr (57) darstellt. In Zürich wurde ein orthodoxer Jude im März von einem islamistisch motivierten Jugendlichen niedergestochen.
Das Semester endet in zwei Wochen, das Mobilisierungspotential an der Universität wird versanden.
Im Wissen um die Bedrohung, der Juden und Jüdinnen ausgesetzt sind, müssten die Aktivist*innen erkennen, wie das antisemitische Potenzial in besagten Begriffen und Slogans zum «Klima der Angst» beiträgt. Viele jüdische Menschen, auch in Israel und gerade an den dortigen Universitäten, kritisieren die israelische Regierung und wünschen sich ebenfalls einen Waffenstillstand in Gaza. Wenn den Aktivist*innen wichtig ist, nicht als antisemitisch zu gelten und ihre Offenheit für jüdische Menschen zu signalisieren, steht die Frage im Raum, warum sie auf solche Begriffe und Rufe nicht verzichten.
Wenn ein Dialog mit der Universitätsleitung zu dem Forderungskatalog der Besetzung geführt werden soll, scheint das unabdingbar. Doch das Momentum der Besetzung ist womöglich vorbei, die Medienaufmerksamkeit wird trotz der geplanten Aktionswoche auf dem Petersplatz weiter abnehmen. Das Semester endet in zwei Wochen, das Mobilisierungspotential an der Universität wird versanden. Der Prozess hin zu einem Dialog entlang der Spielregeln der Unileitung müssten die Aktivist*innen also noch vorher beginnen, wenn sie die Zugeständnisse der Uni, die sie durch die Besetzung erpresst haben – beispielsweise eine proaktive Unterstützung zum Schutz palästinensischer Studierenden und Lehrenden oder gar für ein akademisches Asyl – nicht verschenken wollen.