Über Israel und Palästina sprechen – aber wie?
In einer mehrtägigen Veranstaltungsreihe lud der Verein Vario an den Lindenberg zum Austausch über den Nahostkonflikt, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus. Workshopteilnehmende erzählen.
Der kleine Basler Verein Vario hat sich Grosses vorgenommen: In einer mehrtägigen Veranstaltungsreihe über Israel und Palästina zu sprechen. Das Gerüst dafür liefert das Projekt Trialoge, das die Deutsch-Palästinenserin Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann, Jude mit israelischen Eltern, nach dem 7. Oktober 2023 entwickelt haben. Ihre Trialoge bauen darauf auf, dass je eine Person aus jüdischer und palästinensischer Perspektive ihre Positionen zum Nahostkonflikt teilen und so mit einer Gruppe ins Gespräch über dieses Thema kommen, bei dem vielen die Worte fehlen.
Seit Oktober 2023 reisen die beiden mit dem Trialoge-Projekt in Deutschland von Schule zu Schule. Finanziert wird es unter anderem vom deutschen Bildungsministerium. An diesem Freitag in Basel war allerdings nicht eine Schulklasse Teil des Trialogs, sondern rund 25 Erwachsene. Unter der Leitung von Shai Hoffman und dem Deutsch-Palästinenser Zakaryya Meissner, der ebenfalls zum Projektteam gehört, wurden die Teilnehmenden ermutigt, ihre Positionen zum Ausdruck zu bringen, einander empathisch zuzuhören und konstruktiv miteinander umzugehen.
Aufgrund des geschützten Rahmens des Trialog-Workshops musste Bajour den Raum nach der Einführung ins Format verlassen. Mehrere Teilnehmende waren aber bereit, im Nachhinein über ihre Motivation und ihre Eindrücke zu sprechen.
Claudia Berger, Verein Vario, Basel
Ich spüre ein grosses Bedürfnis von mir, aber auch von meinem Umfeld und von unserem Verein, denk-, sprech- und handlungsfähiger zu werden beim Thema Palästina / Israel. So viele Leute fühlen sich nicht verstanden oder trauen sich nicht mehr, etwas darüber zu sagen. Leute verstummen, sind überfordert, wütend, traurig, fühlen sich allein. Ich bin sehr dankbar und glücklich darüber, dass Jouanna Hassoun, Shai Hoffmann und Zakaryya Meissner nach Basel gekommen sind. Es ist sehr berührend, dass sie ihre biografische Betroffenheit so zur Verfügung stellen und wir uns direkt darüber austauschen konnten. Wir sind ein kleiner und junger Verein – und unsere Räume sind in diesen Tagen bis auf die letzten Plätze gefüllt. Es ist mega schön, zu spüren, dass das Interesse da ist. Mir ist wichtig, dass es dabei nicht darum geht, einfach über unsere Befindlichkeiten zu sprechen und dann das Thema abzuhaken. Es geht vielmehr darum, eine sichere Basis zu schaffen, in der es auch Platz für Emotionen, Differenziertheit, Unsicherheiten und Lernen gibt. Eine Basis, um ins Handeln zu kommen.
Karima Zehnder, Mediatorin und Bildungsreferentin, Basel
Ich bin gekommen, weil ich es angesichts der Polarisierung super wichtig finde, über Israel und Palästina offen sprechen zu können. Sich auszutauschen über die eigene Wahrnehmung und das, was der Konflikt emotional in uns auslöst. Das ermöglicht uns, besser mit der Belastung klarzukommen und stabilisiert uns psychisch auch ein Stück weit. Es stärkt uns für den Umgang und den Austausch mit anderen, vor allem, wenn wir die multiplikatorische Wirkung des Workshops mitdenken. Ich nehme mit: Fehlertoleranz ist gerade, wenn wir mit anderen kommunizieren, enorm wichtig. Und darüber hinaus, dass wir den Anspruch «es perfekt machen zu wollen», also sich «richtig» zu positionieren, aufgeben sollten.
Swantje Liebs, Inforel, Basel
Menschen hier in Basel sind von den Ereignissen in Israel und Palästina sowie von dem Diskurs betroffen oder verunsichert oder verzweifelt. Ich sehe uns als Bildungsakteure in der Verantwortung, diese Spannungen hier vor Ort nicht zu ignorieren, sondern Lernräume zu schaffen: Wie können wir mit den Spannungen gemeinsam sein oder sie auflösen? Und wie können wir wieder ins konstruktive Handeln kommen? Wir brauchen uns keine Illusionen machen: Das ist ein langer und langsamer Prozess. Auf diesem Weg passieren viele Fehler und manchmal wird noch mehr Schaden angerichtet. Ich wünsche mir, dass wir uns darin als Institutionen und vor allem als Menschen gegenseitig unterstützen. Die Trialoge sind ein kleiner Schritt dahin. Daneben braucht es geschichtliche Bildung, Begegnungsräume, Einzelberatungen, institutionsinterne Auseinandersetzung, Unterstützung für Betroffene, Unterstützung für Lehrpersonen... Jeder Mensch und jede Institution kann ein Mosaikstück sein, im Einsatz gegen Gewalt, gegen Diskriminierung und für Menschenrechte, für Frieden weltweit.
Anonym, aus Basel
Für mich war das Schöne, wie über Begegnung greifbar wurde, was sonst verworren ist. Einerseits ist es mega wichtig, klar und offen über die Schrecklichkeit des Konflikts zu sprechen. Gleichzeitig habe ich auch gespürt, dass sich direkt Betroffene wie die beiden Workshopleiter sehr angreifbar machen, wenn sie das tun. Allein das finde ich eigentlich verheerend. Aber ich sehe auch einen hoffnungsvollen Anteil: Sie kommen beide aus verschiedenen Perspektiven und können gleichzeitig diese Dialoge zusammen führen. Das zeigt mir, wie wichtig es ist, in der Begegnung zu bleiben und nicht durch Abschottung einer Spaltung entgegenzuwirken, gerade, wenn man selbst nicht direkt betroffen ist. Der Workshop hat mir die Machtlosigkeit und den Frust über meine Machtlosigkeit ein bisschen genommen, weil ich das Gefühl habe, es sind noch Menschen hier, die gerne für den Frieden kämpfen möchten. Auch wenn dieser utopisch scheint. Was effektiv machen, um zu helfen, ist allerdings eine Frage, die mich nach wie vor ratlos macht.
Anonym, aus dem Aargau
Ich bin mit einem fachlichen Hintergrund hier: Ich komme aus der Konfliktforschung und habe jetzt noch die Ausbildung zur Geschichtslehrperson am Gymnasium abgeschlossen. Ich sehe im Berner Kontext, dass wir Probleme an Schulen haben mit Antisemitismus, der zum Teil auch von Lehrpersonen reproduziert wird. Ich bewege mich oft im Berner Kontext und sehe, wie angehende Lehrpersonen keine Ahnung davon haben, was Antisemitismus ist. Und wir haben auch keine Pflichtkurse dazu, wie man mit Diskriminierungsformen im Klassenzimmer umgehen kann. Das fehlt mir und deshalb besuche ich solche Workshops. Hier ging es jetzt vor allem um Emotionen. Persönlich spüre ich nicht so ein grosses Bedürfnis, über Emotionen zu sprechen, aber ich finde es sehr wichtig, dass es das gibt. Wir sehen Kriegsbilder, verhungernde Kinder – das macht das etwas mit einem. Das macht einen psychisch kaputt. Und deshalb finde ich wichtig, dass nicht immer nur über das Fachliche gesprochen wird, sondern auch über Emotionen. Ich bin froh, von Leuten zu hören, dass ihnen das heute geholfen hat und ich hoffe auch, mich hier auch überregional mit Leuten zu vernetzen.
Ruben, aus Deutschland
Ich bin hier über eine Freundin gelandet. Mich interessiert der Konflikt sehr – als Mitmensch und in einer Zwischenposition: Ich komme aus Deutschland und bin christlich aufgewachsen. Davon ist jetzt streng nicht viel da, aber diese Kultur ist mir vertraut. Ich fühle mich deshalb irgendwo dazwischen und überlege, wo meine Anteilnahme am Konflikt ist. In meinem eigenen Umfeld habe ich bisher niemanden, der Bezug zu Israel und Palästina hat. Es hat mein Herz berührt, während des Workshops andere Menschen und Positionen mitzubekommen. Ich bin dankbar für das Format heute. Es beabsichtigt, Beziehungen entstehen zu lassen und emotionale Reaktionen zu verstehen. Bisher hatte ich vor allem viel kognitiv verstanden. Gerade jetzt beginne ich durch den sehr offenen und authentischen Kontakt mit Jouanna, Zakariyya und Shai den Konflikt und die Gewalt emotional zu verstehen. Da hat es auf jeden Fall Klick gemacht bei mir.