Mama arbeitet in der Pharma, Baby geht in die Dorf-Kita

Blauen hat dank mutiger Dorfentwicklung zahlungskräftige Familien angelockt. Eines der Standbeine: die lokale Kita. Doch die Finanzierung ist schwierig. Der Gemeindepräsident hofft daher auf Geld von Kanton und Bund.

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Florian Meury, Leiterin Oriana Nuñez (zweite von rechts) und Michael Fuchs mit einer Kitabetreuerin.

Ein schöneres Dorf als Blauen muss man erstmal finden. Selbstbewusst liegt es auf der Sonnenterrasse der Blauener Hügelkette. Der Blick geht weit über das Laufental. Mit dem Auto hat man 31 Minuten nach Basel. WENN es keinen Stau hat, ein grosses «Wenn».

Gut 700 Menschen wohnen hier. Die Kinder gehen im Dorf zur Schule, in den Kindergarten und in die «Kita im Blauehuus», gleich neben dem Laden im Zentrum. 

Grosse Fenster lassen das Licht in die Räume, an den Wänden verbreiten farbige Papierblumen gute Stimmung. Alles ist neu: Die Kita wurde 2017 eröffnet, im neu gebauten Gemeindezentrum. Sie offen zu halten ist ein Krampf, wegen des Geldes. Doch zwingend, wenn man den Gemeinderat fragt. Wegen des Geldes.

1,6 Millionen Franken Steuereinnahmen

An diesem Sommertag sind nur wenige Kinder da. Ein Kleinkind schläft in einem Wagen im Gang. Eine Handvoll Knaben und Mädchen spielt draussen im Garten. Darunter auch der Nachwuchs von zwei Expat-Familien, die in der Basler Pharma arbeiten. 

Gemeindepräsident Michael Fuchs erzählt das nicht ohne Stolz. Wie in vielen abgelegenen Gemeinden gilt auch hier die Devise: jede*r Steuerzahler*in zählt. Blauen hat jährlich Steuereinnahmen von rund 1,6 Millionen Franken. «Einzelne Familien können einen grossen Unterschied machen», so Fuchs. Dass junge Leute mit ihren Kindern nach Blauen ziehen, ist deshalb ein Glück. Aber kein Zufall. 

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Kitaleiterin Oriana Nuñez packt überall an.

Blauen ist eine Erfolgsgeschichte. Die Gemeinde wies in den 00er-Jahren das geringste Bevölkerungswachstum aller Laufentaler Gemeinden auf und überalterte deshalb schneller als der Durchschnitt. Eine Steuererhöhung drohte. 

Doch dann wurde 2007 Dieter Wissler Gemeindepräsident und fasste einen Plan: Er würde Blauen wieder attraktiv machen. Während seiner 13-jährigen Amtszeit baute die Gemeinde das alte, leerstehende Schulhaus zu altersgerechten Wohnungen um, das erwähnte Gemeindezentrum mit der Kita und einem Dorfladen entstand.

Kita schreibt Defizit

Danach ging es vorwärts mit dem Dorf. Junge Leute kamen. Dieter Wissler ist mittlerweile Ehrenbürger und Michael Fuchs Gemeindepräsident. Er möchte die von Wissler angestossene Dorfentwicklung weiterbringen: «Wir hoffen, dass noch mehr Familien hierherziehen.» 

Fuchs ist zuversichtlich. Aktuell planen private Bauherrschaften rund 22 neue Wohneinheiten. Doch eins macht dem Gemeindepräsidenten Sorgen: die Finanzierung der Kita. Anfangs wurde sie von Privaten getragen, doch das Geld war knapp. 2019 übernahm die Gemeinde deshalb die Einrichtung. 

Die Finanzierung ist nach wie vor schwierig. Zwar ist das Interesse gross: 31 Kinder haben sich fürs neue Schuljahr angemeldet, so viele wie noch nie. Die Kita öffnet daher neu auch am Freitag – gerade die Eltern, die Vollzeit arbeiten, hatten sich schon lange eine Fünftagewoche gewünscht. 

Trotzdem decken die Elternbeiträge die Kosten nicht ganz. Und: Nicht alle Eltern können sich die Gebühren leisten. Ein Tag Betreuung pro Woche kostet 500 Franken im Monat. Die Kita musste schon einige Familien abweisen, weil deren Einkommen nicht reichte. «Ich habe schon einige Male erlebt, dass die Mutter dann halt zuhause bleibt», sagt Florian Meury. Er ist ebenfalls Gemeinderat und für die Kita zuständig. 

Tatsächlich zeigt eine Studie der Credit Suisse: Punkto Kinderbetreuungskosten nimmt das Baselbiet einen Spitzenplatz ein, wobei sich die Tarife von Gemeinde zu Gemeinde unterscheiden.

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In Blauen müssten zehn der zwölf Plätze voll ausgelastet sein, damit die Kita voll finanziert wäre. Das zu erreichen, ist schwierig, da viele Kinder nur zwei Tage kommen und der Betreuungsschlüssel stimmen muss. Die Kita möglichst gut auszulasten und immer genügend Personal zu haben, ist wie Tetris spielen. «Ein Tag, den eine Familie umbucht, kann den Unterschied zwischen einer schwarzen Null und roten Zahlen bedeuten», sagt Kita-Leiterin Oriana Nuñez. Das Defizit wird von Blauen getragen, mit Unterstützung von Nenzlingen – die Kinder aus dem Nachbardorf gehen nach Blauen in die Schule und können auch die Kita nutzen.

Bern diskutiert Subventionen

Oriana Nuñez hofft deshalb auf den Staat. Der Kanton Basel-Landschaft ist daran, bis 2025 einen Gegenvorschlag zur SP-Initiative auszuarbeiten, welche Gratisbetreuung für alle Familien fordert.

Und das nationale Parlament diskutiert, ob der Bund 700 Millionen Franken in Kitas investieren soll. Das Ziel ist, dass die Betreuung günstiger wird. Der Bund soll 20 Prozent der Kosten übernehmen, wenn Eltern ihr Kind in die Kita bringen. Die Baselbieter Regierung hat sich in der Vernehmlassung positiv geäussert.

Graf Maya
«Die Familien brauchen diese Unterstützung dringend.»

Ständerätin Maya Graf (Grüne) setzt sich für Bundessubventionen ein.

Auch die Grüne Ständerätin Maya Graf setzt sich in Bern für die Vorlage ein: «Das Baselbiet würde auf alle Fälle profitieren.» Die Co-Präsidentin von Alliance F war kürzlich selbst in Blauen und hat mit dem Gemeinderat über die finanzielle Situation der Kita geredet. Finanzielle Beiträge seien wichtig, damit die «Kita erfolgreich und mit guter Qualität» weitergeführt werden könne.

Und auch die Familien bräuchten Unterstützung, ist Graf überzeugt. Finanzielle Entlastung sei zudem «entscheidend für höhere Arbeitspensen von Eltern». Stichwort Fachkräftemangel. Auch der Schweizerische Arbeitgeberverband argumentiert in diese Richtung. Er ist überzeugt: Bezahlbare Krippenplätze führen dazu, dass mehr Mütter ihr Pensum erhöhen. Das wiederum würde sich positiv auf ihre Altersvorsorge auswirken.

Viele Studien geben den Befürworter*innen Recht, der Arbeitgeberverband hat eine Übersicht veröffentlicht. Es gibt allerdings auch Studien, welche keinen positiven Effekt von Subventionen auf die Arbeitstätigkeit von Müttern nachweisen. Auf diese stützen sich unter anderem die Gegner*innen. 

Thomas de Courten
«Kita-Subventionen diskriminieren Eltern, die sich für ein traditionelles Familienmodell mit einem warmen Kindernest zuhause entscheiden.»

Nationalrat Thomas de Courten (SVP) ist gegen Kita-Subventionen.

Einer davon ist der Baselbieter SVP-Nationalrat Thomas de Courten: «Junge Eltern arbeiten eher mehr Teilzeit, und insgesamt weniger als vor der Geburt ihrer Kinder», sagt er.  Er plädiert dafür, dem Wiedereinstieg nach der Kinderpause, «beispielsweise nach Ende der Primarschulzeit der Kinder, deutlich mehr gesellschaftliche Anerkennung und politische Relevanz» zukommen zu lassen.

Für Nationalrat de Courten ist die ganze Geschichte auch eine ideologische. Er wünscht sich, dass die Kinderbetreuung und -erziehung «wieder deutlich stärker in die Verantwortung der Eltern und Familien gelegt werden». De Courten: «Kita-Subventionen diskriminieren Eltern, die sich für ein traditionelles Familienmodell mit einem warmen Kindernest zuhause entscheiden.»  

Der SVPler hat aber auch finanzielle Bedenken: «Am Schluss bezahlt der Kanton die Zeche.» Und die Steuerzahler*innen. Denn der Bundesbeitrag ist finanziell und zeitlich begrenzt. 

Wer ist zuständig?

Der Grund: Eigentlich sind Gemeinden und Kanton für die Kinderbetreuung zuständig, bei der Vorlage handelt es sich um eine allfällige Fortsetzung einer bestehenden Anstossfinanzierung. Bundesrätin Karin Keller-Sutter (FDP) hat daher angekündigt, die Mehrkosten des Bundes anderweitig einzusparen und den Kantonen weniger Geld aus der direkten Bundessteuer zukommen lassen. 

Ständerätin Maya Graf dagegen ist überzeugt, dass der Bund seine subsidiäre Rolle mit der Vorlage behält, «das finde ich persönlich ganz wichtig». Im Herbst kommt die Vorlage in den Ständerat. Für die Befürworter*innen wird es schwierig.

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Der Dorfladen (links) liefert der Kita (rechts) das Essen.

Oben in Blauen wären Michael Fuchs und Florian Meury froh um Planungssicherheit. Fuchs ist überzeugt, dass die Kita dem Dorfleben gut tut. «Ich dachte einmal, das sei vor allem ein Kinderhütedienst», sagt er. Aber das Kitapersonal arbeite hochprofessionell. «Die betreuten Kinder werden gefördert und beobachtet. Die ausländischen Kinder lernen Deutsch, die zugezogenen Eltern kommen in Kontakt zu den Familien im Dorf.» Und die Kita ist auch Teil des dörflichen Kreislaufs. Sie bezieht ihre lokalen Nahrungsmittel im Dorfladen nebenan. Zum Zeitpunkt des Besuches von Bajour in Blauen gibt es beispielsweise gerade Erdbeeren vom Erlenhof Laufen.

Aber wie das so ist im Dorf, ist auch im Laden das Geld immer wieder knapp. Regelmässig macht die Dorfladengenossenschaft Aufrufe und bittet die Leute, im Dorf einzukaufen. Die Unterstützung der Kita ist ein regelmässiges Thema an den Gemeindeversammlungen und braucht die Überzeugungskraft des gesamten Gemeinderats. Einfach ist das nicht immer, denn die älteren Semester verstehen manchmal nicht, warum es das braucht. Schliesslich ging es früher auch ohne. Doch Fuchs ist überzeugt: Sein Blauen wird weiterwachsen. Und weitere Familien anziehen. Das ist nicht nur gut für die Steuern, sondern auch fürs Dorfleben.

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Auch im Winter schön: Blauen. (Bild: Nemetonia, Wiki Commons)

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Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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