Kleine Hommage an grosse Frauen
Die Adventszeit haben in der Kindheit von Kolumnistin Cathérine Miville vor allem die starken Frauen in ihrem Leben geprägt. Sie standen in der Küche – während die Männer über Politik diskutierten. Dabei waren die weiblichen Familienmitglieder nicht weniger politisch aktiv und haben Grosses geleistet, als Vereinbarkeit noch ein Fremdwort war.
Natürlich hatten wir als Kinder einen Adventskalender und jeden Abend vor dem ins Bett gehen durften wir ein Türchen öffnen, hinter dem sich ein kleines liebevolles Bildchen verborgen hat. Aber neben den 24 Türchen in winterlichen Zauberwelten spielten für mich in der Vorweihnachtszeit auch grosse Türen eine wichtige Rolle: Wohnungstüren hinter denen etwas ganz Besonderes auf mich wartete – Gerüche.
Aufgewachsen bin ich in einem Familien- und Freundeskreis mit starken männlichen Politikerpersönlichkeiten. Wirklich geprägt haben mich jedoch vor allem grosse Frauen. Meine Grossmutter, Mutti Seiler, ihre beiden Töchter Rose-Marie Miville-Seiler und Piccolo Schnyder-Seiler sowie Gret Hubacher, meine Patin.
Im Dezember vermisse ich es besonders, sie in ihren Küchen besuchen zu können, denn jede Wohnung war im Advent ganz individuell erfüllt von unvergesslichen Düften. Wenn mir die Wohnungstüre geöffnet wurde, fühlte ich mich sofort zu Hause. Alle machten Gutzi, buken Zopf, bereiteten Köstlichkeiten für die Feiertage vor. Aber jede hatte diese eine Spezialität, in der sie absolut einmalig waren.
Cathérine Miville ist in Basel geboren und aufgewachsen. Sie unternahm ihre ersten Karriereschritte am Theater Basel, später lebte sie lange Zeit in Deutschland, führte an verschiedenen Häusern und bei Dieter Hildebrandts Sendung «Scheibenwischer» Regie und leitete zuletzt als Intendantin das Stadttheater Giessen. Als vor drei Jahren Mivilles Vater, der Basler SP alt Ständerat Carl Miville-Seiler, starb, beschloss sie, nach Beendigung ihrer Tätigkeit als Intendantin, wieder in Basel zu leben. In ihrer neuen Kolumne «Ma ville» wirft die 70-Jährige regelmässig einen genauen Blick auf das kulturelle Leben in der Stadt und reflektiert, wie sich Basel entwickelt hat.
Niemand machte so gute Zöpfe wie Gret Hubacher und ich kann bis heute den Duft in mir abrufen, den ihre Butterzöpfe beim Backen verströmten. Der Zopfteig wurde natürlich von Hand geknetet. Und weil das Schwerarbeit ist, musste Helmut mit ran. Sonst bekam Gret wenig Unterstützung von ihm im Haushalt, aber da war sie keine Ausnahme. Auch die anderen Politiker-Ehemänner, der von mir so überaus geschätzten besonderen Frauen, wurden in Küchen selten gesehen.
Bei uns zu Hause entstand der erste prägende Geruch vor Weihnachten, wenn meine Mutter den Hypokras ansetzte. Dieser Basler Gewürzwein wird traditionell ausgeschenkt, wenn man sich gegenseitig ein gutes neues Jahr wünscht. Dazu werden selbstgemachte Läggerli kredenzt. Der Honig, den meine Mutter warm im Teig verarbeitete, sorgte nachhaltig für einen sehr angenehmen, süssen Duft in unserer Wohnung, den ich bis heute spüre.
Die Läggerli meiner Mutter waren anerkannt einsame Spitze. Klar, auch Gret oder Piccolo Schnyder machten welche, aber die von Rose-Marie waren unerreicht, so wie der Zopf von Gret und die Knöpfli von Mutti Seiler.
Die Politiker-Ehemänner, der von mir so überaus geschätzten besonderen Frauen, wurden in Küchen selten gesehen.
Meine Grossmutter war eine ganz grossartige Köchin einfacher Gerichte. Regelmässig versammelte Mutti Seiler an einem der Adventsonntage die ganze Grossfamilie um den Esstisch im kleinen Genossenschafts-Häuschen in der «Schoren» und machte für alle frische Knöpfli mit Brösmeli. Dazu gab es Sauerkraut und Schüfeli, darauf hätte ich verzichten können. Geblieben ist in meinem tiefen Geruchsgedächtnis der wohlige Duft, wenn Mutti in der alten Gusseisenpfanne in zerlassener Butter die Brösmeli anbriet.
Mutti Seiler war eine liebenswerte, warmherzige Grossmutter. Sie war aber ebenso eine bewundernswerte, politische Frau. Neben all ihren häuslichen Aufgaben mit fünf Kindern fand sie die Zeit, sich politisch zu engagieren. So setzte sie sich beispielsweise als Vorsitzende der SP-Frauengruppe unermüdlich für das Frauenstimmrecht ein. Sie war dann überglücklich, als es in Basel gerade eingeführt wurde, als ich, ihre älteste Enkelin, erstmals wählen durfte.
Diese eigenständigen profilierten Frauen hielten ihren Männern den Rücken frei, wie man sagte. Sie schmissen den Haushalt, übernahmen die Kindererziehung sowie die Betreuung ihrer Eltern und waren beliebte Gastgeberinnen.
Mutti Seiler ist letztlich der Nukleus der politischen Miville-Schnyder-Seiler-Gemeinschaft: Und weil sie sich alle als junge Menschen in sozialistischen Jugendorganisationen kennen lernten, waren auch Gret und Helmut Hubacher Teil dieses Kreises. Die Männer waren schon sehr unterschiedlich, selbst wenn sie sich alle politisch dem linken Spektrum zuordneten. Und die Frauen, so verschieden sie waren, hatten doch auch vieles gemeinsam:
Diese eigenständigen profilierten Frauen standen hinter ihren Männern und hielten ihnen den Rücken frei, wie man so gerne sagte. Sie schmissen den Haushalt, übernahmen die Kindererziehung sowie die Betreuung ihrer Eltern und Schwiegereltern, sie waren beliebte Gastgeberinnen und sie haben alle, im Gegensatz zu ihren Politiker-Männern, den Führerschein gemacht – erst spät so um die 40, als sie es sich leisten konnten und es unumgänglich wurde. Die Mehrfachbelastungen durch Beruf, Care-Arbeit und den Transport der Ernte aus dem Familien-Gemüse-Schrebergarten waren ohne Auto einfach nicht mehr zu schaffen. Ihre Männer hatten es nicht nötig, selber Auto fahren zu lernen. Sie hatten das Trämli, die SBB und bei Bedarf ihre Frauen.
Vereinbarkeit von Beruf und Familie an Weihnachten
Aber interessanterweise habe ich damals den Begriff «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» nicht gekannt. Es versteht sich, dass bei unseren Treffen viel politisch diskutiert wurde – selbst an Weihnachten. Da konnten sich alle zu aktuellen Themen streiten, dass sich die Äste des feierlich geschmückten Baums bogen. Diese fast schon ritualisierten Diskurse fanden oft statt, während in der Küche die Nachspeise vorbereitet wurde – von den Frauen.
Im Wertesystem, das mir in der Grossfamilie vermittelt wurde, war Gleichberechtigung zentral wichtig. Und so haben wir unsere Väter und Onkels häufig damit aufgezogen, dass die grossen Politiker-Männer weder kochen noch eine Waschmaschine bedienen konnten und letztendlich vollkommen abhängig waren von ihren tollen Frauen. Doch die Männer wertschätzten ihre Frauen ungemein und zeigten ihnen dies deutlich, oft auch in der Öffentlichkeit. Und doch, als Gret Hubacher in diesem Jahr starb, hat das kaum mehr jemand zur Kenntnis genommen.
Diese Frauen haben mir schon ganz früh vorgelebt, dass auch Frauen alles erreichen können.
Diese grossen Frauen, in deren Kreis ich aufwachsen durfte, geben mir nach wie vor viel Kraft. Sie haben mir schon ganz früh vorgelebt, dass auch Frauen alles erreichen können. Und wenn ich mir ihre Leistungen heute vor Augen führe, kann ich nicht wirklich nachvollziehen, wie sie es geschafft haben, ihre Mehrfachbelastungen in ihren und unseren Alltag zu integrieren, ohne uns Stress oder Hektik spüren zu lassen.
Bis heute setzte ich mich für die Verbesserung der «Vereinbarkeit von Beruf und Familie» ein, gerade in Kulturberufen und den damit einhergehenden ungewöhnlichen Arbeitszeiten. Vieles ist erreicht auf diesem Weg, vieles muss noch geschehen. Und dafür braucht es Bewusstsein und Engagement – und vor allem Vorbilder, die Werte leben und durch emotionale Momente untermauern. Und wenn es wohlige Düfte in Weihnachtsküchen sind.