Die Politik hat bei den Roma versagt – auch die Linke

Der Grosse Rat hat ein restriktives Bettelgesetz durchgepeitscht. Die Linke ist enttäuscht. Aber ehrlich: Sie trägt Mitverantwortung an der Misere. Ein Kommentar.

Bettllerin Betteln
(Bild: Keystone)

Jetzt haben wir faktisch wieder ein Bettelverbot. In selten gesehenem Tempo hat die Regierung das neue Verbot ausgearbeitet, der Grosse Rat hat es ohne Kommissionsberatung verabschiedet. Auch wenn die Bürgerlichen jetzt von Humanismus und Hilfe vor Ort reden, hat das Gesetz vor allem ein Ziel: Die Bettler*innen loszuwerden.

Sorgfältig und menschenfreundlich ist anders. Die Empörung der Linken hat was: Es ist kleingeistig, wie Basel reagiert, wenn es mit Globalisierungsverlierer*innen aus Rumänien oder Bulgarien konfrontiert ist (ausser sie putzen unsere Wohnungen, duschen unsere Eltern oder geben uns einen Blow Job).

Aber die Linke müsste ehrlicherweise selbst in den Spiegel sehen: SP, Grüne und Basta tragen Mitverantwortung dafür, dass die Bettelsituation auf Basels Strassen eskaliert ist und wir als Konsequenz jetzt ein Gesetz haben, das restriktiver kaum sein könnte.

Die Linke hat das Thema schlicht zu lange verschlafen und naiv schön geredet. Damit hat sie in die Hände der Bürgerlichen gespielt, zuvorderst SVP-Grossrat Joel Thüring, von dem die Motion für ein neues Verbot stammt.

Offenbar hat die Linke das auch gemerkt: «Es gibt Handlungsbedarf. Das bestreitet die SP nicht», begann Grossrat Pascal Pfister, bis vor kurzem Parteipräsident, sein Votum im Parlament. Es gäbe «Grenzen des Zumutbaren», sagte er in Bezug auf aufdringliche Bettler*innen und genervte Basler*innen: «Die Toleranzgrenze wurde für viele Menschen in der Bevölkerung erreicht und für gewisse auch überschritten.» Und Heidi Mück von der Basta sagte: «Es war richtig, das Bettelverbot aufzuheben. Dann kam der Sommer 2020 und wir Linken müssen zugeben, dass wir nicht damit gerechnet haben, dass so viele arme Menschen kommen und wir haben nicht erwartet, dass die Reaktionen so rassistisch ausfallen würden.»

Dieses Eingeständnis kommt zu spät.

Erst im Frühling kam die Linke auf die Idee, dass wohlmeinende Worte nicht reichen. Es braucht auch Regeln.

Den ersten Fehler machte die Linke, als sie das Bettelverbot aufhob, ohne Begleitmassnahmen zu erlassen. Betteln ist ein Geschäftsmodell, ebenso wie Prostitution oder Altenbetreuung. Das anzuerkennen, ist legitim. Doch die Linke sah in ihrem humanistischen Gedanken nicht voraus, dass Tage nach der Aufhebung Gruppenweise Roma auftauchen und die Basler Bevölkerung überfordern würden. 

Ein solcher Fehler kann passieren. Doch die Linke gab ihn erst jetzt zu. Als die Betteldiskussion letzten Sommer begann, reagierten SP, Grüne und Basta zuerst mit moralischen Appellen im Sinne von: Armut muss man akzeptieren, nicht ignorieren. Dann mit Forderung nach Mitgefühl und Unterstützung für die Bettler*innen. Erst im Frühling – also zehn Monate nach Beginn des Konflikts – kam sie auf die Idee, dass wohlmeinende Worte nicht reichen. Es braucht auch Regeln.

Solche wie in Graz, zum Beispiel. Dort ist Betteln erlaubt, aber nur stilles. Leuten nachgehen, aufdringlich werden, ist nicht akzeptiert. Und es gibt Ordnungswächter*innen, die im Gespräch mit den Bettler*innen sind und schauen, dass sie sich an die Regeln halten.

Als die SP dann im Frühling endlich auch mit solchen Vorschlägen kam, war es für Basel allerdings längst zu spät. Die Bevölkerung war so genervt, dass sie kein Gehör mehr hatte für konstruktive Ansätze. Die Monate der Eskalation hatten längst denen in die Hände gespielt, die nie Interesse hatten an humanistischen Ansätzen: SVP, FDP, Mitte, und ja, jetzt zuletzt auch die Grünliberalen, auch wenn letztere ständig von konstruktiven Massnahmen redeten.

Betteln Bettler Symbolbild
So verlief die Grossrats-Debatte
Das Protokoll

Damit ich hier nicht falsch verstanden werde: Hauptverantwortlich für das restriktive Gesetz, das Betteln quasi überall verbietet und damit die Roma loswerden will, hatten die Bürgerlichen, mit freundlicher Unterstützung einer – über Monate weg – passiven Regierung.

Aber in die Hände gespielt hat den Bürgerlichen das Zaudern der Linken, wie wir es auch bei Ausländer*innenkriminalitätsthemen kennen: Aus einer falsch verstandenen Menschlichkeit Probleme ignorieren und schönreden, bis alle hässig sind.

Politischen Profit schlagen aus der linken Zögerlichkeit die Rechten. Das Nachsehen haben die Menschen, die es sowieso schon schwer haben.

Pi-Pa-Politik.

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Bei Bajour als: Journalistin.

Hier weil: Das Hobby meines Mannes finanziert sich nicht von alleine.

Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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