Mit der S-Bahn wird alles besser. Oder doch nicht?
Längere Reisezeit für viele Passagier*innen, weiterhin Umsteigen am Bahnhof SBB: Rund um die geplante 320 Millionen Franken teure S-Bahn werden Vorwürfe in der Fachpresse laut. Die Planer*innen widersprechen.
Über das Leiden einiger Basler*innen am Flughafenbus wurden schon viele Artikel verfasst und Tweets abgesetzt. Wer mit dem ÖV an den Euroairport möchte, kommt nicht an ihm vorbei.
Ab dem Jahr 2030 soll er Geschichte sein. Zumindest ein bisschen: Ab dann ist eine S-Bahn geplant, von Liestal und Laufen aus via Bahnhof SBB bis an den Flughafen. Für das Grossprojekt muss ein Bahnhof auf dem Flughafengelände und eine sechs Kilometer lange Bahnstrecke gebaut werden. Kosten in Höhe von rund 320 Millionen Franken sind projektiert, der Bund will 90,5 Millionen davon zahlen.
Doch: Auch an dieser Verbindung gibt es Kritik.
So hat die Schweizerische Eisenbahnrevue kürzlich eine ziemlich vernichtende Analyse publiziert. Verfasst wurde sie von einer Consulting Firma, die unter anderem Kantone in Infrastrukturfragen berät. Demnach würde sich mit der S-Bahn die ÖV-Anbindung für viele Reisende sogar verschlechtern. Weil die Reise länger dauert. Aus drei Gründen:
- Heute fährt der Flughafenbus 50 alle sechs Minuten vom Bahnhof SBB ab. Die S-Bahnen fahren hingegen nur halb so oft. Heisst: Die Wartezeit auf die Anschlussverbindung verlängert sich.
- Der Bahnhof am Euroairport wird rund 200 Meter weiter vom Terminal entfernt liegen als die heutige Bushaltestelle. Heisst: Der Fussweg wird länger.
- Der Bus hält heute im Schweizer Sektor des Flughafengeländes, der mit einer zollfreien Strasse erreichbar ist. Der Bahnhof wird hingegen auf französischem Staatsgebiet stehen. Die Autoren der Analyse gehen deshalb davon aus, dass Reisende aus der Schweiz für den Fussweg aus dem Bahnhof ins Terminal zwei Mal Grenzkontrollen durchqueren müssen. Auch das würde Zeit kosten.
Die Autoren der Analyse haben die heutigen Angaben der SBB zur Reisezeit an den Euroairport mit der Netzgrafik des Bundesamts für Verkehrs für den Schienenverkehr im Jahr 2035 abgeglichen. Die Netzgrafik zeigt, wie das Bahnangebot 2035 in der Schweiz aussehen soll, wann welcher Zug abfährt und wann er wo anhält.
Der Vergleich zeigt: Viele Flugpassagier*innen haben später mit der S-Bahn einen längeren Reiseweg als heute mit dem Bus. Allerdings nur, so hat Bajour nachgerechnet, wenn man wie die Autoren der Analyse einen einige Minuten längeren Fussweg ans Terminal hinzurechnet. Die «Brutto-Reisezeit» ohne Fussweg zum Terminal würde gemäss Bajours Berechnungen von den meisten Destinationen aus trotzdem mit der S-Bahn kürzer sein.
«Wir können den im Artikel dargestellten Reisezeitvergleich Bus – Bahn nicht nachvollziehen», sagt Emanuel Barth. Er ist Leiter bei Trireno, die als Fachstelle von Liestal aus den Ausbau der trinationalen S-Bahn rund um Basel koordiniert.
Barth erklärt, dass die S-Bahn künftig auch in der Nähe von heutigen Haltestelle des Flughafenbusses halten wird, am St-Johann-Bahnhof zum Beispiel und, wenn es das Herzstück mal gibt, auch in Basel Mitte und am Morgartenring. Darüber hinaus werden auch weitere Haltepunkte wie beispielsweise Muttenz, Pratteln und Dreispitz mit der künftigen S-Bahn angebunden. «Die Anzahl Einwohner*innen und Arbeitsplätze mit direkter Anbindung an den Euroairport steigt damit signifikant im Vergleich zur Buslinie 50», sagt Barth.
Eine Ergänzung kommt noch aus dem Verkehrsdepartement von Basel-Stadt, welches für die Buslinien der BVB verantwortlich ist: «Die Buslinie zum Euroairport wird auch nach Inbetriebnahme der Bahnanbindung fahren, sie verkehrt aber nicht mehr zum Bahnhof SBB», sagt Mediensprecherin Nicole Ryf. Vielmehr soll der Bus künftig ab dem Kannenfeldplatz nicht mehr zum Brausebad und zum Bahnhof SBB, sondern über die Johanniterbrücke zum Messeplatz und zur Roche fahren. «Damit entsteht eine Direktverbindung vom Kleinbasel zum Euroairport, welche die neue Bahnverbindung optimal ergänzt», so Ryf.
Also alles halb so wild? Ein Blick in den Reisezeitvergleich macht dennoch stutzig: Selbst wenn man den längeren Fussweg nicht hinzurechnet, ist die Reisezeit mit der S-Bahn für Fahrgäste aus Laufen mit der Direktverbindung dereinst länger als heute mit dem Bus.
Wie kommt das? Denn in den Anhörungsunterlagen des Projekts werden noch ganz andere Reisezeiten genannt, die 20 Prozent niedriger liegen: Nur 41 Minuten sollte man demnach von Laufen aus unterwegs sein.
«Die abweichenden Fahrzeitangaben widerspiegeln die verschiedenen Planungsstände», erklärt Emanuel Barth von Trireno. Das Bundesamt für Verkehr geht also für sein Angebotskonzept für 2035 von anderen Annahmen aus, was die Anzahl Zwischenhalte und die Aufenthaltsdauer bei diesen anbelangt. Die beiden Projekte werden allerdings laut Barth noch aufeinander abgestimmt. Trireno wird sich für möglichst kurze Fahrzeiten einsetzen.
Und, fairerweise: Wer schneller von Laufen aus am Flughafen sein will, kann bis zum Bahnhof SBB dann auch einfach die schnelle IR-Verbindung nehmen und dann erst auf die S-Bahn umsteigen.
Nur 10 Prozent der Fluggäste müssen nicht umsteigen
Doch was ist mit denen, die nicht entlang der Strecke der Direktverbindungen wohnen? Laut den Autoren in der Eisenbahnrevue profitieren gerademal 10 Prozent der Flugpassagier*innen von den geplanten Direktverbindungen.
Bevölkerungsreiche Regionen im Baselbiet wie das Fricktal, das Leimental und das Oberbaselbiet werden damit allerdings nicht erschlossen - sie müssten immer noch am Bahnhof SBB umsteigen und jetzt auch noch länger auf die Anschlussverbindung warten. Dabei sind Direktverbindungen enorm wichtig für die Entscheidung von Reisenden, sich für ÖV zu entscheiden und das Auto zuhause zu lassen – denn Umsteigen mit Gepäck ist anstrengend.
Warum also nur die Strecken Liestal und Laufen?
Barth erläutert, dass die Kapazität für S-Bahnen auf der Strecke zum Euroairport begrenzt ist. Denn die Zeiten, zu denen die Bahnen fahren können, werden durch voraus- und hinterherfahrende Güter- und Fernverkehrszüge fixiert. Damit dieser Knoten aufgeht, müssen die Fahrlagen aufeinander abgestimmt sein. Das könne bis 2035 lediglich auf den Strecken von Liestal und Laufen aus gewährleistet werden, so Barth.
Doch in Zukunft seien auch weitere Direktverbindungen geplant, damit auch das Fricktal, Kleinbasel, die Innenstadt und sogar die Strecke bis ins deutsche Freiburg an den Flughafen angebunden werden können. Dazu muss aber erst die Bahninfrastruktur weiter ausgebaut werden und das kann noch viele Jahre dauern.
Und was ist mit den Zürcher*innen?
Völlig ausgeklammert aus dem Planungsrahmen des Projekts sind hingegen Passagiere aus anderen Kantonen. Ein Blick auf die Herkunftszahlen der Flugpassagier*innen zeigt: Mehr als die Hälfte von ihnen kommen nicht aus der Region Basel. Allein aus Zürich kommen mehr Fluggäste als aus dem Baselbiet.
Dass der Flughafen Basel auch Reisende aus Zürich anzieht, ist einfach zu erklären: Der Euroairport ist bekannt für Billigflüge. Wer Geld sparen will, fliegt von Basel aus. Der Flughafen ist damit auch ausserhalb des Dreiländerecks von Bedeutung. Einige Destinationen werden nur von hier angeflogen. Die vielen Flugverbindungen auf den Balkan haben für die Diaspora schweizweit Bedeutung.
Warum wird dann Basel nicht ans Fernverkehrsnetz angeschlossen, so wie Genf und Zürich es heute sind?
Emanuel Barth von Trireno erklärt, dass das gar nie zur Debatte stand: Die Projektpartner*innen – darunter auch das Bundesamt für Verkehr und die SBB, die in der Schweiz für den Fernverkehr zuständig sind – hätten keine entsprechenden Wünsche für Fernverkehrsanbindungen an den Euroairport gestellt, so Barth. Auch bei Mitwirkungsverfahren mit der Bevölkerung sei das Thema nicht eingebracht worden. Primär wolle man das regionale Verkehrsangebot verbessern, erklärt Barth.
Insgesamt hält Barth fest, dass Trireno sowie auch die weiteren Projektpartner*innen nicht der Ansicht sind, dass die Projektziele verfehlt werden. Er verweist auf die Vielzahl an Vernehmlassungsverfahren und unabhängigen Prüfungen das Projekt bereits durchlaufen hat. Erst im März dieses Jahres erklärte die zuständige Préfecture in Frankreich das Projekt für gemeinnützig. Damit darf der französische Staat das Vorhaben finanzieren und Enteignungen dafür vornehmen.
Unabhängig von den Einwänden in der Eisenbahnrevue macht der geplante Bahnanschluss des Euroairports also grosse Schritte voran. Und Schätzungen bleiben nunmal Schätzungen. Wie lang die Reisezeiten dereinst wirklich sein werden und wie komfortabel die Zugfahrt ist, werden wir also frühestens 2030 sehen, wenn wir selbst in der S-Bahn zum Flugbahn sitzen.
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