Weniger räumen, mehr Wohnraum?
Zwei Besetzungen innerhalb einer Woche weisen auf leerstehende Häuser hin. SP-Politiker René Brigger will prüfen, ob mit Enteignungen dem Leerstand gegengesteuert werden kann. Der Präsident des Hauseigentümerverbands bezweifelt, dass das wirklich mehr Wohnraum schaffen würde.
Eine Hausbesetzung an der Hardstrasse 99 im Gellert wurde am Mittwoch nach einer Woche beendet. Die Besetzer*innen wollten laut Manifest auf die «strukturelle Diskriminierung von gendernonkonformen und queeren Personen» aufmerksam machen. Das Gebäude steht seit zehn Jahren leer, jüngst wurde ein Umbaugesuch eingereicht.
Noch kürzer ging es an der Färberstrasse im Klybeck-Areal, wo die Besetzer*innen bereits am gleichen Tag wieder abzogen. Das Bürogebäude steht seit acht Jahren leer. Damit es umgenutzt und öffentlich zugänglich gemacht werden kann, müssten erst Rahmenbedingungen geschaffen werden, heisst es von der Rhystadt AG, die auf dem Gelände das Projekt «Klybeck Plus» plant. Davon liessen sich laut Mitteilung der Rhystadt AG auch die Besetzer*innen überzeugen.
Die Rhystadt AG plant ein Transformationsprojekt, welches die beiden durch einen Industrieriegel getrennten Quartiere Matthäus und Klybeck städtebaulich miteinander verbindet. Die Industriebauten sollen zwar stehen bleiben, aber um Grünzonen, Freiräume und Wohnraum ergänzt werden.
Im Artikel erfährst Du, wie die Bevölkerung das Projekt im September 2022 aufgenommen hat.
Zwei leerstehende, seit vielen Jahren ungenutzte Gebäude – in beiden Fällen ist zwar eine zukünftige Nutzung bereits in Planung. Doch dem nutzbaren Raum in der Stadt fehlen sie dennoch.
René Brigger kann noch zahlreiche weitere Häuser aufzählen, die seit Jahren leer stehen. Brigger ist Vizepräsident der Regionalsektion des Schweizer Dachverbands für Wohnbaugenossenschaften – und SP-Grossrat in der Baukommission.
Er will mit einer schriftlichen Anfrage an den Regierungsrat Massnahmen zur Bekämpfung des Leerstands prüfen – das, nachdem die von Brigger vorgeschlagenen Massnahmen als Anzug verpackt nicht vom Grossen Rat an den Regierungsrat überwiesen wurden.
Das liegt laut Brigger auch am Wort Enteignung, dessen Erwähnung für bürgerliche Politiker*innen oft schon eine rote Linie überschreitet. «Es würde dabei lediglich um Nutzungsenteignung gehen», sagt Brigger und weist auf die Gesetzeslage im Kanton Genf hin: «Gebäude, die lange leer stehen, könnten vom Kanton vermietet werden, bis der Eigentümer eine sinnvolle Nutzung dafür gefunden hat.»
Das Bundesamt für Statistik gab die Leerwohungsquote in Basel-Stadt im Juni 2022 mit 1,17 Prozent an – unterdurchschnittlich im kantonalen Vergleich, aber höher als in anderen Schweizer Grossstädten wie Zürich, Genf, Lausanne oder Bern.
Für Andreas Zappalà, Präsident des Hauseigentümerverbands und FDP-Grossrat, kann das keine Lösung sein. «Selbst wenn man das Privateigentum missachtet und enteignet, würde damit nicht eine grosse Zahl an Wohnungen frei werden, die dem Markt zur Verfügung stehen.»
Hinzu komme: Oft seien leer stehenden Wohnungen nicht wirklich bewohnbar. «Die Räumung von besetzten Häusern ist auch deshalb ein Sicherheitsaspekt, weil die Gebäude gefährlich sind. Wenn etwas passiert, haftet nämlich der Gebäudeeigentümer», sagt Zappalà. Ein Blick in die Umbauunterlagen der besetzten Hardstrasse 99 zeigt, dass auch dort giftigtes Asbest gefunden wurde.
René Brigger findet, wenn Sicherheitsaspekte nicht dagegen sprechen, könnte man auch auf eine Räumung verzichten. Auch in seiner Anfrage an den Regierungsrat verweist er auf die Zürcher Praxis bei Räumungen: Geräumt werden solle nur, wenn der Eigentümer nachweisen kann, dass er das Gebäude wirklich nutzen will.
Brigger könne sich weiter eine «Leerstandsabgabe», also eine zusätzliche Steuer für leer stehende Häuser vorstellen, ähnlich wie es sie in Hamburg oder Vancouver gibt. Der Regierungsrat muss innert drei Monaten auf die Vorschläge antworten.
Unterstütze uns und werde Member.