«Lesen ist ein grosses Wunder»: So geht's der Basler Literaturszene
Die Corona-Krise verschafft vielen mehr Zeit zum Lesen. Trotzdem brechen den Verlagshäusern die Einnahmen weg. Der Basler Buchhandel wird derweil erfinderisch – und die Autor*innen hoffen auf ein besseres Danach.
Die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach soll einmal gesagt haben: «Lesen ist ein grosses Wunder». Warten auf die Lockerungen des «Lockdowns light» fühlt sich an wie Warten auf ein solches Wunder. Und bis dahin hilft lesen: Sich in eine fremde Welt flüchten, in der man mit Freund*innen – mit mehr als fünf! – noch Kaffee an der Sonne trinken darf. Sich Wissen aneignen, über andere Themengebiete als Viren und Desinfektionsmittel. Lesen ist auch ein grosses Träumen.
«Wir liefern mit dem Velo oder die Kund*innen nutzen den Abholservice via Milchkästli»Isabelle Hof, Buchhandlung Ganzoni beim Spalentor
Die Corona-Krise macht natürlich auch vor dem Buchhandel und dem Verlagswesen nicht Halt. Bei vielen Buchläden in Basel kann man aber nach wie vor Lesestoff bestellen – der wird dann sogar persönlich geliefert, etwa von den Mitarbeiter*innen der Buchhandlung Ganzoni beim Spalentor, wie die Inhaberin Isabelle Hof verrät: «Bis jetzt erhalten wir sehr viele Bestellungen via E-Mail und Telefon und liefern diese vor allem mit dem Velo aus oder die Kund*innen nutzen den Abholservice via Milchkästli».
Es seien zwar weniger Bestellungen als vor dem Lockdown, dafür aber mehr Aufwand. Hof zeigt sich aber überwältigt vom Zuspruch der Kund*innen. Das Arbeiten alleine im Laden sei zwar etwas deprimierend und sehr eigenartig, dennoch: «Ändern können wir ja nichts, also machen wir das Beste daraus und Optimismus ist im Buchhandel ja nicht erst seit Corona gut!»
Auch das Lesefieber ist ansteckend
Auch bei der Bachletten Buchhandlung werden die Bestellungen auf Sohlen oder Rädern verteilt: «Die Solidarität ist gross! Bestellungen per Telefon, Mail oder über den Webshop haben deutlich zugenommen», so die drei Inhaberinnen Claudia, Isabelle und Manuela Probst. Weil der Laden selber für den Moment menschenleer bleibt, fehle für die Kundschaft zwar die Möglichkeit des Stöberns und auf bisher unentdeckte Bücher zu stossen. Lesebegeisterte Menschen bleiben Büchern aber auch während der Krise treu, sind die drei Frauen überzeugt: «Das Lesefieber ist ansteckend, für uns ist klar, dass ‘bliibet dahei’ die Möglichkeit bietet, das Lesen wieder neu zu entdecken und den Bücherstapel auf dem Nachttisch zu reduzieren».
Grossverteiler haben zwar wirtschaftlich gesehen eine dickere Haut, aber auch ihnen sitzt das Virus in den Knochen: Amazon bestellt momentan nichts bei Verlagen und ExLibris vermeldete den Kund*innen per Mail, dass momentan nicht mehr alle Bestellungen versendet werden können. Der Grund: Damit die Post weiterhin Paketzustellungen sichern kann, hat sie bei den grössten hundert Versendern Kontingente für Pakete eingeführt – dazu gehört auch ExLibris. Diese Massnahme gilt vorerst bis am 9. April.
Hier haben lokale Läden einen klaren Vorteil gegenüber den Grossen: «Wir setzen auf das Motto: Hamstern Sie lokal! Damit ihre Lieblingsbuchhandlung auch nach der Corona-Krise wieder öffnen kann», so die drei Inhaberinnen der Bachletten-Buchhandlung.
Kein Fasnachtskalender 2021
Auch am Basler Ur-Verlag Reinhardt nagt Corona: Zwar gibt es über den Online-Shop einen deutlichen Verkaufszuwachs, schreibt der Verwaltungspräsident Alfred Rüdisühli auf Anfrage von Bajour. Verglichen mit den Zahlen von März 2019 habe sich der Umsatz dieses Jahr mehr als verdoppelt. Dies sei allerdings nur eine Betrachtungsweise, über den klassischen Buchhandel sei der Umsatz beinahe komplett weggebrochen: «Das erstaunt doch sehr, da die meisten Buchhandlungen auch über eigene Online-Shops verfügen», so Rüdisühli. Das zeige auf, dass der stationäre Handel für Verlage nicht zu ersetzen sei.
«Derzeit können zwei unserer Krimi-eBooks kostenlos heruntergeladen werden.»Alfred Rüdisühli, Verlag Reinhardt
Lesen die Leute also im Moment also nicht mehr Bücher als vor dem «Lockdown light»? «Würden wir nur die physischen Bücher betrachten, dann müsste ich die Frage mit Nein beantworten. Betrachtet man aber die Anzahl der heruntergeladenen eBooks, dann lautet die Antwort klar Ja», so Rüdisühli. Bei den eBooks habe sich die Anzahl Downloads gar deutlich erhöht, unter anderem wegen kostenlosen Angeboten des Verlags: «Derzeit können unsere Krimi-eBooks «Der Maulwurf» von Dani von Wattenwyl und «Wenn Marionetten einsam sterben» von Anne Gold kostenlos heruntergeladen werden». Dies sei ein «Geschenk von uns an alle, die sich in dieser schwierigen Zeit mit einem Krimi ablenken möchten.»
Das Reinhardt-Verlagsprogramm ist dem Virus derweil erst teilweise erlegen: Drei Bücher wurden auf Sommer und Herbst verschoben und diverse Buchprojekte, welche für den Herbst geplant wären, vorläufig auf Eis gelegt. Zudem gibt es gewisse Projekte, die schlicht nicht veröffentlicht werden können: «Beispielsweise wird es den Fasnachtskalender 2021 im kommenden Jahr nicht geben, da es logischerweise keine Fotos von der diesjährigen Fasnacht gibt.»
Auch Bücher sind systemrelevant
Beim Lenos-Verlag fiel die Teilnahme an der Leipziger Buchmesse, das Luzerner Bücherfest sowie eine Lesung in Zürich und eine ausgedehnte Reise einer Autorin im Mai der Krise zum Opfer. «Wie es nach der Sommerpause weitergeht, ist noch unklar», sagt Lektorin und Veranstaltungsleiterin Lucia Lanz. Zudem wurde die Veröffentlichung eines für April geplanten Buches verschoben. Diese Ausfälle gehen auch ans Finanzielle, wer fängt das auf? «Im Moment ist noch nicht klar, ob wir als sogenannt 'gewinnorientiertes Unternehmen' bei der Unterstützung für die Kultur berücksichtigt werden», erklärt Lanz.
Für die Literaturbranche, die mit minimalen Margen arbeiten muss und auch zu normalen Zeiten von Druckkostenzuschüssen und Übersetzungsförderung abhängig ist, sei das eine ebenso existenzbedrohende Situation wie für die Kulturinstitutionen, die als «nicht gewinnorientiert» eingestuft werden. «Viele engagierte Independent-Verlage sind schwer beunruhigt, dass man zwischen Stuhl und Bank fallen könnte», sagt Lanz. «An ihrer Existenz hängt die Vielfalt der Literaturszene, hängen nicht zuletzt zahlreiche Autor*innen – Bücher sind für eine funktionierende Demokratie auf Dauer auch systemrelevant!».
Dass die Leute momentan mehr lesen, stellt man beim Lenos-Verlag leider noch nicht fest. Daher animieren die Mitarbeiter*innen auf den sozialen Netzwerken: Unter #lesenstattreisen und #supportyourlocalbookstore werden Buchtipps präsentiert.
Abgesagte Vernissagen, Lesungen und Projekte
Wie geht es Autor*innen, deren Bücher mitten in die Krisenzeit hinein veröffentlicht wurden? Einer von ihnen ist der Reporter Peter Hossli, sein Buch «Revolverchuchi» – eine Geschichte aus dem Jahr 1957 von zwei Liebenden, die zu Mörder*innen werden – erschien genau einen Tag vor dem Lockdown beim Basler Verlag Zytglogge.
Etliche Lesungen und die Vernissage, geplant am 26. März, mussten abgesagt werden: «Dieses Fest fehlt, das möchte ich unbedingt nachholen», sagt Hossli. «Hinter jedem Buch steht ja viel Arbeit, sowie andere Menschen, die den Autorinnen und Autoren geholfen haben. Eine Vernissage dient natürlich dazu, die Geburt des Buches zu feiern, und jenen Danke zu sagen, die geholfen haben». Zudem fällt die Medienaktivität rund um die Vernissage weg, was bei der Promotion des Buches geholfen hätte, sowie Lesungen an wichtigen Handlungsorten der Geschichte.
«Es ist nicht einfach, sich Gehör zu verschaffen in einem medialen Umfeld, das nur noch ein Thema kennt. Aber mich freut das bisherige Feedback jener Personen, die das Buch gelesen haben», so Hossli. Auch er nimmt auch persönliche Bestellungen entgegen und liefert die signierten Exemplare wenn möglich persönlich direkt ins Milchkästli.
Die Zürcher Autorin Michelle Steinbeck lebt in Basel und veröffentlichte 2016 ihren Erstling «Mein Vater war ein Mann an Land und im Wasser ein Walfisch» im Basler Lenos Verlag. Wenn es so weitergehe mit dem Buchmarkt, müsse sie wohl eh auf Groschenromane umstellen, wenn sie noch veröffentlicht werden will, ergänzt die Autorin. «Oder halt doch was Richtiges werden, mit Zukunft, im Schlachthof oder so. Das sagen jedenfalls die düsteren Prognosen».
Michelle Steinbeck: Italientour ist abgesagt
Aktuell gehe es ihr aber noch gut, erzählt Steinbeck, im Zeitalter der Corona-Schreibaufträge. Dazu schreibt sie momentan ein Theaterstück, das im Mai in Dornach Premiere gehabt hätte, in ein Hörspiel um. Lesungen aus Steinbecks Gedichtband, der 2018 erschien, hätten im Frühling stattfinden sollen – und wurden alle abgesagt. Auch ihre Moderationsaufträge für zwei Lesungen der Basler Autorin Sabine Gisin fielen dem Virus zum Opfer. Und befänden wir uns nicht in einer Krise, sässe Steinbeck heute mit den beiden Lyrikerinnen Rebecca Gisler und Laura di Corccia im Zug nach Rom für ein Übersetzungsprojekt von Babel. Für die gestrichenen Lesungen wird Steinbeck Ausfallentschädigung anmelden.
«Auch die Italientour mit der Übersetzung meines ersten Romans, die im Frühsommer hätte beginnen sollen, ist nun abgesagt», ergänzt sie. Ausserdem hätte heuer in einem Londoner Verlag ein Band Short Stories im der Übersetzung von Jen Calleja erscheinen sollen – «keine Ahnung, ob das noch was wird». Statt unterwegs ist Steinbeck nun zuhause in Basel am Schreiben: «Das ist nicht so schlimm. Sorgen mache ich mir akut am meisten um die kleinen Verlage und Buchläden. Dabei können wir die gerade so einfach unterstützen: Online bestellen, nach Hause liefern lassen. Und dann der besten Beschäftigung nachgehen: Bücher lesen. Dort gibts noch kein Corona.»
Hier findet ihr während Corona immer noch zuverlässig Lesestoff
Im Bachletten: Bachletten Buchhandlung
In der Spalenvorstadt: Buchhandlung Ganzoni
Im Kleinbasel: Müller Palermo
Am Nadelberg: Buchhandlung Labyrinth
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