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Bachgraben-Tunnel

Das Entwicklungsareal in Allschwil boomt – und Bern merkt's nicht

Der Bundesrat legt geplante – aus regionaler Sicht dringende – Verkehrsprojekte auf Eis. Der Chef von Swiss Aviation Software ist fassungslos.

06/15/22, 02:20 AM

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Bachgraben Zubringer

Gute Fahrt – #not. (Foto: Stefan Schuppli)

Ronald Scherer, CEO der Firma Swiss Aviation Software, ist in Rage. «Hier hat es alles Hightech-Firmen, aber die Verkehrsanbindung ist vollkommen low-tech. Das ist doch einfach unglaublich!», ereifert er sich. «Zwischen 16.30 und 17.30 Uhr ist Stau. In beide Richtungen. Sie brauchen 20 Minuten, bis Sie da entweder auf der Nord- oder auf der Südseite wegfahren können.» Den Bus nehmen? «Fehlanzeige. Der steht auch im Stau! Den Bus können Sie vergessen.» Das Chaos reiche bis zur Autobahn, sagt Scherer, Geschäftsführer der kräftig wachsenden Software-Firma, die Ihren Sitz gleich neben der Grenze zu Frankreich hat (Bajour berichtete).

Das Bachgraben-Areal, das sich von der Höhe Gartenbad in Richtung Grabenring erstreckt, ist eines der grössten Entwicklungsgebiete der Region. Bis Ende 2023 kommen hier zu den aktuell 4300 Arbeitsplätzen nochmals etwa 4000 dazu, im Endausbau dürften hier 12'000 Menschen arbeiten, forschen, studieren. 

Ronald Scherer ist CEO bei Swiss Aviation Software.

Ronald Scherer ist CEO bei Swiss Aviation Software. (Foto: zVg)

Hier ist der Sitz des Swiss TPH (Tropeninstitut). Hier kommt der mit Bundesgeldern unterstützte Innovation Park («Campus») hin. Hier wird das Departement für Medizin-Technik der Uni Basel angesiedelt. Startups werden kommen – alles in allem ein Riesending. Diese aktuell 4300 Menschen, dann 8000, dann 12'000, alle müssen irgendwie auf dieses Gelände kommen.

Doch vergangene Woche wurde bekannt, dass der Bund weder die Tramverlängerung noch den Autobahnzubringer («ZUBA») finanziell unterstützen will. Die Hoffnung eines Grossteils der regionalen Politik sowie von Firmen und Institutionen war, dass der Bundesrat diese Projekte als dringlich einstuft. Doch diese erreichten nicht einmal den B-Level sondern wurden auf «C» degradiert. Damit entfällt eine nationale 40-Prozent-Unterstützung der Ausbaukosten, die alleine für ZUBA 150 bis 170 Millionen Franken ausmachen würden. 

ÖV und Velo fehlen

Der Bund begründet den Entscheid gegenüber dem SRF Regionaljournal mit der Qualität des Projekts: Es fokussiere zu «wenig auf eine Gesamtlösung» «für alle Verkehrsteilnehmer». Den Bund stört, dass gemäss Projekt zuerst ein Autotunnel gebaut werden soll, während der öffentliche Verkehr und Velorouten Jahre später geplant sind. Ein Punkt, den auch die Basler Grünen, VCS und Basta kritisieren.  

Es stellt sich aber auch die alte Frage: Wird die Nordwestschweiz und ihr unbestreitbarer Beitrag zum Wachstum der schweizerischen Volkswirtschaft nicht wahrgenommen? Und wenn ja, warum nicht?

Anita Fetz, SP-Ständerätin von 2006 bis 2019, sagt: «Wer beim BAV nicht dauernd auf der Matte steht, wird gerne übergangen.» Noch nicht angekommen scheint in Bern die Tatsache, dass die Region DER Wachstumsmotor der Schweiz darstellt und dass von diesem Wachstum weitere Industrien und das Gewerbe profitieren.

Skala: Anteil der in der Life Sciences-Branche Beschäftigten in %

Skala: Anteil der in der Life Sciences-Branche Beschäftigten in % (Foto: BAK Economics 2016)

Die Life-Sciences-Branche legt in der Schweiz – und damit in der Nordwestschweiz – eine atemberaubende Dynamik an den Tag. «Weltweit findet sich kaum ein anderes Land mit einer derart hohen räumlichen Dichte an global agierenden Life-Sciences-Unternehmen und mit einer solch hohen Life-Sciences-Wertschöpfung pro Einwohner», schreibt die BAK Economics in ihrer jüngsten Studie. Der Cluster in der Nordwestschweiz ist hierbei der grösste Life-Sciences-Standort der Schweiz.

Eine etwas ältere Studie von 2016 zeigt, dass es die Nordwestschweiz selbst mit anderen «Hotspots» wie die San Francisco Bay Area, Singapur, Boston und der Öresund locker nicht nur aufnehmen kann, sondern die absolute Spitze darstellt. Angesichts der vielen Investitionen der hiesigen Industrie dürfte sich die Dynamik eher noch verstärkt haben. Roche, Lonza und Bachem legen ein strammes Wachstumstempo vor. Ein Beispiel aus dem Bachgraben-Areal: Die Firma Idorsia hat seit 2017 die Zahl der Mitarbeitenden auf 1200 fast verdoppelt.

Wachstum hält wohl an

Sicherlich hängt das auch damit zusammen, dass globale Nachfrage nach pharmazeutischen und medizintechnischen Produkten kräftig steigt. Seit 2000 hat sich der weltweite Verbrauch von Life Sciences Produkten gesamthaft fast vervierfacht und entwickelte sich damit in etwa doppelt so dynamisch wie die Gesamtwirtschaft. Es spreche viel dafür, dass dieser Wachstumsvorsprung auch in den kommenden 10 Jahren anhalte, schreibt die BAK. Zu den zentralen strukturellen Treibern des Nachfragewachstums gehört der medizinisch-technische Fortschritt.

Die Gemeindepräsidentin Nicole Nüssli (FDP) zeigte sich gegenüber dem Regionaljournal SRF «masslos enttäuscht» über den Entscheid des Bundes, die Baselbieter Bau- und Umweltschutzdirektion apostrophiert die Entscheidung des Bundesrates als «schwierig nachvollziehbar». Ins gleiche Horn stösst das Basler Bau- und Verkehrsdepartement. Auch bei Idorsia, die grösste Firma auf dem Gelände, wurde der bundesrätliche Entscheid «mit Bedauern» zur Kenntnis genommen. Nüssli gibt sich trotzdem kämpferisch: «Wir blicken nach vorn und lassen nicht locker. Zusammen mit den Kantonen.»

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