Macht aus Schienen Velobahnen
Seit Jahren wird um jeden Autoparkplatz gekämpft, aber die Velostadt Basel steht still. Was wäre eigentlich, wenn wir das Tram opfern würden, damits per Velo endlich vorwärts geht? Denken wir das Undenkbare.
Drämmli sind aktuell wie Regenschirme: Fast niemand braucht sie. Es sitzen eh fast alle alle im Homeoffice im Trockenen. Und die, die trotz Corona rausmüssen, streifen sich lieber eine Pellerine über statt eine Maske und sitzen aufs Viren-freie Velo.
Die kommen schon wieder, denkt sich der BVB-Direktor. «Wir sind überzeugt, dass sich der ÖV vollumfänglich erholen wird – das wird zwei bis drei Jahre dauern», sagte Bruno Stehrenberger der «bz».
Immer weniger Leute fahren Tram: Zwischen 2014 und 2019 verloren die BVB 5 Prozent Fahrgäste, trotz Verlängerung der Line 3 nach St. Louis 2017. Während Corona hat die BVB sogar 75 Prozent Passagier*innen und 20,8 Millionen Franken verloren. Immer mehr Leute fahren Velo. 2019 nahm der Fahrradverkehr um 16 Prozentpunkte zu.
Kann er sich so sicher sein?
Natürlich, wenn wir alle durchgeimpft sind, wird das Tramfahren wieder sicherer. Aber es sprechen zwei gewichtige Gründe gegen das Tram.
- Gemütlichkeit
- Tempo
Es werden viele auch in Zukunft nicht mehr aufs Homeoffice verzichten, weil: Zeit mit Freund*innen oder Kindern ist schöner als Tram fahren. Und zweitens ist man mit dem Velo oder sogar mit dem Trotti schlicht und einfach viel schneller.
Beispiel Bruderholz. Wer da oben wohnt und in der Clarastrasse arbeitet, muss ab Jakobsberg 35 Minuten einplanen und erst noch zweimal umsteigen, zuerst am Bahnhof auf den 11er und dann beim Theater in den 6er. Eine Dreiviertelstunde ist da schnell rum. So mühsam. Mit dem Velo ist man in 20 Minuten da.
Diese Gedanken hat sich auch der freisinnige Verkehrspolitiker Daniel Seiler gemacht. «Die Drämmli sind einfach unflexibel.» Die Schienen sind starr im Boden verankert. Sie zu verlegen ist teuer, und wenn sie mal liegen, liegen sie.
Seiler sitzt im Vorstand des Automobilclubs Schweiz, «aber mit dem Auto hat die Tramdiskussion gar nichts zu tun». Ihm gehe es um die Zukunft der Mobilität.
«Wollen und brauchen wir diese Schienen in 30, 40 Jahren noch?»Daniel Seiler, FDP Basel-Stadt
Der Kanton will das Schienennetz ausbauen. 2026 sollen neu unter anderem Drämmli über den Petersgraben und den Claragraben fahren. Und auch auf der Feldbergstrasse sollen Schienen verlegt werden. Für den gesamten Ausbau sprach der Grosse Rat 2012 350 Millionen Franken.
Seiler fragt jetzt: «Wollen und brauchen wir diese Schienen in 30, 40 Jahren noch?» Während der Rushour seien die Strecken überlastet, am Abend oder Wochenende dafür sind die Trams halbleer: «Das ist doch nicht effizient.»
Seiler will jetzt nicht grad die «alten Schienen ausreissen», wie er sagt. «Neue sollte man aber überdenken.»
Soweit der Automobil-Club-Mann. Aber bevor wir uns jetzt wieder hinter die Diskussion ÖV vs. Individualverkehr beziehungsweise Auto vs. Tram und Bus verrammeln – denken wir doch mal weiter. Weg mit dem Tram, her mit den Geleisen und den Fahrspuren! Aber nicht zugunsten der Autos sondern der Velos.
Kämen wir so endlich vorwärts?
Die Politik spricht zwar gerne über die «Velostadt Basel». Aber passiert ist wenig, seit die Bevölkerung den Veloring abgelehnt hat. Im Morgenverkehr vom einen Ende der Stadt ins andere fahren, ist wie Super Mario spielen: Du weisst nie, ob du heil ankommst.
Wie schön wäre es, man könnte auf einer separaten Velobahn sicher und schnell dahinfliegen! Wie in unserer verkehrsplanerischen Fantasie. Machen wir den 15er zur Velobahn und rauschen vom Radiostudio ungebremst zur Schifflände und ab da über die Mittlere Brücke zum Badischen Bahnhof. (Hier findest du das Liniennetz, falls du mit dem Finger die Strecke nachfahren möchtest.)
Den Aeschenplatz überqueren wir ohne Anhalten und reihen uns in den Strom der Pedaleur*innen auf der 3er-Piste ein. Velofahrer*innen haben auf den Bahnen Vortritt, wie früher beim Tram – und den gleichen Respekt, seit ein permanenter Fluss an pedalenden Basler*innen das Strassenbild bestimmt.
Dort, wo man nicht am immer kümmerlicher werdenden Autoverkehr vorbeikommt, geht es erhöht auf der erstellten Piste der (abgestraften) Hochbahnvisionäre aus dem Baselbiet weiter. Es gäbe aus Velosicht kein Halten mehr. Dann hat man eine dermassene Masse und einen Tempovorteil, dass alles kippt. Und für die Gemütlichen gibts einen «Plauderstreifen», wie in Kopenhagen.
Dramatisch fürs Herz
Die Folgen wären dramatisch. Dramatisch gut! Die Herz-/Kreislaufwerte der Basler*innen würden sich nachhaltig verbessern, genauso wie die CO2-Bilanz und die Arbeitseffizienz. Auch die Velokurier*innen hätten Freude und würden sich ab und an Geschichten von früher erzählen, als sie noch um Autos herumfuhren, die dauernd nur hintereinander rumstanden und nach Parkplätzen gesucht haben.
Endlich mehr Platz in der Stadt! Den Autofahrer*innen würde die Wartererei an der Veloampel genauso verleiden wie die Parkplatzsuche. Und irgendwann würden sie umsteigen. Aus Zeitgründen.
Und für die, die nicht Fahrrad fahren können? Für die gibts immer noch die Busse und ein einzuführendes Sozialtaxi mit AHV- und IV-Rabatt und sogar mit anständig bezahlten Fahrer*innen.
Was das alles kostet?
Ziemlich sicher weniger als die fürs Tramnetz budgetierten 350 Millionen Franken.
Gute Idee, den Veloverkehr gegen den ÖV auszuspielen und nach Jahrzehnten des Stillstands, die städische Vorwärtsbewegung auf dem Tramstreifen zu suchen?
Mobilitätsforscher als Spassbremse
«Nein», sagt Thomas Sauter-Servaes. «Die Zukunft der Stadt liegt im Tramverkehr.» Der Professor ist Mobilitätsforscher und leitet den Studiengang Verkehrssystem an der ZHAW. Er sagt: «Trams sind extrem effizient.» Sie können auf vergleichsweise wenig Strassenraum viele Personen schnell befördern und brauchen wenig Energie.
Ja, ja. Das hatten wir schon. Aber Velos verdichten auch und sind erst noch gesünder.
«Es wäre hirnrissig, jetzt vom effizienten Tramsystem abzurücken.»Thomas Sauter-Servaes, Mobilitätsforscher
Doch der Professor mahnt, es mache keinen Sinn, Trams gegen Velos ausspielen: «Die gehören zusammen.» Wenn zu Hauptverkehrszeiten Leute lieber das Trotti nehmen, habe es mehr Platz im Tram. «Das macht den öffentlichen Verkehr attraktiver. Und das ist das Ziel: Je attraktiver der ÖV, desto mehr Leute bringt man weg vom Auto und ins Tram.»
Sind wir also doch beim Auto gelandet – Sauter-Servaes nennt sie «Stadtraumvernichter». Ist er ein Autofeind?
«Nein», sagt der Verkehrsforscher natürlich. Er besitze zwar kein Auto, sei aber von der Magie des Autos fasziniert. Aber: «Es wäre hirnrissig, jetzt vom effizienten Tramsystem abzurücken.»
Schöne Plätze statt Autobahnen
Fläche ist in den dichten Städten das kostbarste Gut. Gerade auf den grossen Hauptverkehrsachsen müsse man viele Personen auf möglichst kleinem Raum transportiere», sagt Sauter-Servaes. Dann bleibe mehr Platz für schöne Plätze auf denen man verweilen kann. «Das macht eine Stadt attraktiv und nicht mehrspurige Autobahnen mit Randbebauung.»
Das Garage-zu-Garage-Fahren sei ein Relikt der autozentrierten Stadtplanung, sagt der Verkehrsforscher. Gerade in Zeiten, in denen das Sitzen das neue Rauchen sei und sowieso alle zu wenig Bewegung hätten.
Das sieht ACS-Mann Daniel Seiler natürlich anders. Für ihn wird das Auto in Zukunft noch mehr die Vorteile von Unabhängigkeit und Freiheit ausspielen können. «Nur das Auto bringt einem bei jedem Wetter direkt und bequem von Tür-zu-Tür. In Zukunft abgasfrei, autonom fahrend und einfach abrufbar per App als platzsparendes On-Demand Micromobil.»
Zwei Experten, zwei Meinungen. So ganz abbringen von der Idee der Velobahn wollen wir uns aber nicht. Wie wärs, mit freier Velofahrt an ein paar Tram-freien Montagen? Zum Ausprobieren. Dann wissen wir's.