«Kontingente im Asylbereich sind völkerrechtswidrig»

Die SVP will systematische Grenzkontrollen und nur noch 5000 Asylbewerber*innen pro Jahr. Ist das umsetzbar? Migrationsrechtlerin Sarah Progin-Theuerkauf ordnet ein.

Mitglieder des Grenzwachtkorps GWK Basel Nord beobachten ein Tram am Grenzuebergang Burgfelden in Basel am Freitag, 13. Maerz 2020. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Der Grenzschutzkorps beobachtet ein Basler Drämmli.

Die SVP bleibt sich treu und will mit dem polarisierenden Thema Migration eine Abstimmung gewinnen. Das ist ihr seit Annahme der Masseneinwanderungsinitiative vor ziemlich genau zehn Jahren nicht mehr gelungen. Nach der Lancierung der Nachhaltigkeitsinitiative («Keine 10-Millionen-Schweiz») vergangenes Jahr hat sie nun ein neues Volksbegehren in den Startlöchern, wie CH Media am Montag publik machte: die Grenzschutzinitiative. Sie stehe noch ganz am Anfang, die SVP wolle sie Ende März lancieren.

Doch die drastischen Forderungen geben jetzt schon zu reden: Die SVP will nur noch 5000 Asylbegehren pro Jahr gewähren, Asylbewerber*innen aus sogenannten sicheren Drittstaaten die Einreise verweigern und den Status «vorläufige Aufnahme» ersatzlos abschaffen. Damit das alles möglich ist, müsste die Schweiz die europäischen Migrationsabkommen (nach ihren Beschlussorten Schengen und Dublin benannt) neu verhandeln – und nötigenfalls aufkündigen. 

Eric Nussbaumer Frage des Tages Quote
(Quelle: Screenshot Frage des Tages)

Im Zentrum der Initiative steht derweil namensgebend die Forderung nach systematischen Grenzkontrollen, um weitere Asylanträge in der Schweiz zu verhindern. Diese Vorstellung lässt vor allem in der Dreilandregion aufhorchen: «Systematische Grenzkontrollen sind gefährlich. Das würde täglich kilometerlange Staus an allen 400 Grenzübergängen bedeuten und die Nordwestschweizer Wirtschaft stark belasten», sagt der derzeitige Nationalratspräsident, der Baselbieter SP-Politiker Eric Nussbaumer.

SVP-Fraktionspräsident Thomas Aeschi verweist im Gespräch mit CH Media darauf, dass er die Einreise für die Schweizer Wohnbevölkerung und Grenzgänger*innen weiter unkompliziert halten möchte. Er stellt sich ein Grenzregime wie zwischen den USA und Mexiko vor, samt elektronischer Ausweiskontrolle mittels RFID-Chips. Solche Chips sind schon heute in allen Schweizer Ausweisen verbaut. Der Grenzübertritt würde dann mit der gleichen Technologie wie das Badge-System in vielen Büros funktionieren.

So könnte das aussehen:

Die Einführung eines solchen Systems wäre nicht gerade billig. Nussbaumer verweist darauf, dass der Aufwand systematischer Grenzkontrollen vom Bundesrat einst mit 1,5 Milliarden Franken beziffert wurde. Für den SP-Politiker ist es derweil vorstellbar, dass der Schweizer Grenzschutz wieder vermehrt Stichproben-Kontrollen durchführt: «Wenn die offenen Grenzen missbraucht werden, muss die Zahl der Stichproben übergangsweise erhöht werden.» Deutschland hat jedenfalls 3500 illegale Einreisen aus der Region verhindert, seit es im Oktober 2023 für begrenzte Dauer wieder verstärkt Grenzkontrollen durchführt.

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Seit Mitte Oktober hat Deutschland die Grenzkontrollen an der Schweizer Grenze verschärft. Selbst im 8er-Tram nach Weil am Rhein muss man sich regelmässig ausweisen. Der Bundespolizei gelang es seither, 30 Schlepper zu fassen und 3500 illegale Einreisen zu verhindern, wie die bz schreibt. Deutschland ist einer von elf Staaten des Schengen-Raums, die ihre Grenzen wieder kontrollieren. Dass die offenen Grenzen unter Druck geraten, auch durch die SVP-Initiative, besorgt den Grossteil der Bajour-Community

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Wären solche systematischen Grenzkontrollen überhaupt rechtlich zulässig? Theoretisch ja, bestätigt Sarah Progin-Theuerkauf, Professorin für Europarecht und Migrationsrecht an der Universität Fribourg: «Gemäss Schengen-Recht sind Grenzkontrollen zulässig. Dazu muss aber eine ernsthafte Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit bestehen. Das ist nicht der Fall, wenn man der bisherigen Argumentation des Bundesrats folgt.»

© Stéphane Schmutz / STEMUTZ.COM
«Wir können uns nicht einfach für unzuständig erklären.»

– Sarah Progin-Theuerkauf

Die Migrationsrechtlerin sieht viele Probleme in den bisher bekannten Ausformulierungen der SVP-Initiative, die gegen diverse internationale Übereinkommen verstosse: «Man kann nicht beim 5001. Geflüchteten sagen, den können wir ungeprüft zurück in ein Land zurückschicken, in dem eventuell Folter droht. Kontingente im Asylbereich sind völkerrechtswidrig» Und auch die Einreiseverweigerung für Asylbewerber*innen aus «sicheren Drittstaaten» – das sind nach Schweizer Recht alle EU-Länder sowie Island, Liechtenstein und Norwegen – unterliegt zunächst den Regeln des Dublin-Systems. «Wir können uns nicht einfach für unzuständig erklären.»

Dabei will die SVP ja perspektivisch sowieso weg vom derzeitigen Dublin/Schengen-System. Es habe für die Schweiz mehr Nach- als Vorteile, findet SVP-Fraktionschef Aeschi bei CH Media. Sarah Progin-Theuerkauf warnt aber davor, die Abkommen zu kündigen. «Wir würden damit auf den Zugriff auf wertvolle Datenbanken verzichten und die Zusammenarbeit mit europäischen Polizei- und Gerichtsbehörden abschaffen. Das hilft uns heute aber, Kriminalität zu bekämpfen.»

La militante pour les droits de l'homme Anni Lanz arrive pour son proces en appel, etant accusee d'avoir fait revenir illegalement un refugie en Suisse, devant le tribunal cantonal valaisan ce mercredi 21 aout 2019 a Sion. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)
Anni Lanz setzt sich seit vielen Jahren für die Rechte von Geflücheten ein. (Quelle: © KEYSTONE / VALENTIN FLAURAUD )

Absurderweise könnte ein Ende der Dublin-Regeln sogar das Gegenteil von dem bewirken, was die SVP erreichen will und zu mehr Asylmigration führen. Denn wegen Dublin kann die Schweiz heute Asylbewerber*innen in das Land abschieben, das für die Erstprüfung zuständig ist (das sind meist die Länder an den EU-Aussengrenzen am Mittelmeer). Ohne diese Regeln wäre die Schweiz für die Asylprüfung zuständig. «Damit hat sich die SVP selbst ein Ei gelegt», sagt die Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz.

Lanz arbeitet seit vielen Jahren im Asylbereich. Die neuen Forderungen der SVP kommen für sie nicht überraschend, «Schengen ist der SVP schon lange ein Dorn im Auge». Eine realpolitische Chance haben diese Forderungen laut Lanz nicht: «Es geht der SVP aber darum, den Diskurs zu dominieren. Die Partei ist nur so gross geworden, weil sie angefangen hat, über Ausländer zu schimpfen. Und damit gewinnt sie leider Wahlen und verschafft sich weiter Einfluss.»

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