Liebe, Sex und Klimaschutz im Judentum
Das Jüdische Museum zieht in ein grösseres Haus an der Vesalgasse 5. Zu Beginn der Bauarbeiten sprechen die Präsidentin Nadia Guth Biasini und die Direktorin Naomi Lubrich über ihre Pläne am neuen Standort und über den Wunsch, den Dialog weiter auszubauen.
In dieser Woche beginnen die Bauarbeiten für das neue Jüdische Museum in Basel. Wann möchten Sie dort einziehen?
Nadia Guth Biasini: Wir planen, Ende 2025 in das neue Haus an der Vesalgasse einziehen zu können. Der Terminplan ist ehrgeizig, aber wir sind optimistisch.
Der neue Standort des Museums ist geschichtsträchtig.
Nadia Guth Biasini: Genau. Auf dem Gelände des Kollegiengebäudes der benachbarten Universität befand sich der erste jüdische Friedhof der Schweiz. Es handelte sich um einen bedeutenden Friedhof mit vielen Gräbern. Einige der Grabsteine des Friedhofs befinden sich heute in unserem Museum. Zudem liegt die Vesalgasse nicht weit entfernt vom Spalentor. Früher kamen die Elsässer Jüd*innen auf dem Weg zum Markt oder zur Messe in Basel durch das Tor und mussten dort eine Sondersteuer bezahlen. Aus unserer Sicht ist das neue Museum genau am richtigen Ort. Der neue Standort passt wunderbar zum Jüdischen Museum, da wir dort Geschichten wie diese erzählen.
Es ist zentraler Ort, aber noch immer etwas versteckt gelegen.
Nadia Guth Biasini: Ja, das Museum liegt nicht direkt an der Strasse, was für uns aus Sicherheitsgründen wohl besser ist. Das Jüdische Museum ist auch in Basel ein exponierter Ort und wir sind nach dem 7. Oktober wachsamer als sonst.
Im Januar wurde im Grossen Rat ein Budgetpostulat für die Sicherheit des Jüdischen Museums angenommen. Erleichtert dies die Situation?
Nadia Guth Biasini: Die Entscheidung des Regierungsrats steht noch aus, aber es würde uns ausserordentlich freuen, wenn der Kanton Basel-Stadt nun den grossen Beitrag von 85’000 Franken jährlich – oder vorerst während vier Jahren - für die Sicherheit leistet. Der Bund trägt seit 2023 zu unseren Ausgaben für die Sicherheit bei. Wenn Basel sich nun auch beteiligt, begrüssen wir dies sehr.
Sie haben jährlich 8000 bis 9000 Besucher*innen. Auch Schulklassen besuchen das Museum, spüren Sie seit dem 7. Oktober eine Veränderung?
Naomi Lubrich: Ja, die Anzahl der Klassen nach dem 7. Oktober ist zurückgegangen, zum Teil aus Sicherheitsbedenken. Die Situation war angespannt. Jüdische Anlässe wurden abgesagt, es gab Schmierereien. Unser Angestellter am Empfang hat seine Kippa abgelegt, nachdem der Rabbiner die Gemeinde zur Vorsicht aufgerufen hat. Künstler*innen, die an unseren Veranstaltungen auftreten wollten, sagten ab.
Welchen inhaltlichen Fokus setzen Sie?
Naomi Lubrich: Bisher haben wir vor allem das Leben innerhalb der Gemeinden gezeigt, es ging meist um die Vergangenheit. Im neuen Haus zeigen wir verstärkt auch den Austausch zwischen Juden und Nichtjuden, und wir zeigen vermehrt Themen der Gegenwart. Antisemitismus und Zionismus werden mehr Raum erhalten. Und wir zeigen die Einwanderung von Jüdinnen und Juden aus dem Mittelmeerraum, aus Griechenland, der Türkei und dem Maghreb.
Das Jüdische Museum der Schweiz in Basel wurde 1966 als erstes jüdisches Museum im deutschsprachigen Raum nach dem Zweiten Weltkrieg in der Kornhausgasse eröffnet. Nach fast 60 Jahren zieht es in die Vesalgasse 5 nahe der Universität. Für das Architekturprojekt verantwortlich sind Diener & Diener Architekten. Für den Umbau und Umzug, das Ausstellungs- und Veranstaltungsprogramm bis 2034 sind 10 Millionen Franken budgetiert. Der Kanton Basel-Stadt subventioniert das Jüdische Museum für die Jahre 2024 bis 2027 mit 140’000 Franken pro Jahr. Neu werden jährlich zudem 85’000 Franken für die Sicherheit des Museums vom Kanton übernommen. Den Grossteil der laufenden Kosten für das Museum finanzieren Stiftungen und Privatpersonen.
Das Thema Antisemitismus ist wieder aktueller geworden. Es gibt im Grossen Rat auch den Anzug für Antisemitismusprävention in allen Sekundarschulen. Inwiefern möchten Sie hier unterstützend wirken? Wie verstärken Sie den Austausch mit dem Erziehungsdepartement und Schulen?
Naomi Lubrich: Wir bieten Führungen und Workshops für Schulklassen an. Zum Beispiel geben wir jungen «Kinderreportern» die Möglichkeit, Zeitzeug*innen Fragen zu stellen und daraus Interviews für eine Kinderzeitung zu schreiben. Sie können sich auch Objekte aus unserem Museum auswählen und mit den Nachfahren darüber sprechen.
Sie setzen immer wieder auch auf moderne Themen. In der Museumsnacht hat der Rabbiner über Liebe und Sex gesprochen. Ist es das Ziel, gerade auch jüngere Menschen anzuziehen?
Naomi Lubrich: Ja, sicher, wobei Liebe und Sex universelle Themen sind, und auch für Ältere eine Quelle der Freude. Wir versuchen, Themen aufzugreifen, die heute relevant sind, Diskussionen zu initiieren oder weiterzuführen. Das Judentum hat überraschende Antworten beispielsweise auf aktuelle Fragen der Nachhaltigkeit, des Klimaschutzes und der Ökologie. Wir sind im regen Austausch mit der Wissensgemeinschaft und immer sehr neugierig, zu erfahren, worüber sie forscht.
Wie nehmen Sie solche Anregungen auf?
Naomi Lubrich: Manchmal kontaktieren wir Wissenschaftler*innen zu Fachfragen, manchmal kontaktieren sie uns, weil sie zum Beispiel unser Archiv nutzen oder ein Objekt ansehen möchten. Daraus entwickeln sich interessante Gespräche. Wenn sich die Gelegenheit bietet, halten wir die Gespräche in unserem Blog als Interviews fest, zuletzt beispielsweise mit Daniel Zisenwine über die Jüdinnen und Juden Nordafrikas.
Soll künftig auch der interreligiöse Dialog mehr gefördert werden?
Naomi Lubrich: Ja, das ist wichtig, gerade jetzt. Lehrpersonen wünschen sich Themen, die den Zusammenhalt ihrer Klassen stärken. Neu bieten wir deswegen jüdisch-muslimische Führungen an, die von zwei Guides, einer Jüdin und einer Muslima, geleitet werden. Sie zeigen die Ähnlichkeiten und Unterschiede der abrahamitischen Religionen. Es gibt viel Unwissen und viele Falschinformationen auf den Sozialen Medien. Wir möchten aufklären und die Fragen der Schüler*innen offen und produktiv beantworten.
Das neue Museum wird grösser sein, eröffnet das auch neue Möglichkeiten für das Programm?
Nadia Guth Biasini: Der neue Holzbau auf vier Etagen liegt zentral in der Altstadt, er ist mit 750 Quadratmetern grösser und attraktiver als der jetzige, sympathische Standort. Wir haben künftig Platz für Dauer- und Wechselausstellungen, für Werkstatt- und Veranstaltungsräume, eine Bibliothek, unser Büro und einen Shop. Die grösseren Flächen und Räume ermöglichen eine vollkommen neu konzipierte und gestaltete Ausstellung. Wir können endlich auch Sonderausstellungen und Veranstaltungen bis zu 100 Personen planen. Das jetzige Haus ist vergleichsweise klein, es war ursprünglich als ein Provisorium gedacht, das nun fast 60 Jahre anhält…
Wie ist das Konzept für das mehrstöckige Museum?
Naomi Lubrich: Im Erdgeschoss planen wir den Empfang, den Shop und wechselnde Sonderausstellungen. Im ersten Stock erzählen wir von der jüdischen Religion: Gemeinschaft, Glaube und Geschichten. Im zweiten Stock zeigen wir die jüdische Schweiz in sieben Abschnitten. Die neue Ausstellung wird neben jüdischen Ritualgegenständen Kunst und Musik, Literatur und Dokumente und vor allem die Menschen in den Vordergrund stellen, die die Gemeinden der Schweiz beleben und belebten.
Wie sieht das Programm im Museum während der Bauarbeiten aus?
Nadia Guth Biasini: Unser aktuelles Haus an der Kornhausgasse wird normal bespielt. Im Innenhof werden wir bald eine Installation zum Werk des US-amerikanischen Künstlers Frank Stella mit dem Titel «Jeziory» zeigen. Er stellt unserem Museum dieses Werk grosszügigerweise zur Verfügung. Der Künstler Frank Stella ist eng mit Basel und dem Kunstmuseum verbunden, und wir schätzen uns glücklich, dieses Werk zeigen zu können. Unsere Arbeit im Museum geht weiter, bis wir das neue Haus eröffnen können.
Sei dabei und werde Member!