Nussbaumer will mehr Fleisch am Knochen
SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer will vom Regierungsrat wissen, ob er die ADHS-Versorgungskrise anerkennt. Damit hält sie den Druck aufrecht, die psychische Gesundheit insbesondere von Kindern und Jugendlichen zu verbessern.
Es waren dramatische Worte, die SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer vergangenes Jahr wählte, als sie mit Bajour über die Versorgungskrise im Bereich psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sprach: «Es ist ein Desaster», sagte sie damals. Und: Sie verliere langsam die Geduld. Doch: «Getan hat sich bis heute kaum etwas», wie sie weiter ausführt, «obwohl der politische Druck nach wie vor gross ist». So hat auch sie, die in der Gesundheitskommission sitzt, diesen Dienstag erneut einen Vorstoss eingereicht, der Bajour vorliegt. In einer schriftlichen Anfrage stellt sie dem Regierungsrat Fragen, um zu ermitteln, inwiefern sich die Versorgungskrise im Bereich psychische Gesundheit auch auf die Diagnosen von AD(H)S und Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zeigt. Ihr Ziel: Sie will mehr Fleisch an den Knochen bekommen, um herauszuhören, wo man am besten ansetzen kann, um die Situation zu verbessern.
Auch wenn konkrete Zahlen zur Neurodivergenz, also die natürliche Vielfalt der menschlichen Gehirnfunktionen, heute noch fehlen, zeigt sich seit Längerem eine gewisse Unzufriedenheit seitens der von AD(H)S oder ASS betroffenen Personen. Denn in Basel erhalten Kinder wie Erwachsene immer öfter entsprechende Diagnosen, wie Anita Jung Strub, elpos-Fachstellenleiterin für die Nordwestschweiz gegenüber Bajour bestätigte. Und die Wartefristen für eine Diagnose am Rheinknie betragen 6-8 Monate. Auch in Basel seien die Therapieplätze ausgebucht. Kinder müssten meist ein bis zwei Jahre warten. Jung Strub sagt: «Das ist eigentlich eine Tragödie und sollte gar nicht gehen.»
Podcasterin Kafi Freitag, Campaigner Daniel Graf und Satiriker Karpi haben ADHS. Im Bajour-Büro haben sie sich über ihre ADHS-Leiden und -Strategien ausgetauscht. Ein Gespräch zum Nachhören oder Nachschauen.
Nussbaumer möchte vom Kanton aber nicht nur Daten zu Diagnosen, Wartezeiten und Fachstellen erhalten. Sie will auch wissen, welche Unterstützungsmassnahmen er für Lehrpersonen im Umgang mit AD(H)S/ASS-betroffenen Kindern konkret anbietet. Und ob Programme wie Selbsthilfegruppen für Eltern ausgebaut würden. Ebenfalls fragt sie nach langfristigen Massnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation.
Aussschlaggebend für das weitere Vorgehen wird wohl sein, ob die kantonalen Behörden eine Versorgungskrise im Bereich AD(H)S/ASS allgemein oder für bestimmte Altersgruppen überhaupt anerkennen. Und wie die aktuelle Situation eingeschätzt wird. Grosse Hoffnung machen muss man sich aber nicht. Denn: Der Vorwurf der Linken lautet seit geraumer Zeit, der Vorsteher des Gesundheitsdepartements, Lukas Engelberger (Mitte), sei in der Gesundheitsversorgung eher defensiv unterwegs. So findet auch Nussbaumer: «Der Regierungsrat scheint kein Interesse zu haben, sich eine Versorgungslücke einzugestehen.» Sie spricht von einer Hinhaltetaktik. Dabei gäbe es in ihren Augen durchaus eine Möglichkeit, wie er sich stark machen könnte: Durch mehr Intervention.
«Der Regierungsrat scheint kein Interesse zu haben, sich eine Versorgungslücke einzugestehen.»Melanie Nussbaumer, SP-Grossrätin
Dieser Meinung ist auch SP-Grossrätin Melanie Eberhard. Sie sagte vor den letzten Regierungsratswahlen im Oktober gegenüber Bajour: «Engelberger nimmt die Spitäler zu wenig in die Pflicht, obwohl er Eigner wäre.» Er lasse den selbstverwalteten Spitälern zu viel Spielraum, müsste sie stärker steuern: «Der Kanton hat eine Verantwortung für die Gesundheitsversorgung.» In anderen Worten: Mit dem vom Kanton vorgeschriebenen Gewinn der öffentlichen Spitäler könnte die Versorgungslücke zumindest ein bisschen geschlossen werden.
Das Gesundheitsdepartement selbst möchte sich wegen des hängigen Vorstosses zur aktuellen Situation nicht medial äussern und teilt – wie bereits im vergangenen Jahr – lediglich mit, dass «im Kanton seit Jahren zahlreiche Präventionsprogramme laufen, um die psychische Gesundheit der Basler Bevölkerung zu stärken und die Bevölkerung für psychische Belastungen und Erkrankungen zu sensibilisieren». Mit der Antwort auf den neuerlichen Vorstoss von Nussbaumer ist bis in drei Monaten zu rechnen.