Gestaltender Verwalter
Man kann Lukas Engelberger vieles vorwerfen – etwa, dass er abgesehen von der Corona-Zeit eher im Hintergrund schaltet und waltet –, aber nicht, dass er in den letzten zehn Jahren nichts gemacht hat. Auch dank seines Engagements kommt Basel bei der Prämienerhöhung mit einem blauen Auge davon. Eine Bilanz.
Er ist der amtsälteste Regierungsrat, seit zehn Jahren im Amt: Der Mitte-Politiker Lukas Engelberger hat als 39-Jähriger Carlo Conti in der Exekutive ersetzt und waltet seither in Basel über das Dossier Gesundheit. Ein bisschen grauere Haare als damals, wie der Jurist den Beitrag zu seinem Jubiläum auf Telebasel in seiner Wochendiagnose selbst kommentiert, aber immer noch mit Anzug und Krawatte. Und vor allem: mit dem gleichen roten Velo unterwegs vom Fusse des Bruderholz, wo er wohnt, an die Malzgasse, wo er arbeitet.
Er sei nicht amtsmüde, betont Engelberger gerne, was allerdings schwer zu glauben ist. Zugespitzt gesagt: Er hatte seine fünf Minuten Glory mit der Pandemie gehabt, als er sich als Präsident der Schweizer Gesundheitsdirektorenkonferenz den Ruf eines Krisenmanagers erarbeiten konnte. Danach wäre er wohl auf dem Absprung gewesen. Doch dann erzielte der damalige Mitte-Präsident und prädestinierte Nachfolger Balz Herter bei den Ständeratswahlen 2023 miserable Resultate und musste seine Politkarriere begraben. Engelberger wird nun solange bleiben müssen, bis neuer Nachwuchs bereitsteht, denn die Mitte wird ihren Sitz nicht hergeben wollen. Als möglicher Nachfolger gilt Patrick Huber aus Riehen. Doch das dürfte noch ein wenig dauern; erst sollte er wohl den Sprung in den Grossen Rat schaffen, um sowohl seine Bekanntheit zu steigern als auch sein Profil zu schärfen.
«Engelberger macht, was er machen muss.»Oliver Bolliger, Basta-Grossrat und Regierungsratskandidat
Vor diesem Hintergrund erstaunt es wenig, dass dem Departementsvorsteher, der sich nun um eine weitere Amtszeit bewirbt, von links bis recht vorgeworfen wird, er sei mehr Verwalter als Gestalter, ihm fehle es an Visionen. Und er agiere passiv. Engelberger sieht das naturgemäss anders und betont auf Anfrage: «Ich bin sehr motiviert, meine Arbeit als Gesundheitsdirektor weiterzuführen.» Und: «Das Gestalten liegt mir eher besser als das Verwalten.» Er setze sich ein für ein starkes und solidarisches Gesundheitswesen, für einen innovativen Medizinstandort Basel sowie für eine Intensivierung der Zusammenarbeit mit Baselland.
Kooperation auf Augenhöhe?
Letzteres ist denn auch ein gesetzlicher Auftrag der Stimmbevölkerung. Diese sagte 2019 Ja zu einer gemeinsamen Gesundheitsregion, während einer Fusion eine Absage erteilt wurde (das Baselbiet sagte Ja, der Stadtkanton Nein, weil sich die Linke vor weniger guten Gesamtarbeitsverträgen fürchtete). Doch statt enger zusammenzuarbeiten, rücken die Kantone wieder auseinander. So findet beispielsweise Oliver Bolliger, Grossrat, Präsident der Gesundheitskommission und Regierungskandidat für die Basta: «Nach abgelehnter Spitalfusion war der Dampf raus.»
Das Verhältnis zwischen Engelberger und seinem Baselbieter Amtskollegen Thomi Jourdan (EVP) ist sichtlich abgekühlt; Jourdan ist mit seinem Fünf-Punkte-Plan in den Augen der Städter etwas übermütig vorgeprescht, gleichzeitig hat man ennet der Kantonsgrenze das Gefühl, am Rheinknie mache man, was man wolle. Eine Kooperation auf Augenhöhe ist derzeit politisch nicht erkennbar, heisst es aus dem Baselbiet. Sven Inäbnit, FDP-Landrat sagt dazu auf Anfrage: «Ich hoffe, die Direktoren finden einen Weg, vorwärts zu machen mit gemeinsamen Massnahmen, die für die Region sowie ihre Patientinnen und Patienten sinnvoll und wirklich kostendämpfend sind. Es müssen mehr Signale kommen, insbesondere was die Infrastruktur anbelangt.» Sauer aufgestossen ist dem Baselbiet jüngst, dass der Stadtkanton 300 Millionen Franken gesprochen hat für den geplanten Bettenturm des Klinikums 2 des Universitätsspitals Basel. Statt Infrastrukturprojekte gemeinsam zu planen.
«Der Kanton hat eine Verantwortung für die Gesundheitsversorgung.»Melanie Eberhard, SP-Grossrätin
Dennoch darf man Engelberger ein kleines Kränzchen winden: In Basel-Stadt sind die Prämien schweizweit am wenigsten stark angestiegen (1.5 Prozent versus 6 Prozent), damit sind sie nach Genf und Tessin allerdings immer noch die dritthöchsten Prämien schweizweit. Zu erklären ist dieser moderate Anstieg auch mit dem Engagement des Gesundheitsvorstehers, das anerkennt selbst die Linke. Bolliger sagt: «Dass es dem Regierungsrat gelungen ist, die stationären Kosten dank der 2021 mit dem Baselbiet eingeführten Spitalliste zu stabilisieren, ist ein Erfolg, den man ihm anrechnen darf.» Auch der eingeführte Zulassungsstopp (wo eine ärztliche Überversorgung besteht) wird als positives Beispiel erwähnt. Überhaupt scheint Engelberger Vorgaben des Bundes ohne Wenn und Aber umzusetzen. Auch wenn aus Sicht von Bolliger mehr hätte gemacht werden können, ist er der Ansicht: «Engelberger macht, was er machen muss.»
Trotz aller Anerkennung findet auch SP-Grossrätin Melanie Eberhard, ebenfalls Mitglied der Gesundheitskommission: «Engelberger nimmt die Spitäler zu wenig in die Pflicht, obwohl er Eigner wäre.» Er lasse den selbstverwalteten Spitälern zu viel Spielraum, müsste sie stärker steuern: «Der Kanton hat eine Verantwortung für die Gesundheitsversorgung.» Ein Grundkonflikt, so scheint es, zwischen der Ratslinken und dem bürgerlichen Vorsteher: Sie bezieht sich auf seine Rolle und Verantwortung als Eigner, er sich auf die Selbstverwaltung der öffentlichen Spitäler.
Drogenproblematik verkannt
Die Privatspitäler ihrerseits kritisieren Engelberger dafür, einen unfairen Verdrängungswettbewerb zu ihren Ungunsten zu führen. Im BaZ-Rededuell widerspricht Engelberger dem Privatspitäler-Präsidenten Martin Birrer und betont die gute Zusammenarbeit: «Als einem, der bürgerlich tickt, ist es mir ein Anliegen, dass das Engagement der Privaten gewürdigt und von der Politik auch nach Möglichkeit unterstützt wird.» Ausserdem sind im Grossen Rat gleich mehrere Vorstösse der LDP hängig, welche die anscheinend überbordende Bürokratie in Arztpraxen, aber auch in Spitälern kritisieren; dies ist auch ein Schwerpunkt der FDP-Regierungsratskandidatin Eva Biland.
«Als einem, der bürgerlich tickt, ist es mir ein Anliegen, dass das Engagement der Privaten gewürdigt und von der Politik auch nach Möglichkeit unterstützt wird.»Lukas Engelberger, Mitte-Regierungsrat
Ein Desaster sehen Ratsmitglieder zudem in Bezug auf die Versorgungskrise, wenn es um psychische Gesundheit geht. Die Wartefristen für eine ADHS-Diagnose beispielsweise betragen in Basel derzeit sechs bis acht Monate. Und auch die Therapieplätze sind ausgebucht. Lang ist die Liste an Vorstössen, die SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer zum Thema eingereicht hat. Geschehen sei noch nichts: «Ich verliere langsam die Geduld», sagte sie unlängst zu Bajour. Und: «Wenn der Kanton nicht reagiert, zahlen die Kinder und Jugendlichen, deren Familien und das Umfeld einen hohen Preis.» Derweil verwies Engelberger auf «zahlreiche Präventionsprogramme, die seit Jahren laufen, um die psychische Gesundheit der Basler Bevölkerung zu stärken und die Bevölkerung für psychische Belastungen und Erkrankungen zu sensibilisieren». Eberhard findet auch hier, Engelberger interveniere zu wenig. «Es stimmt, dass das Angebot gross ist, aber eben nicht gross genug, wenn man sieht, wie gross die Nachfrage ist.»
In Bezug auf die Drogenpolitik ist ebenfalls eine gewisse Zurückhaltung des Basler Gesundheitsdepartements auszumachen. Bajour kommentierte vergangenen Oktober, nachdem die Situation im Unteren Kleinbasel eskalierte und sich die Bevölkerung mit einer Petition an die Regierung wandte: «Engelberger verharmlost die aktuelle Drogenproblematik, wenn er darauf verweist, dass Kokain nicht so verbreitet sei wie zum Beispiel Alkohol und Tabak, und diese die Hauptsorgen in der Drogenpolitik darstellten.» Es wirke, als sei sein Departement von den Entwicklungen böse überrascht worden. Obwohl aufgrund der Werte im Abwasser klar ersichtlich ist, dass immer mehr Kokain in Basel konsumiert wird, gibt es kein klares Konzept, wie man den Konsum in den Griff bekommen möchte.
Auch am Drogenstammtisch, den Bajour gemeinsam mit dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel organisiert, hat Engelberger – anders als seine Kollegin und Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann (LDP) – noch nie teilgenommen, obwohl das Gesundheitsdepartement eine wichtige Rolle spielt, um dem Problem Herr zu werden. Stellt er sich der direkten Auseinandersetzung mit seinen potenziellen Wähler*innen nicht? Engelberger: «Selbstverständlich stelle ich mich jederzeit der Diskussion. Die Termine der Drogenstammtische passten leider nicht in meine Agenda. Jedoch nahm jeweils ein Regierungsmitglied teil und seitens Gesundheitsdepartement Vertretende der entsprechenden Fachstelle, der Abteilung Sucht.»
Zum Erfolgsmodell der Vier-Säulen-Politik gehört neben Prävention, Therapie und Repression auch die Schadensminderung. Diese soll am vierten Drogenstammtisch von Bajour und dem Stadtteilsekretariat Kleinbasel im Fokus stehen. Braucht es eine staatliche Kokain-Abgabe? Welche Wohnformen und Tagesstrukturen sind für die Drogensüchtigen unterstützend? Sollte es gar Begegnungszonen für Konsumierende wie in Freiburg geben? Und: Wie leben wir mit den vielen Einrichtungen im dicht besiedelten Kleinbasel?
Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht nötig.
- Dienstag, 19.11.2024, 19 bis 20:30 Uhr
- Rheinfelderhof an der Hammerstrasse 61, 4058 Basel
- Moderation: Martina Rutschmann
Basel könnte insgesamt eine stärkere Vorreiterrolle spielen; statt eine Pilotstudie für regulierten Cannabis-Konsum zu lancieren, könnte der Kanton doch gleich auch härtere Drogen legalisieren beziehungsweise regulieren, oder etwa nicht?
Karriere wie am Reissbrett
Doch Engelberger ist kein Mann der Strasse, so nett und aufrichtig er auch beschrieben wird (am Wahlpodium von SRF und Telebasel wurde indes klar, dass er im Gremium durchaus auf den Tisch hauen kann). Er hat eine Karriere gemacht wie vom Reissbrett: Mit 20 hat er das Präsidium der damals Jungen CVP übernommen, mit knapp 30 wurde er Grossrat, danach Chef der CVP und noch vor der runden 40 Regierungsrat. Was wohl nach der Basler Exekutive kommt? Engelberger werden Ambitionen für Bundesbern nachgesagt, vielleicht eine Kandidatur für den Ständerat? Dazu sagte er in der BaZ Anfang Jahr lediglich, er wolle nicht unbedingt bis zum AHV-Bezug Regierungsrat bleiben und habe einen offenen Zeithorizont. Der Schnitzelbängger Singvogel spekulierte an der Fasnacht 2023 gar, ob Engelberger Bundesrat werden möchte. Gegenüber Bajour verneinte er in den frühen Morgenstunden vor der Wahl von Beat Jans derartige Ambitionen mit einem schulterzuckenden Lächeln.
Die Wahl von Jans führte übrigens dazu, dass Engelberger von Januar bis Mai eine Doppelrolle ausführen musste, weil er neben seinem Gesundheitsdepartement vorübergehend auch das Präsidialdepartement leitete, bis der neue Vorsteher Conradin Cramer (LDP) die Geschäfte übernehmen konnte. Chapeau, möchte man hier sagen. Dass die Bevölkerung davon wenig gespürt hat, darf wohl als positiv gewertet werden.
Überhaupt heisst es, im Gesundheitsdepartement wird wiedergewählt, wer keine Fehler macht. Und Fehler kann man Engelberger beim besten Willen keine andichten. Er dürfte die Wiederwahl also problemlos schaffen. Daran ändert auch nichts, dass sein Bürgerlicher-Schulterschluss-Kollege Stefan Suter (SVP), ein eigentlicher Mann der Mitte, ihm ein paar Stimmen wegschnappen wird. Zumindest ist fraglich, ob sich die Bürgerlichen brav ans Ticket halten werden oder in der Hitze des Gefechts doch jede*r in erster Linie für sich alleine schaut, sprich: seine eigene Partei wählt. Der SVP werden immerhin für den Grossen Rat Sitzgewinne vorausgesagt. Doch Regierungsratswahlen bleiben Personenwahlen. Im schlimmsten Fall wird Engelberger in einen zweiten Wahlgang geschickt. Die Boy Group, wie alt Ständerätin Anita Fetz (SP) die Solidarität unter bürgerlichen Männern einst nannte, wird es im Zweifelsfall schon richten.