Auf Bar-Tour mit Balz Herter
Am 5. Februar wird Mitte-Grossrat Balz Herter voraussichtlich zum höchsten Basler gewählt. In seiner Hood im Kleinbasel erzählt er von seinem politischen Tiefpunkt und seinen Ambitionen – unterbrochen von ständigem Händeschütteln.
Am Neujahrsapéro des Gewerbeverbands steht Balz Herter im Foyer des Theater Basel. An ihm vorbei strömen die Gäste in Richtung Buffet. Und im Minutentakt klopft ihm jemand auf die Schulter und sagt etwas wie: «So, bisch au no uftaucht?» Ihnen allen ist nicht entgangen, dass Gewerbeverbandspräsident Hansjörg Wilde während seiner eröffnenden Rede zwar diverse Politiker*innen in den ersten Reihen des Theatersaals namentlich willkommen hiess, beim Statthalter Balz Herter aber nicht genau wusste, ob dieser anwesend war.
«Ich habe nicht gewusst, dass ich vorne sitzen soll», sagt Herter ein bisschen verschämt zu den vorbeigehenden Schulterklopfern. «Das werde ich jetzt das ganze Jahr über zu hören bekommen», raunt er und verdreht scherzhaft die Augen, bevor er sich ein «kühles Hopfengetränk» bei der Bar holt.
Nicht nur am Gewerbeverbandsanlass sass Balz Herter in den hinteren Reihen. Auch politisch ist der Mitte-Grossrat in den letzten zwei Jahren seit seiner Ständeratskandidatur und dem Rücktritt als Mitte-Präsident in den Hintergrund gerückt. Das liegt aber weniger an der gescheiterten Kandidatur als an seinen neuen Ämtern: Seit 2024 ist er Statthalter, am 5. Februar wird er aller Wahrscheinlichkeit nach zum Grossratspräsidenten gewählt. Vor allem im kurz bevorstehenden Amt des höchsten Baslers ist politische Zurückhaltung gefragt.
Und dieses Amt, so darf man prognostizieren, wird dem 40-jährigen Kleinbasler liegen. Denn er ist nicht von der Sorte Politiker*innen, die sich und ihre Inhalte bei jeder Gelegenheit ins Rampenlicht stellen. Er, der mit einem ausbildungsbedingten Unterbruch seit zehn Jahren im Grossen Rat sitzt, ist ein Netzwerker. Das sagt Herter nicht nur über sich selbst – «Netzwerk ist mein Lebensinhalt» – es lässt sich auch in seinem natürlichen Habitat beobachten: bei einer Bar-Tour durchs Kleinbasel an einem Samstagabend im Januar.
Gestartet wird auf Herters Vorschlag mit Fleisch-Plättli und Amberbier im Consum in der Rheingasse. Herter steht pünktlich vor der Tür, warm eingepackt in einen langen Wintermantel und dunkle Wildleder-Doc-Martens. Drinnen zupft er sich das massgeschneiderte Jackett zurecht, bevor er sich setzt und erzählt, wie ihn sein Umfeld schon als Kind politisiert hat.
Sein Vater war SPler und Journalist. Nach der Trennung seiner Eltern wuchs Herter bei seinen Grosseltern auf. Seine Grossmutter verbrachte ihre Kindheit als Auslandschweizerin im Elsass, daher liefen in Herters Grosselternhaus jeweils die französischen Tagesnachrichten. Und während «Schulkameraden Mickey-Mouse-Heftli lasen», blätterte der kleine Balz schon in seiner Kindheit in Tageszeitungen.
In seiner Familie zog es viele in die Politik: Sein Vater ist ein Cousin der Brüder Felix und Christoph Eymann, Herter also ein Grosscousin von Basels Sicherheitsdirektorin Stephanie Eymann sowie Annina und Benjamin von Falkenstein. Politisch sei ihm die «humanistische Politik» des ehemaligen Nationalrats Christoph Eymann immer ein Vorbild gewesen, erzählt Herter. Sein «Unggle» sei, wie Herter auch, ein klassischer «Liberaler mit sozialem Herz». Oder anders gesagt: «Wir brauchen den Staat, der die Schwächsten auffängt, aber auch gute Bedingungen für die Wirtschaft.»
«Ich bin eher als Spin-Doctor unterwegs.»Balz Herter
Inhaltlich verbucht Herter seinen grössten Erfolg beim Steuerabzug der Krankenkassenprämien, der es nach seiner Motion ins Steuerpaket von Tanja Soland geschafft hat, dadurch werde vor allem der Mittelstand «wirksam entlastet». Mit diesen Worten warb er auch schon im Ständeratswahlkampf. Man muss aber auch sagen: Die Motion kam nicht aus dem Nichts, sondern folgte auf eine knapp abgelehnte Initiative der Mitte (die damals noch CVP hiess).
Weitere handfeste Beispiele für seine Erfolge kann Herter keine aus dem Jackett-Ärmel schütteln. Auch seine Vorstoss-Liste ist mit etwa ein bis vier Vorstössen pro Jahr eher dünn gesät. Wie steht es um seinen Leistungsausweis?
Die Frage bringt ihn an diesem Abend im Consum – im Gegensatz zum Bajour-Interview mit Andrea Fopp 2023 – nicht ins Schwitzen. Damals hatte er Mühe, Erfolge seiner Partei aufzuzählen, legte sein Jackett ab und brauchte einen Schluck Wasser. Jetzt nimmt er einen Schluck von seinem zweiten Bier und erklärt: «Ich bin eher ein bisschen als Spin-Doctor unterwegs. Ich bringe die richtigen Leute miteinander ins Gespräch und gehe direkt zu einer Amtsstelle, um zu fragen, ob Änderungen möglich sind.»
«Er ist ein Allrounder und muss als solcher nicht bei jedem Thema alles wissen. Aber er kennt alle, die es wissen.»Michela Seggiani, Fraktionspräsidentin SP Basel-Stadt
Wenn man sich umhört, legen ihm auch andere diese Art der politischen Arbeit positiv aus, zum Beispiel SP-Grossrätin Michela Seggiani, die mit Herter in der Finanzkommission sitzt: «Es gibt die Politiker*innen, die sich vorwiegend auf ein Thema fokussieren und damit sehr sichtbar sind. Und dann gibt es die ‹Kümmerer›. Sie schauen hinter den Kulissen, dass alles funktioniert und die Leute miteinander reden. Balz würde ich klar zu ihnen zählen.»
Seggiani streicht auch Herters Netzwerk als Stärke hervor: «Balz ist ein gutes Beispiel für einen Milizpolitiker: Er ist ein Allrounder und muss als solcher nicht bei jedem Thema alles wissen. Aber er kennt alle, die es wissen.»
Grossrät*innen von links bis rechts bestätigen diesen Eindruck. Auch sein ehemaliger Konkurrent im Ständeratswahlkampf 2023, SVP-Präsident Pascal Messerli, sagt: «Ich wüsste jetzt kein Thema, das ich spezifisch mit ihm verbinde. Aber da ist er auch nicht der Einzige: Im politischen Basel gibt es viele, die keine klare thematische Linie zeigen.»
In der Konsequenz heisst das aber auch: In der Rolle des Botschafters sieht man ihn. Und in der Rolle eines politischen Gestalters? Um diese Frage zu beantworten, lohnt sich ein Blick auf den Präsidiumswechsel in der Mitte-Partei. Herter war von 2017 bis 2024 Präsident. Unter seiner Leitung legte die Partei bei den Wähleranteilen zwar zu, aber die Mitte fiel auch nicht besonders auf.
«Ich wüsste jetzt kein Thema, das ich spezifisch mit ihm verbinde.»Pascal Messerli, Präsident SVP Basel-Stadt
Seit Sarah Murray und Franz-Xaver Leonhardt das Präsidium übernommen haben, kündigt sich parteipolitisch und strategisch ein anderer Wind an. Ein bezeichnendes Beispiel: Nach dem ersten Wahlgang bei den Regierungsratswahlen waren die bürgerlichen Kandidat*innen aus dem Rennen. Esther Keller (GLP) musste mit Herausfordererin Anina Ineichen (Grüne) in einen zweiten Wahlgang. Zum Ärger der anderen Bürgerlichen empfahl die Mitte nun Keller zur Wahl. «Früher hat man der Mitte immer vorgeworfen, sie habe kein Profil. Jetzt spürt man uns!», kommentierte Leonhardt diesen Move gegenüber Onlinereports.
Herter jedenfalls ist bewusst, dass er mit seiner Art von politischem Schaffen in der Regel keine grossen Schlagzeilen macht. Er sei lieber ein verbindender Brückenbauer als einer, «der sich gerne selber reden hört», wie er das bei manchen Politiker*innen im Grossen Rat beobachte. Und man muss auch sagen: Herter ist ein gebranntes Kind. Während seines Ständeratswahlkampfs wurde seine Beziehung zur damaligen SP-Co-Präsidentin Jessica Brandenburger publik, und es folgte «ein Shitstorm ohne Rücksicht auf alle Beteiligten».
«Da wurde ich politisch tot geschrieben. Das war mein politischer Tiefpunkt.»Balz Herter über seine gescheiterte Ständeratskandidatur
Wenig später sprach er sich für Gratis-Tampons und den Genderstern aus, was nicht nur der Weltwoche eine Schlagzeile wert war, sondern auch an seinem Image kratzte. Und dann kam die grosse Niederlage, als er schliesslich die Wahl haushoch verlor gegen die bisherige Ständerätin Eva Herzog (SP). Herzog war klare Favoritin, aber Herter machte nicht viel mehr Stimmen als sein bürgerlicher Konkurrent Messerli. «Da wurde ich politisch tot geschrieben», bilanziert Herter trocken. «Das war mein politischer Tiefpunkt.»
«Balz Herter begräbt wohl gerade seine politische Karriere», kommentierte Bajour. Und die BaZ fand: «Ein Erfolg in einer nationalen Wahl oder ein Amt in einer Exekutive ist für ihn offensichtlich ausser Reichweite.» Das sass.
Knapp eineinhalb Jahre später wirkt Herter aber nicht wie einer, der aufgegeben hat. «Das Regierungsratsamt ist nach wie vor ein Traum», hält er fest und hofft, dass ihm das Grossratspräsidium «Strahlkraft» verleihen kann. Basel gegen aussen zu repräsentieren, bezeichnet er als «eine tolle Aufgabe». Denn: «Basel isch für mi Läbe. Basel isch für mi Heimat.»
Ja, das ist kitschig. Aber man nimmt ihm das auch ab. Ihm, der mit 17 Jahren ein Haus an der Feldbergstrasse geerbt hat und die längste Zeit seines Lebens im Kleinbasel wohnt. Er gehört der Zunft zum Goldenen Stern an, engagierte sich bis vor zwei Jahren bei der Milizfeuerwehr (aktuell pausiert er aus Zeitgründen) und kümmert sich beim Pharmakonzern Roche um die Aussenbeziehungen mit der Nachbarschaft und der lokalen Politik. Mit 20 Jahren wurde er Mitglied in der Gesellschaft zum Greifen und in diesem Jahr vorsitzender Meister – das höchste Amt der drei Ehrengesellschaften.
«Ich finde es wichtig, dass man sich für feministische Themen einsetzt.»Balz Herter
Bereut er heute, sich damals proaktiv zu feministischen Themen geäussert zu haben? Herter antwortet nicht direkt, sagt aber: «Ich finde es wichtig, dass man sich für feministische Themen einsetzt.» Gendergerechte Sprache? «Wämm macht das weh?» Ehe für alle? «Das schadet niemandem und nützt denjenigen, die es betrifft.» Lohngleichheit? «Unbedingt.»
Bei Letzterem kritisiert Herter aber den «Basler Finish»: Gemäss nationaler Vorgabe müssen Unternehmen ab 100 Mitarbeitenden nachweisen, dass es bei ihnen keine Lohnunterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. In Basel gilt das bereits für Unternehmen ab 50 Mitarbeitenden. Diese Bürokratie belaste sie unnötig, findet Herter. «Ich habe oft das Gefühl, Basel will immer besonders fancy und progressiv sein.» Da ist er wieder, der «liberale mit sozialem Herz».
Herter ist zwar aufmerksam im Gespräch, blickt aber jeweils kurz auf, wenn jemand an seinem Stuhl vorbeigeht. Schliesslich könnte er jemanden kennen. Und tatsächlich: Bevor das zweite Bier ausgetrunken ist, begrüsst ihn eine Gruppe junger Fasnächtler, die gerade von einem Mimösli-Probetag kommen. Herter erhebt sich für ein Prost und einen Bro-Handshake. «Kommst du auch ans Mimösli?», fragt ihn einer. «Ou, das sollte ich ja auch noch», sagt Herter mit schuldbewusstem Blick und schreibt mit imaginärem Stift auf seine Handfläche. «Ist notiert.» Ein paar Tage später wird er anmerken, das Ticket sei jetzt gekauft.
Die Begrüssungsszene nachgestellt, inklusive Bro-Handshake. (Video: Michelle Isler)
Wenn er wollte, könnte er jeden Abend an einen Anlass, einen Apéro, einen Znacht, eine Sitzung, erzählt er auf dem kurzen Weg in die nächste Beiz. Wie sehr das Schoofegg zu seiner Hood gehört, ist unverkennbar: Er kennt hier praktisch alle. «Jä sali», wieder Bro-Handshake, «und: lauft s?», Schulterklopfer, «goot s guet?», Handschlag. Er wünscht dem Rosenverkäufer gute Geschäfte und verabschiedet ihn mit Namen, winkt fröhlich in die Runde der Schotte Clique, die vor dem Lokal in der Kälte sitzt, und ein Kollege aus der Greifengesellschaft grüsst ihn mit den Worten: «Hooch verehrte Maischter Balthasar.»
Weil die Nacht kalt und die Plätze drinnen alle besetzt sind, gibt’s nur ein schnelles Bier vor der Tür und einen kurzen Schwatz mit der Wirtin. Drei Küsschen, tschüss, bis bald.
Auf dem Weg zur letzten Bar klingelt Herters Handy. Es ist Jessica Brandenburger. Kurzerhand lädt er sie in die Bar Herz an der Clarastrasse ein. Auch dort sind die Stühle gut besetzt. Kein Problem, Herter kennt auch hier den Wirt und bekommt das kleine Tischli an der Fensterfront, auf dem eben noch ein «Reserviert»-Schild stand.
Bei Herz-Negroni und Cola plaudern Brandenburger und Herter zum Schluss noch aus dem Nähkästchen. Dass sich Herter auf seinem Instagram-Kanal auch mal als «Zugboy» bezeichnet? Brandenburgers Idee. Er ist grosser Zugfan, kennt alle Schweizer Klassikerstrecken – «Bernina, Glacier, blublabli» – seit seiner Kindheit und ist dabei, eine Modelleisenbahn in seinen Garten zu bauen.
Als Herter beim Plaudern einen Ärmel hochschiebt, kommen bunte Taylor-Swift-Freundschaftsbändeli an seinem Handgelenk zum Vorschein.
Es sind Geschenke von Brandenburger und dem Sohn eines engen Freundes. Obwohl er sehr unterschiedliche Musik höre, sei er kein Swiftie, sagt Herter.
Dafür grosser ESC-Fan. Dass er ausgerechnet in dem Jahr Grossratspräsident sein darf, in dem das Spektakel in Basel stattfindet: «Eine grosse Ehre.» Was genau dort seine Rolle sein wird, ist ihm zwar noch nicht wirklich klar. Dass er aber auch dort «sein» Basel mit Stolz repräsentieren wird: darauf einen Bro-Handshake.