Schwieriges Terrain für Anti-Rheintunnel-Aktivist*innen

Die Breite leidet unter dem Verkehr und Lärm der heutigen Autobahn. Der Rheintunnel verspricht Entlastung. Wie versuchen Anti-Autobahn-Aktivist*innen, die Quartierbevölkerung dennoch zu erreichen? Unterwegs mit hausierenden Abstimmungskämpfer*innen.

Max Voegtli im Treppenhaus beim Flyern gegen den Rheintunnel.
«Kurz Zeit, über den Rheintunnel zu reden?» Max Voegtli überreicht in einem Altbau in der Breite einen Flyer. Pia Lachenmeyer begleitet ihn. (Bild: David Rutschmann)

Wer in diesen Tagen in den Strässchen entlang der Dreirosenanlage unterwegs ist, dem stechen die dunkelgrünen Fahnen mit durchgestrichenem Autobahn-Symbol ins Auge, die fast an jeder Liegenschaft gehisst wurden. Zehn Jahre Baustelle, damit danach neben der Freizeitanlage ein Autobahn-Tunnelausgang im Hinterhof klafft – so etwas weckt Emotionen und diese wissen die Basler Linken zu nutzen. Die Dreirosenanlage ist ihr Hambacher Forst, ihr Lützerath. Unwahrscheinlich, dass man das nationale Projekt wirklich bodigen kann. Aber allein die Vision mobilisiert die lokale Bevölkerung und davon profitieren die Linken.

Diagonaler Sprung auf die andere Seite der Stadt: das Breite-Quartier. Die dunkelgrünen Fahnen sieht man hier nicht an den Häusern. Durch die Zürcherstrasse quetschen sich Autos. Die Aktivist*innen der Gruppe «Jetzt Wenden» (der Name lässt es vermuten: Sie sind gegen den Rheintunnel) kommen mit dem Tram an. Beim Wochenmarkt besammeln sie sich, einige tragen die roten Warnwesten der Klimabewegung Basel2030. Eine Dame stösst mit dem Lastenvelo dazu, inklusive dunkelgrünem «Nein-zum-Rheintunnel»-Banner.

Heute will die Gruppe in der Breite bei Haustürgesprächen gegen den Autobahnausbau mobilisieren. Ihnen ist bewusst: Die Dreirosenanlage als emotionales Bild funktioniert hier nicht mehr. In diesem Quartier klagt man seit Jahren über Pendelverkehr und Lärm, der vom heutigen Autobahnabschnitt Osttangente ausgeht. Der Rheintunnel verspricht Entlastung. Schwieriges Terrain für Anti-Rheintunnel-Aktivist*innen – aber wenn das Projekt ernsthaft bekämpft werden soll, reicht das Kleinbasel nicht aus. Basel könnte Ja sagen zum Rheintunnel, wenn man einer vom Verkehrsverband TCS in Auftrag gegebenen Umfrage glaubt (diese wurde allerdings wegen niedriger Teilnehmer*innenquote kritisiert).

Rheintunnel Verkehrsbelastung Basel Breite
So sähe die Verkehrsbelastung im Vergleich zu heute aus, wenn man den Rheintunnel (die fette rote Linie) bauen würde. Die Osttangente (dicke grüne Linie) würde massiv entlastet werden. Entlang der Zürcherstrasse (blau eingekringelt) würde der Verkehr allerdings zunehmen. (Bild: ASTRA/Auflageprojekt Rheintunnel)

Bevor die Aktivist*innen sich in Grüppchen aufteilen, die den einzelnen Quartierstrassen zugeteilt werden, tauschen sie Argumente gegen den Rheintunnel aus, als würden sie für einen Vokabeltest in der Schule lernen. «2,6 Milliarden Franken würde der Rheintunnel kosten.»; «Die Lärmbelastung in der Breite wird gemäss Berechnungen des Bundesamts für Strassen nicht abnehmen.»; «Die Osttangente, unter der ihr so leidet, wird nicht zurückgebaut werden.» Dann scheren die Gruppen aus.

Pia Lachenmeyer und Max Voegtli wird die Ramsteinerstrasse zugeteilt. Lachenmeyer ist schon länger in der Anti-Rheintunnel-Bewegung aktiv und als Anwohnerin der Dreirosenanlage persönlich betroffen. Voegtli derweil ist der wohl meistgehasste Klimaaktivist der Schweiz: Er ist der gerichtlich verurteilte «Klimakleber», dessen Flugreise nach Mexiko medial ausgeschlachtet wurde. Familiäre Wurzeln hat er in Birsfelden. Für «Jetzt Wenden» macht der Master-Student die Medienarbeit. «Unser Ziel ist heute, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Man ist oft überrascht, wie viele Leute das Projekt noch gar nicht kennen», sagt er.

Osttangente Basel
So sieht es heute ab 15 Uhr auf der Osttangente aus: Der Verkehr ist enorm. Die Quartiere entlang des Autobahnabschnitts sind davon besonders betroffen. (Bild: David Rutschmann)

Die beiden steuern das erste Haus an, einen Wohnblock. Nach zwei gedrückten Klingeln geht die zentrale Tür auf. Jetzt heisst es: Wohnungstür nach Wohnungstür abklappern. Das ist mühselig, denn nicht in jedem Stockwerk öffnen sich die Türen. Voegtli hat nach drei Türen zum ersten Mal Glück, ein Herr öffnet die Tür.

«Grieziwohl, mein Name ist Max, ich bin aus der lokalen Nachbarschaft. Haben Sie schonmal vom Rheintunnel gehört?»

«Ja.»

«Wie denken Sie darüber?»

«Das ist gut.»

«Warum?»

«Ich denke, das ist ähnlich wie die Nordtangente. Dann haben wir weniger Verkehr im Quartier.»

«Der Autobahnausbau wird aber mehr Autos anziehen, dazu gibt es Studien. Wenn dann auf der Autobahn viel los ist, werden die Autos doch wieder auf die Quartiere ausweichen und dann gibt es noch mehr Stau in der Breite.»

«Das glaube ich nicht.»

Einen Flyer mit den Contra-Argumenten der Gruppe nimmt der Mann dann doch entgegen. Pia Lachenmeyer probiert die nächste Tür. Ein sichtlich verwirrter Junge öffnet. «Du fährst sicher noch kein Auto», fragt Lachenmeyer und er schüttelt den Kopf. Da seine Eltern nicht da sind, versucht sie dennoch, ihm zu erklären, warum sie es nicht gut findet, wenn grosse Bohrmaschinen unter dem Rhein einen Tunnel graben. Der Junge erhält auch einen Flyer, den sich seine Eltern durchlesen können.

Guiseppe und Max Voegtli beim Haustürgespräch.
Guiseppe (links) freut sich über die Infos, die er beim Haustürgespräch bekommt. «Wollt ihr was trinken?», fragt er die Aktivist*innen. (Bild: David Rutschmann)

Die nächsten Gespräche an den Türen, die geöffnet werden, enden schnell:

«Ich habe kein Stimmrecht»

«Das interessiert mich nicht, ich habe kein Auto.»

«Ich möchte heute nicht über Politik reden.»

Erst im obersten Stock lässt sich ein Handwerker mit langem Bart auf ein ausführliches Gespräch mit Lachenmeyer ein. Den Autobahnausbau findet er gut, denn er steht jeden Tag mit seinem Auto im Stau. Und ÖV-Ausbau sei ja schön und gut (obwohl er das Tram auf der Zürcherstrasse lauter als die Autos findet), aber seine Werkzeuge könnte er damit nicht transportieren. Lachenmeyer sagt: «Das finden wir auch: Leute, die wirklich auf das Auto angewiesen sind, sollen auch freie Fahrt bekommen. Aber manche Leute fahren nur aus Bequemlichkeit Auto.»

Dass «Mütter zehn Minuten mit dem Auto zum Bäcker fahren», findet auch der Handwerker nicht gut. Lachenmeyer sucht weitere gemeinsame Nenner mit ihm: SUVs machen in der Stadt keinen Sinn, da stimmt er zu. Und E-Autos finden auch beide doof. Max Voegtli lenkt den Fokus des Gesprächs dann wieder auf den Rheintunnel: «Wissen Sie: Während der Bauzeit wird es zehn Jahre lang mehr Stau geben auf der Osttangente. Wenn dann auch noch die Bauschutt-Waschanlage in Birsfelden gebaut wird, dann fahren bald noch mehr Lastwagen durch die Breite.» 

«Wir wollen in erster Linie ins Gespräch kommen.»
Pia Lachenmeyer

Der Mann scheint die Punkte der Gruppe zu verstehen. Aber wie sein badischer Akzent vermuten lässt, hat er kein Stimmrecht. Auch eine «Nein-zum-Rheintunnel»-Fahne nimmt er nicht, denn da könnte sein Vermieter was dagegen haben. Doch auf den Mailverteiler für Updates zur Mobilisieriungskampagne lässt er sich gerne eintragen. Und er nimmt eine Handvoll Flyer, um mit seinen Arbeitskollegen darüber zu reden.

Ist das nicht frustrierend, nach einem viertelstündigen Gespräch zu erfahren, dass die Person nicht stimmberechtigt ist? «Nein, wir wollen ja in erster Linie ins Gespräch kommen. Gerade mit Personengruppen wie eben Handwerkern passiert das nicht so oft. Dass er so offen war, ist für mich ein Erfolg», sagt Pia Lachenmeyer. Beim Rausgehen fragt sie Voegtli noch nach einer kleinen Manöverkritik, ob sie den Mann zu stark zugetextet habe. «Es war ein gutes Gespräch. Ich bin dir nur irgendwann reingegrätscht mit dem Stau, denn genau das war sein Pain. Dort konnte man ihn abholen.»

Pia Lachenmeyer und Max Voegtli vor verschlossener Tür.
Manchmal stehen Pia Lachenmeyer und Max Voegtli vor verschlossenen Türen. (Bild: David Rutschmann)

Lachenmeyer braucht dennoch eine Pause vom Reden und überlässt Voegtli das Klingeln im nächsten Wohnblock. Dort haben die beiden dann richtig Glück, nachdem sie sich im nächsten Altbaugebäude die Treppe bis in den obersten Stock vorgekämpft haben. Eine Frau beantwortet die Frage, was sie zum Rheintunnel findet: «Da bin ich absolut dagegen. Unser Quartier ist immer noch grün und das soll auch so bleiben.» Sie habe das Stimmrecht, nimmt gerne Flyer für ihren Quartiertreffpunkt entgegen und verspricht sogar, die «Nein-zum-Rheintunnel»-Flagge auf dem Balkon aufzuhängen. Voegtli sagt: «Das ist ganz wichtig, dass Sie das machen. Damit zeigen wir: Basel will den Rheintunnel nicht.»

Im Erdgeschoss öffnet ihnen dann noch ein interessierter älterer Herr die Tür.

«Haben Sie schon von dem drohenden Autobahn-Ausbau gehört?»

«Ja, das finde ich gut. Dann werden wir entlastet.»

«Dazu müsste die Osttangente zurückgebaut werden. Damit rechnen viele, aber die Osttangente soll trotz Rheintunnel bleiben.»

«Aber St. Jakob ist ja heute schon immer verstopft. Wir sind jetzt 9 Millionen in der Schweiz. Unsere Strassen mögen das nicht mehr verleiden.»

«Bisherige Autobahnprojekte haben keine Entlastung gebracht. Wir brauchen andere Lösungen, als immer nur Autobahnen auszubauen.»

«Aber was?»

«Wir haben das ausgerechnet: Das Geld vom Rheintunnel würde reichen, um in der Region Basel den ÖV gratis zu machen. Und wir könnten mehr Velostrecken bauen.»

«Aber der Schweizer ist nunmal nicht so, der will das nicht. Das Auto ist ein Statussymbol»

«Das war in den Niederlanden in den 70ern auch noch so. Dann haben sie sich das nochmal überlegt und die Stadtplanung hat Amsterdam zu einer Stadt des Langsamverkehrs gemacht. Wir könnten uns auch überlegen, ob wir Mobilität nicht neu denken könnten. Aber wenn das Projekt beschlossen wird, ist das Geld weg. Wie würden Sie denn abstimmen?»

«Schwierig. Das kann ich noch nicht sagen. Aber ich nehme gerne einen Flyer. Ich will mit meinem Kollegen nochmal darüber reden.»

Nein-zum-Rheintunnel-Flagge in der Breite.
Und am Ende des Tages hängt doch eine Nein-zum-Rheintunnel-Flagge in der Breite. (Bild: David Rutschmann)

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David Rutschmann

Das ist David (er/ihm):

Von Waldshut (Deutschland) den Rhein runter nach Basel treiben lassen. Used to be Journalismus-Student (ZHAW Winterthur) und Dauer-Praktikant (Lokalzeitungen am Hochrhein, taz in Berlin, Wissenschaftsmagazin higgs). Besonderes Augenmerk auf Klimapolitik, Wohnpolitik, Demopolitik und Politikpolitk. Way too many Anglizismen.

Kommentare

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Axel Schubert
Dipl.-Ing. Arch, Stadtplaner / Dozent Nachhaltigkeit

Entlastung für Lehenmatt/Breite/Birsfelden schon heute möglich - OHNE Rheintunnel

3 Punkte, die leider immer noch viele nicht wissen: 1) Gemäss Umweltverträglichkeitsbericht gibt es im Bereich Gellert/Breite auf der Osttangente keine (!) wahrnehmbare Lärmveränderung. Dies ist mit Tempo 60 aber heute schon möglich. 2) Die Befürworter*innen schieben die Entlastung für die Menschen im Lehenmatt und Birsfelden auf die lange Bank (2040), obwohl sie schon heute nötig und möglich ist. Z.B. mit temporären Durchfahrtssperren zu Hauptverkehrszeiten für Menschen, die nicht am Ort wohnen. Das funktioniert bereits im Wohngebiet in Birsfelden. 3) Selbst die offiziellen Studien ergeben: es gibt mit dem Rheintunnel einen negativen (!) Effekt auf das nachgeordnete Strassennetz (obwohl der mittelfristig induzierte Mehrverkehr noch nicht einmal berücksichtigt ist). Nicht nur aus diesen Gründen ist das Projekt vollkommen aus der Zeit gefallen. Es gibt viel klügere Lösungen. Darum bitte auch Ihr NEIN am 24.11. - denn der Rheintunnel hält nicht, was seine Befürworter*innen versprechen.

Luse Schlepfer
30. Oktober 2024 um 07:17

Reden ist wichtig

Wo ich den Aktivisten recht gebe: Es ist wichtig, über das Rheintunnel-Projekt zu reden. Der Rheintunnel bringt wohl mehr Verkehr auf die Basler Strassen. Darunter könnten am meisten jene leiden, die in Basel aufs Auto angewiesen sind, um von A nach B zu kommen.

Ruedi Basler
30. Oktober 2024 um 13:06

Mobility-Pricing

Eine zukünftige Lösung : Ein vollintegriertes Mobility-Pricing, inklusive öffentlichen Verkehr : Anwendung marktwirtschaftlicher Preismechanismen im Verkehr. Bedeutet einen höheren Grad an Benutzerfinanzierung, eine stärkere Preisdifferenzierung nach Zeiten und Strecken sowie Investitionsentscheide, die auf Kosten-Nutzen-Erwägungen basieren, nicht auf einem föderalen Wunschkonzert. Mobility Pricing ist keine Technologie, sondern ein ökonomisches Prinzip, und bedeutet möglichst grosse Kostenwahrheit – ein Prinzip, das sonst grosse Zustimmung geniesst. Die LSVA ist eine Mobility-Pricing. Sie funktioniert in der Schweiz seit Jahren und ergibt jährlich 15 Milliarden Einnahmen. Dazu muss aber der Blick über den Tellerrand hinaus möglich werden.