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Sanktionen gegen Russland

Eine innige Freundschaft

Jahrelang hat das Staatssekretariat für Wirtschaft russischen Oligarchen den roten Teppich ausgerollt. Nun soll es plötzlich Sanktionen gegen sie durchsetzen. Den Interessenkonflikt kann nur eine Taskforce auflösen.

06/09/22, 06:51 PM

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Dieser Artikel ist am 09.06.2022 zuerst bei der WOZ erschienen. Die Wochenzeitung gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

Fertig lustig. Jetzt wird der rote Teppich wieder aufgerollt.

Fertig lustig. Jetzt wird der rote Teppich wieder aufgerollt. (Foto: Marcel Bamert)

Es war eine der ersten Forderungen, nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte: Die Schweiz solle eine Taskforce zur Aufspürung von Oligarchengeldern einsetzen. Am Erscheinungstag dieser Zeitung diskutiert der Nationalrat endlich über die Forderung der SP. Wie in den USA die sogenannte KleptoCapture soll eine Gruppe von «Staatsanwälten, Geldwäschereiexpertinnen und Finanzfachleuten mit modernsten Ermittlungsmethoden» gegen sanktionierte Personen ermitteln und ihr Vermögen in der Schweiz und in den Zollfreilagern aufspüren.

Der Vorstoss ist auch ein Misstrauensvotum gegen das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco), das bisher für die Umsetzung der Sanktionen zuständig ist, aber gleichzeitig auch selber für die Ansiedelung von russischen Oligarchen sorgte. Der Behörde aus dem Wirtschaftsdepartement von Bundesrat Guy Parmelin (SVP) wird Untätigkeit vorgeworfen – erst recht, seit bekannt geworden ist, dass der russische Oligarch Andrei Melnitschenko seinen Firmenbesitz in der Schweiz flugs seiner Frau Alexandra übertrug und so die Sanktionen gegen ihn umging.

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Wäre es da nicht klüger, jetzt unabhängigere Kräfte ranzulassen? Der Bundesrat findet nein, die Prozesse seien gut eingespielt und effizient. Das Seco selber hält sich für «unabhängig, professionell und unbefangen». Es gebe keine Interessenkonflikte. Wirklich?

Schwerpunktland Russland

Immer mehr russische Unternehmen haben sich in den letzten zwanzig Jahren in der Schweiz angesiedelt. Dies wurde vom Seco massgeblich gefördert. So eröffnete 2002 der damalige Seco-Chef David Syz einen sogenannten Businesshub in Moskau. Russland wurde zum Schwerpunktland bei der Standortpromotion erkoren. Einen ersten grossen Coup erzielte der Kanton Zürich, der Ende 2004 Wiktor Wekselberg und seine Anlagegesellschaft Renova an die Limmat holte. Weitere Oligarchen gründeten Niederlassungen in den Rohstoffhandelszentren Genf, Zug und Lugano. Sie profitieren dabei nicht nur von tiefen Steuern, sondern auch von einer Dienstleistungsindustrie aus Vermögensverwaltern, Anwält:innen und Treuhändern, die Offshorefirmenkonstrukte zimmerten, «die weitaus komplexer sind als russische Matrjoschkas», wie Public Eye schreibt. Die NGO hat kürzlich eine Galerie von 32 Oligarchen veröffentlicht, die über enge Beziehungen in die Schweiz verfügen.

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Dass russische Unternehmen in grosser Zahl ins Land kamen, liegt auch am privaten Verein Switzerland Global Enterprise (S-GE). Das Seco beaufsichtigt die S-GE und entwickelt die Strategie mit. Im Verwaltungsrat des Vereins sitzen derzeit ausschliesslich Vertreter:innen von Wirtschaftsbetrieben. Präsidentin ist die frühere Bundesrätin Ruth Metzler. Für ihre Arbeit, zu der auch die Exportförderung zählt, erhielt die S-GE allein 2021 über 26 Millionen Franken an Bundesgeldern, weitere Mittel stammen von den Kantonen.

Laut S-GE haben sich in den letzten zehn Jahren 143 russische Firmen in der Schweiz angesiedelt. Festgeschriebene ethische Richtlinien, welche Firmen man anspreche, habe es keine gegeben, sagt Patrik Wermelinger, Leiter der Standortpromotion bei S-GE. «Technologiegetriebene Firmen und Hauptsitzstrukturen» hätten jedoch Priorität gehabt. Hat sich ein Unternehmen für die Schweiz entschieden, kommen die Kantone zum Zug, die untereinander im Wettbewerb um die Gunst «des Kunden» stehen, so Wermelinger. Dabei spielten auch Themen wie Sicherheit und Stabilität, Aufenthaltsbewilligungen sowie tiefe Steuern eine Rolle. «Es ist immer ein Gesamtpaket.»

Das Seco hilft, wo es kann

Das Seco unterstützte die Ansiedlungen auch auf diplomatischer Ebene. So fand bislang jährlich ein Treffen der gemischten Wirtschaftskommission Schweiz-Russland statt, bei dem auf beiden Seiten Vertreter:innen von Unternehmen, Verbänden und Handelskammern teilnahmen. In den letzten Jahren stand es von Schweizer Seite unter der Leitung von Erwin Bollinger, dem Chef des Leistungsbereichs Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen innerhalb des Seco. Delegationsleiter auf russischer Seite war mehrmals Vizeministerpräsident Witali Mutko, seit den neunziger Jahren ein enger Putin-Vertrauter.

Es ist ein Geben und Nehmen: Schweizer Firmen wie Nestlé, Novartis oder Glencore dürfen sich in Russland ausbreiten, russische Unternehmen werden dafür in der Schweiz unterstützt. Je enger die Beziehungen geworden sind, desto grösser die Abhängigkeit der kleinen Schweiz vom grossen Russland. Als die Schweizer Regulierungsbehörden etwa gegen den Oligarchen Wekselberg zwei Verfahren wegen Verstössen gegen Börsenbestimmungen einleitete, intervenierte Wladimir Putin persönlich und wies seine Minister an, Druck auf die Schweiz auszuüben. Insbesondere beabsichtigte die russische Regierung Massnahmen gegen Schweizer Firmen vor Ort. Letztlich wurde Wekselberg in einem Fall freigesprochen, während im anderen Verfahren das Schweizer Finanzdepartement eine Einstellung verfügte.

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Auch Seco-Chefin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch bemühte sich in Russland um gute Wirtschaftsbeziehungen. 2019 trat sie in St. Petersburg als einzige westliche Rednerin an einem Anlass des International Economic Forum auf, an dem die ganze russische Wirtschaftselite anwesend gewesen sein soll. Gesponsert wurde der Anlass von der russischen Sberbank.

Dass das Seco einerseits Standortpromotion betreibt und andererseits dann bei Sanktionen gegen jene vorgehen soll, deren Ansiedelung es aktiv mitbetrieben hat, ist schon strukturell fragwürdig. Zumal die entsprechende Abteilung Exportkontrollen und Sanktionen ausgerechnet dem Bereich Bilaterale Wirtschaftsbeziehungen von Erwin Bollinger unterstellt ist. Schaut man zudem, wie sich das Seco 2014 nach der Krimannexion verhielt, treten die Interessenkonflikte offen zutage.

Damals ergriff die Schweiz zwar selber keine Sanktionen gegen Russland, versprach jedoch der EU und den USA, Umgehungsgeschäfte zu verhindern. Dennoch bewilligte das Seco im Spätsommer 2014 die Ausfuhr von hochmodernem Tarnmaterial im Umfang von neunzig Millionen Franken nach Russland. Mit dem Material können Uniformen, aber etwa auch Panzer für Infrarotgeräte und Radaranlagen unkenntlich gemacht werden. Das Seco rechtfertigte seine Zustimmung später damit, dass der Kaufvertrag vor Beginn der Sanktionen abgeschlossen worden sei. Juristisch war der Bewilligungsentscheid somit zwar korrekt, politisch jedoch höchst fragwürdig.

«Hinlänglich bekannte Mängel»

Aufgrund der Vorwürfe gegen das Seco untersuchte in der Folge die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) die Sanktionspolitik und ihren Vollzug. Der Schlussbericht von 2017 spart nicht mit Kritik: Das Seco habe es generell bei der Verhinderung von Umgehungsgeschäften nicht so genau genommen. Die zur Verfügung stehenden Kontrollinstrumente würden nicht ausgeschöpft, wird moniert. Kontrollen vor Ort fänden kaum statt, und wenn, dann würden sie angekündigt. Und weiter heisst es: «Viele dieser Mängel sind hinlänglich bekannt, Korrekturmassnahmen bleiben jedoch aus.»

Das Fest ist vorbei, nun muss das Seco sich von den alten Freunden verabschieden.

Das Fest ist vorbei, nun muss das Seco sich von den alten Freunden verabschieden. (Foto: Marcel Bamert)

Daniel Thelesklaf, ein international anerkannter Experte in Sachen Geldwäscherei und Korruptionsbekämpfung, sagt auf Anfrage der WOZ, mit Vor-Ort-Prüfungen könne nicht nur sichergestellt werden, dass die Pflichten auch tatsächlich umgesetzt würden. Sie würden es den Behörden auch erlauben, «ein vertieftes Verständnis» über die praktische Anwendung der Sanktionen zu gewinnen. Unangekündigte Kontrollen seien besonders dann angezeigt, wenn Gefahr in Verzug sei und Hinweise bestünden, dass Sanktionen vorsätzlich umgangen würden.

Wieso der Bundesrat angesichts der Vorgeschichte mit dem Seco keine Taskforce zur Durchsetzung der Russlandsanktionen will, bleibt unverständlich. Schliesslich hatte er im Anschluss an den Bericht der PVK Verbesserungspotenzial eingeräumt, aber doch in verschiedenen Punkten auf die «beschränkten personellen Ressourcen» verwiesen.

Ist das Seco in Sachen Sanktionen heute personell tatsächlich besser aufgestellt als vor fünf Jahren? Werden regelmässig Kontrollen vor Ort durchgeführt? Das bleibt unklar. Konkrete Fragen will das Seco dazu nicht beantworten und verweist auf eine geplante Nachkontrolle. Der Bundesrat werde erst danach wieder Stellung nehmen.

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