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Treibt das neue Wohngesetz Renditesanierungen an?

Der Mieterverband meldet 18 Sanierungen seit Januar und befürchtet eine «Goldgräberstimmung». Dutzende Mieter*innen sind betroffen, teilweise wurde ihnen ihre Wohnung gekündigt. Hat das neue Wohngesetz etwas damit zu tun?

02/15/22, 10:43 AM

Aktualisiert 02/15/22, 11:15 AM

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Totalsanierung

Am Claragraben wurden die Wohnungen schon länger nicht renoviert. Jetzt gibt es eine Totalsanierung. (Foto: Ina Bullwinkel)

Noch eben schnell sanieren, bevor das neue Wohngesetz am 28. Mai in Kraft tritt und alles komplizierter wird? Das könnte für Investor*innen ein Grund für Renovierungen sein, glaubt zumindest Mitte-Grossrätin Beatrice Isler. Sie nervt sich über Massenkündigungen von grossen Investor*innen. Betroffen von einer Totalsanierung mit Kündigung sind aktuell zum Beispiel 46 Mietparteien im Claragraben 82/84.

Massenkündigung am Claragraben

Massenkündigung am Claragraben

Fast 40 Jahre lang nennen einige Familien ihre Wohnung am Claragraben 82/84 ihr Zuhause. Jetzt ist fertig: Die Adimmo AG hat ihnen im Namen der Investorin Fundamenta gekündigt.

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Isler war gegen die Initiative des Mieter*innenverbands und ist als Eigentümerin von Mietwohnungen selbst von den Verschärfungen des Gesetzes betroffen.

«Es gibt auch Fälle, in denen die Sanierungen nachvollziehbar sind», sagt Isler. «Trotzdem vermute ich, dass mit dem neuen Wohngesetz einiges in Gang gesetzt wurde.» Im Wahlkampf warnte sie, «dass mit dem neuen Gesetz nicht mehr oder nur wenig saniert wird, weil es schwieriger wird und sich nicht mehr lohnt». Sie befürchtete, es könnte in Basel bald mehr Gammelhäuser geben, weil Sanierungen unattraktiv würden. 

Isler betont, man müsse beide Seiten berücksichtigen. «Wenn die Hausbesitzer versuchen, ihr Haus unter Einbezug der Mieterinnen und Mieter zu sanieren, ist das nicht einfach. Es kommt auch ganz auf die Mieter drauf an: In manchen Wohnungen ist die Küche komplett heruntergewirtschaftet, in anderen ist sie vielleicht top gepflegt. Für den Vermieter lohnt es sich aber, gleich alle Küchen neu zu machen.» 

Neues Wohngesetz

Die Basler Stimmbevölkerung nahm am 28. November 2021 die Initiative «JA zum ECHTEN Wohnschutz» vom Mieter*innenverband an. Dadurch muss das Wohnraumfördergesetz geändert werden.

Durch das neue Gesetz soll der Wohnschutz verbessert werden, mithilfe einer Bewilligungspflicht mit Mietzinskontrolle. Diese sollen nicht nur für baubewilligungspflichtige Vorhaben eingeführt werden, sondern für sämtliche Umbauten, Renovationen und Sanierungen, die über den einfachen Unterhalt hinausgehen, gelten. Investor*innen sollen ausserdem verpflichtet werden, bei Sanierungen und Leerkündigungen geeignete Massnahmen zugunsten von älteren und langjährigen Mieter*innen zu ergreifen. Bis Ende Mai soll das Gesetz umgesetzt sein.

Als Eigentümerin fühlt sich Isler durch das neue Gesetz bevormundet. «Alle reden mit, der Kanton, der Mieterverband, Mieterinnen und Mieter.» Für sie stelle sich die Frage, ob es sich noch lohnt, in Basel-Stadt ein Gebäude zu betreiben. «Es macht mich hässig, dass wir das strenge Gesetz den grossen Firmen zu verdanken haben, die Dollarzeichen in den Augen haben und nur auf Rendite aus sind», sagt sie. Wenn alle Vermieter*innen ehrlich wären und ihre Mieter*innen anständig behandeln würden, wäre es aus Islers Sicht wahrscheinlich nicht zu einem neuen Gesetz gekommen, weil der Mieterverband dann nicht so viel Zulauf bekommen hätte.

Seit Januar mindestens 18 Sanierungen

Die Sanierung im Claragraben ist aktuell nicht die einzige in Basel. Laut Mieter*innenverband gibt es seit Januar mindestens 18 Sanierungen, die aus Verbandssicht renditegetrieben sind, davon drei mit Massenkündigungen, inklusive Claragraben. Eine andere stehe in der Bäumlihofstrasse an. 

«Das ist keine Rekordzahl, aber wir erleben seit Monaten eine gewisse Steigerung bei Sanierungen mit und ohne Kündigungen. Es kann schon sein, dass durch das neue Gesetz eine Art Goldgräberstimmung auf dem Immobilienmarkt aufkommt», sagt Beat Leuthardt, BastA!-Grossrat und Co-Leiter des Mieter*innenverbands. In fast allen Quartieren gebe es aktuell solche Fälle. «Im Moment sind wir nur am ‹Seggle› – von einer Mieterversammlung zur nächsten», sagt er. Bei den aktuellen Sanierungen werde von Investor*innenseite argumentiert, die Häuser seien in schlechtem Zustand und müssten saniert werden, «aber das entspricht nicht der Wahrheit», behauptet Leuthardt.

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Stimmt es, dass aufgrund der anstehenden Gesetzesänderung die Zahl der Sanierungen steigt?

«Ich persönlich habe eine weitere These», sagt Leuthardt, der seit Jahren für die Rechte von Mieter*innen kämpft. «Es könnte noch schlimmer sein, und zwar so, dass die Investoren unabhängig von Gesetzen und Stimmverhalten agieren und einfach jegliche Rendite nehmen, die sie kriegen können, auch weniger, aber immer noch fette Renditen.»

Der Mieter*innenverband sieht sich auf jeden Fall gefordert. «Nach der Abstimmung hat die Regierung gesagt, sie wolle auch den Investoren ein Stück weit entgegenkommen», sagt Leuthardt. «Meine grosse Befürchtung ist, dass es dann auch mit dem neuen Gesetz so weiter geht. Die Bevölkerung hat aber ein Anrecht darauf, dass der Wohnschutz Eins zu Eins umgesetzt wird.»

Totalsanierungen und Massenkündigungen

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