Schlauchmilch am Ende
Mit der Schlauchmilch verschwindet die ökologisch vorteilhafteste Milchverpackung aus den Läden. Im Herbst beendet die Regio Molkerei beider Basel ihre Milchabfüllung in den Beuteln – als letzte Molkerei in der Schweiz. Durchgesetzt hat sich Tetra Pak.
«Schauen Sie mal im Baumarkt, vielleicht gibt es dort Schlauchbehälter», sagt die Verkäuferin in der Migros Sissach. Denn ein Milchbeutel braucht zwingend einen Beutelhalter und unserer hat 14 Jahre auf dem Buckel, schon lange keinen Griff mehr und nun ein Sprung in der Seite. «Keine Ahnung, wo es die gibt», lautet auch die Antwort im Coop gleichenorts. Dasselbe im viel grösseren Basel: Fehlanzeige über Fehlanzeige. Weder im Lädeli, noch im Supermarkt, noch bei Plastikharassen im Baumarkt gibt's Beutelhalter -oder zumindest eine Antwort auf die Frage nach einer Bezugsquelle. Zu guter Letzt, auf Ebay gibt es sie noch: Aus Kanada, Israel und/oder aus Altbeständen der DDR.
Was wäre die Alternative zum Milchschlauchbehälter, abgesehen von Plaste-Museumsteilen oder überseeischem Import? Den Beutel in Glaskaraffen oder alte Milchkessel umfüllen? Zur Not machbar, aber irgendwie kontraproduktiv.
Und vor allem: Wie schlecht ist es um den Beutel bestellt, wenn ihn niemand mehr stützt? «Ja, das fällt schon lange auf», antwortet eine Molkerei auf das oben beschriebene Dilemma. «Fragen Sie mal bei Coop oder Migros nach, das wäre doch eine Marktlücke.»
Noch gibt es diese schwabbeligen, mit sechs bis neun Gramm unschlagbar effizienten Schläuche aus Polyethylenfolie (PE). Schlauchmilch findet in der Nordwestschweiz noch immer ihre treuen Abnehmer*innen in den Supermärkten, manchmal gut versteckt. Beherrscht wird das Bild indes von Milchverpackungen der Verpackungsmultis Tetra Pak und SIG Combibloc sowie immer mehr Plastikflaschen. Seit Neustem gibt es sie auch (wieder) in Mehrweg-Glasflaschen. Coop testet die Wiedereinführung in der Nordwestschweiz.
Dem Milchbeutel fehlt der Halt in der Verpackungsgesellschaft
Nimmt man hingegen den fehlenden Halt der Verpackungsindustrie als Indiz, ist es um die Schlauchmilch schlechter bestellt. Auch in der Nordwestschweiz dürfte es sie nicht mehr lange geben, wie Bajour erfuhr. Die Coop-Pressestelle teilt mit: Aufgrund von notwendigen Investitionen in die Beutelmaschine des Herstellers und den eingeschränkten Möglichkeiten zur Beschaffung von Ersatzteilen sei die Verfügbarkeit zukünftig «nicht sichergestellt». Bei der Migros Basel Genossenschaft ist bereits alles klar: «Die Produktion der Milchbeutel wird per KW 36 (Kalenderwoche, d. Red.) eingestellt. Besten Dank für Ihre Kenntnisnahme.»
Das ist natürlich ein Schock. Nachfrage am Hauptsitz des Schweizer Milchriesen Emmi in Luzern, der Mehrheitsaktionärin der letzten Schlauchbeutelabfüllerin der Schweiz, der Regio Molkerei beider Basel. Antwort: «Wie Sie richtig vernommen haben, wird die Milch in Frenkendorf in naher Zukunft nicht mehr im Beutel verpackt werden.» Emmi-Pressesprecherin Simone Burgener erklärt, dass die Verantwortlichen ergebnislos nach alternativen Lösungen für die alternde Schlauchmaschine gesucht hätten. Leider stand Regio Molkerei-Leiter Martin Ineichen nicht für Auskünfte zur Verfügung.
Gebeutelte Milch
Bereits vorletztes Jahr machte die in Obergerlafingen bei Biberist ansässige Molkerei Lanz AG den gleichen Schritt. Die Gründe dürften mit jenen von Frenkendorf vergleichbar sein. Gregor Lanz sieht mehrere, teils gegenläufige Trends, welche dem Beutel zugesetzt haben: Er war bei Industrie, Handel und vielen Kund*innen weniger beliebt als die Kartonverpackung und verschwand Ende der 90er Jahre allmählich aus den Regalen. Dazu kommt, dass Frischmilch seit Jahren immer weniger verkauft wird, der Absatz der Frenkendorfer Frischmilch halbierte sich in den letzten zehn Jahren. Ersatzprodukte wie Hafermilch knabbern am Absatz.
Dass Bio-Betriebe und Kleinmolkereien in der Krise sind, zeigt die aktuelle Millionen-Pleite der Bio-Molkerei in Lyss (Bern) des Westschweizer Milchkonzerns Cremo.
Auf dem Schlauch gestanden
Auch der Verkauf ultrahocherhitzter, ungekühlter, sogenannter UHT-Milch, die zuweilen deutlich, manchmal bis zur Hälfte günstiger ist als Frischmilch, entwickelt sich zur scharfen Konkurrenz. Lanz: «Für ein paar Hundert Liter pro Tag» lohne sich die Inbetriebnahme der Abfüllanlage nicht mehr, geschweige denn die Installation einer neuen, bedauert er.
Doch bei aller Beliebtheit, sind Kartonverpackungen problematisch: Sie können nicht sinnvoll rezykliert werden, da der Karton mit verschiedenen Folien verklebt wird. Jährlich werden über 700 Millionen Kartonverpackungen, davon jede 30 bis 35 Gramm schwer, in der Schweiz verkauft (Zahl von 2019). Sie landen praktisch ausnahmslos im Müll.
Ökologisch bleibt der Milchbeutel die vorteilhafteste Wahl. Dies zeigen auch Arbeiten der Wissenschaftsgruppe für Nachhaltigkeit und Technik an der ETH Zürich, die kürzlich für die Migros-Tochter Denner durchgeführt wurden. Mehrweg- Glasflaschen sind nur dann erste Wahl, wenn sie über wenige Kilometer transportiert und mindestens 15 Mal verwendet werden. Die Nachhaltigkeitsforscherinnen der ETH Zürich würden aus ökologischen Gründen eine verbesserte, schweizweite Neuauflage des Schlauchs empfehlen. Milchabfüller in Deutschland machen es vor: In Berlin wurde Mitte Juni der «Milchbeutel 2.0» der kleinen Molkerei Hemme, bei Hannover, als Markenprodukt des Jahres ausgezeichnet. Motto: «Einzigartiger Geschmack braucht auch ein einzigartiges Design.»
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