Im Asylbereich nichts Neues
Der Freisinn will «die Schraube» bei Wirtschaftsgeflüchteten anziehen. Holt die Partei so Stimmen bei SVP-Wähler*innen oder macht sie in urbanen Zentren wie Basel die Bühne frei für die GLP?
Soll die Willkommenskultur gegenüber den Ukrainer*innen bestehen bleiben, muss die Schweiz bei anderen Asylsuchenden strenger werden. Dies fordert nicht etwa nur die SVP, sondern jetzt auch die Schweizer FDP in einem Positionspapier, über welches die Delegierten der Partei am kommenden Samstag in Andermatt abstimmen werden. FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt sagte der NZZ am Sonntag: «Wenn wir die Solidarität in der Bevölkerung nicht überstrapazieren wollen, muss die Schraube im übrigen Migrationsbereich jetzt angezogen werden.»
Konkret heisst das: Als Geflüchtete sollten nur noch jene aufgenommen werden, die spezifische Eigenschaften nach internationalem Recht erfüllten. Menschen, die vor Armut flöhen, sollten in der Schweiz hingegen keinen Schutz erhalten. Also: «Fachkräfte ja, Armutsmigranten nein.»
Zum Verständnis: Als Armutsmigrant*in bezeichnet der Zürcher Parlamentarier «eine Person, welche weder aus der EU kommt, noch einen Arbeitsvertrag hat oder einen Asylgrund geltend machen kann, also einzig aus wirtschaftlichen Gründen sein Land verlassen hat».
«Fachkräfte ja, Armutsmigranten nein.»Andri Silberschmidt, FDP-Nationalrat
Damit grenzt sich die FDP von der GLP ab und versucht, das Thema nicht alleine der SVP zu überlassen. Letztere hat das Thema Migration für den Wahlkampf bereits gesetzt, in einem Vorstoss wollen sie den Schutzstatus S, wie er für geflüchtete Ukrainer*innen angewendet wird, am liebsten ganz abschaffen.
Fragt sich: Kann eine solche Strategie in urbanen Zentren wie Basel-Stadt aufgehen? Hier hat die FDP bereits bei den letzten Wahlen Sitze auch an die GLP und die LDP verloren.
David Wüest-Rudin von der Basler GLP ist skeptisch: Bei der FDP in Basel gebe es durchaus Menschen, die mit der heutigen Migrationspolitik einverstanden seien, findet der GLP-Fraktionspräsident im Grossen Rat. Diese dürften von dem Positionspapier nicht gerade begeistert sein. Die GLP selbst sehe in der Flüchtlingspolitik derzeit keinen grossen Reformbedarf, auch angesichts des Fachkräftemangels. Gerade aus Sicht der Wirtschaft brauche es eine gewisse Zuwanderung, sagt Wüest-Rudin. Hier sei es wichtig, dass eine Offenheit für Fachkräfte beibehalten werde.
«Die Willkommenskultur darf nicht verloren gehen.»Patricia von Falkenstein, LDP-Parteipräsidentin
Die bürgerlichere LDP, die auf nationaler Ebene Vollmitglied der FDP Schweiz ist und ebenfalls Delegierte nach Andermatt schickt, zeigt hingegen eher Verständnis für die Forderungen des Positionspapiers. Parteipräsidentin Patricia von Falkenstein sagt zu Bajour: «Die Willkommenskultur darf nicht verloren gehen», weshalb man über das Thema Migration sprechen müsse, statt die Augen zu verschliessen. Es gebe durchaus eine Angst der Menschen vor Fremdem - und die SVP werde dieses Thema im Wahljahr bestimmt wieder bewirtschaften, drum: «Lieber agieren als reagieren!», so von Falkenstein.
Ob die FDP mit dem Thema Migration bei Wähler*innen punkten oder verlieren wird, möchte von Falkenstein nicht prognostizieren, hebt dafür die – aus ihrer Sicht – Vorteile der eigenen Partei hervor. Die LDP sei grundsätzlich differenzierter gegenüber Flüchtenden als die FDP, ein grosses Engagement der Mitglieder in sozialen und kirchlichen Bereichen sei vorhanden.
Basler Freisinn skeptisch
Selbst Exponent*innen der Basler FDP äussern Skepsis. FDP-Vizepräsident Elias Schäfer sagt auf Anfrage: «Man kann die Forderungen festhalten, doch die Herausforderung liegt in der Umsetzung.» Die Differenzierung zwischen sogenannten Wirtschafts- oder Armenflüchtlingen und solchen, die bedroht seien, sei komplizierter. In der Realität fielen diese Kategorien oftmals zusammen oder bedingten sich gegenseitig.
Von Wahltaktik will Schäfer nichts wissen, auch glaubt er nicht, dass sich die FDP damit ins eigene Fleisch schneide. Vielmehr sieht er das Positionspapier vor allem als Bestärkung der aktuellen Handhabe. «Ich sehe im Asylbereich nichts Neues», es handle sich um eine Bestätigung der gängigen Praxis und Bekräftigung der jetzigen Politik: «Das Migrationspapier beugt einer Verwässerung der Migrationspolitik vor.»
Tatsächlich steht im FDP-Positionspapier nichts Neues, wie das Staatssekretariat für Migration (SEM), welches die eingereichten Asylgesuche im Einzelfall auf die Erfüllung der Flüchtlingseigenschaften prüft, bestätigt.
Gemäss dem Asylgesetz tritt das SEM schon heute nicht auf Asylgesuche ein, «wenn das Asylgesuch ausschliesslich aus wirtschaftlichen oder medizinischen Gründen eingereicht wird.» In solchen Fällen prüfe das SEM allerdings, ob die Bedingungen für eine Wegweisung gegeben seien. Asylsuchende könnten dabei durchaus gut ausgebildete Fachkräfte oder hoch gebildete Akademiker*innen sein, aber das sei bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft ohne Bedeutung.
Dass die Bundesbehörde ohnehin eine eher strenge Handhabe pflegt, wenn es um Rückführungen geht, zeigt zudem ein erst kürzlich erschienener Bericht des Tages-Anzeigers mit dem Titel: Uno wirft der Schweiz vor, Flüchtlinge der Folter auszusetzen. Dabei ging es insbesondere um Eritreer*innen, die in ihr Land zurückgeschickt würden, obwohl ihnen Misshandlung drohe. Es handelt sich dabei bereits um die dritte Rüge durch das Staatengremium.
«Wir müssen Praktiken wie Pushbacks einen Riegel schieben.»Elias Schäfer, Basler FDP-Vizepräsident
Der Basler Parteivize Schäfer sieht wie die Mutterpartei allerdings ebenfalls ein Problem darin, dass sogenannte Migrationsströme in Zukunft zunehmen würden - und die geopolitische Lage werde gerade nicht stabiler. Er wählt aber einen anderen Fokus als sein Zürcher Kollege Silberschmidt: Die Zusammenarbeit mit der EU, die in Zukunft verstärkt werden solle, was durch die Fortführung der Beteiligung der Schweiz an Frontex erst recht möglich geworden sei. «Hier müssen wir nun auf eine Verbesserungen hinwirken und Praktiken wie Pushbacks einen Riegel schieben.»
Ausserdem müssten auf nationaler Ebene Voraussetzungen geschaffen werden, um Menschen möglichst rasch in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Hier zeigen auch Recherche von Bajour: Selbst Geflüchtete aus der Ukraine haben es schwer, sich im Arbeitsmarkt zu integrieren. Sie müssen sich durch den Bürokratiewirrwarr kämpfen und bis 1400 Franken zahlen, um ihre Arbeitsdiplome hierzulande anerkennen zu lassen.
Für Schäfer ist jedoch fraglich, wie viele Menschen in den Arbeitsmarkt überhaupt aufgenommen werden könnten, wenn auch der Fachkräftemangel gerade in aller Munde ist. Es gebe nicht zwingend einen Match zwischen den Menschen, die - aus welchen Gründen auch immer - in die Schweiz flüchten und offenen Arbeitsplätzen. Wichtig für die FDP ist dabei gerade in der Region Basel, dass die Modernisierung der Drittstaat-Kontingente vorankommt, um diese vor allem für Start-Ups freundlicher zu machen.
Wie die Debatte weitergeht, welche FDP-Mann Silberschmidt lanciert hat, wird sich am Samstag in Andermatt zeigen.