Extrem eingemittet
Der Blick nach Deutschland und andere Länder zeigt: Rechtsextreme scheint es nicht mehr zu geben, seit bürgerliche Parteien immer mehr ihrer Positionen – Wahlkampf sei Dank – übernehmen. Dabei ignorieren sie Linien, die demokratische Parteien nicht übertreten sollten, kommentiert Chefredaktorin Ina Bullwinkel.
Der in vielen westlichen Ländern zu beobachtende Rechtsruck zeigt deutlich, wie einfach es Rechtspopulist*innen und Rechtsextreme aktuell haben, ein Momentum und die Schwächen der demokratischen Parteien auszunutzen. Es lässt sich beobachten, wie bislang extrem rechte Positionen in die politische Mitte rücken – mit dem Ergebnis, dass es plötzlich keinen Rechtsextremismus mehr zu geben scheint. Parteien am äusseren rechten Rand werden rechtspopulistisch genannt, da sie mit ihren Positionen einen beträchtlichen Teil der Wähler*innen ansprechen. Und wer viele Menschen erreicht, kann offenbar nicht rechtsextrem sein. Rechtsextrem, das sind die anderen. Etablierte, bürgerliche Parteien sehen deshalb auch kein Problem darin, einst als rechtsextrem geltende Positionen zu übernehmen. Der Wähler*innenzuspruch gibt ihnen nur scheinbar recht und blendet aus, dass es Linien gibt, die demokratische Parteien nicht übertreten sollten.
Während sich die französische Präsidentschaftsanwärterin Marine Le Pen, die keine rechtsextreme Partei mehr anführt, sondern – seit sich rund ein Drittel der Franzosen für den Rassemblement Nationale entscheiden würden – eine populistische, von der in Teilen rechtsextremen deutschen AfD und auch von ihrer Parteipräsidentin Alice Weidel abgrenzt, sehen andere dazu keinen Anlass. Was Le Pen als zu rechtsextrem ablehnt, wird andernorts wacker eingemittet. Etwa von konservativen Parteien.
Wer viele Menschen erreicht, kann offenbar nicht rechtsextrem sein. Rechtsextrem, das sind die anderen.
Das ist besonders akut im deutschen Wahlkampf zu beobachten, in dem die bürgerliche CDU angesichts steigender Umfragewerte und in völliger Hilflosigkeit eine ausländer*innenfeindliche AfD-Position nach der anderen 1:1 übernimmt. Die Ausländer*innen sind an allem schuld und müssen weg. Das Asylrecht wird zur Fussnote, Menschenrechte zweitrangig und Migrationspolitik wird mit Behördenversagen verwechselt.
Die CDU, in Person von Kanzlerkandidat Friedrich Merz, hat sich dieser Agenda zur anstehenden Wahl komplett unterworfen, und in dem Versuch, der AfD das Thema Migration sowie Wähler*innenstimmen abzujagen, mit dieser bei einer Abstimmung im Bundestag gemeinsame Sache gemacht und damit ein als «Brandmauer» tituliertes Tabu gebrochen.
Die AfD wurde demokratisch in den Bundestag gewählt, warum ist es ein Problem, wenn andere Parteien mit ihr zusammen abstimmen? Die AfD ist keine bürgerliche Partei. Sie wird als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft, die Landesverbände in drei Bundesländern gelten zudem als «gesichert rechtsextrem», eine Handvoll weitere werden vom jeweiligen Landesverfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet. So etwas passiert nicht, weil jemand strengere Regeln bei der Einwanderung fordert. Hier geht es z. B. um völkische oder antisemitische Parolen, die die Menschenwürde antasten oder auch um geschichtsrevisionistische Positionen. Die mörderische nationalsozialistische Geschichte Deutschlands (und der gesunde Menschenverstand) verbieten solche Neigungen.
Während sich die Neo-Faschistin Giorgia Meloni von Weidel und Co. abgrenzt, schickt ihr der Schweizer SVP-Alt-Bundesrat Maurer per Livestream Zuspruch im Wahlkampf und beste Grüsse.
Die Normalisierung der AfD ist durch Merz’ geschleifte Brandmauer in vollem Gang. Diese Normalisierung der extremen Rechten hat auch viel mit der Schweiz zu tun. Während sich selbst die italienische Neo-Faschistin Giorgia Meloni von Weidel und Co. abgrenzt, schickt ihr der Schweizer SVP-Alt-Bundesrat Ueli Maurer per Livestream Zuspruch im Wahlkampf und beste Grüsse. Und drückt sein Bedauern aus, dass seine «lieben Freunde» bei der AfD extrem genannt würden.
Der Steigbügel haltende Schweizer Alt-Bundesrat nimmt damit eine weit extremere Position ein als Meloni und Le Pen und befindet sich mit seinem Auftritt in bester Gesellschaft mit dem US-Tech-Milliardär Elon Musk, der aktuell in den USA versucht, die in der US-Verfassung verankerte Gewaltenteilung und damit die Demokratie zu überwinden. Musk klinkte sich per Video in eine AfD-Veranstaltung ein und sagte, Deutschland müsse seine vergangene Schuld hinter sich lassen und wieder stolz auf sich sein. Das ist eine Verharmlosung des Holocaust und der Nazi-Diktatur. Wer das beklatscht, hat nichts aus der Geschichte gelernt oder kann gleich behaupten, wie Alice Weidel, die Nazis und Hitler seien ja eh alles Kommunist*innen gewesen.
In einer demokratischen Gesellschaft können nur Demokrat*innen miteinander politisch zusammenarbeiten.
Was sich vor unser aller Augen in Europa und den USA abspielt und was der SVP-Doyen Christoph Blocher verheissungsvoll als «konservative Revolution» bezeichnet, ist nichts anderes als der Rückfall in undemokratische Zeiten, in der sich das Recht der Stärkeren oder das Recht von ein paar Superreichen durchsetzen wird. Das ist keine konservative Revolution, sondern Willkür und Absolutismus.
Wir sehen in den USA aktuell, wie sich Trump als Sonnenkönig inszeniert und mit Zöllen die Wirtschaft insgesamt schwächt und vor allem seine eigenen Interessen befriedigt. Bürgerliche müssen sich entscheiden, ob sie den Verlust der Demokratie in Kauf nehmen, um die verlockende Möglichkeit, ihre ewigen Kernanliegen, wie etwa weniger Staat oder die Steuersenkungen für Superreiche, endlich durchsetzen zu können. In einer demokratischen Gesellschaft können nur Demokrat*innen miteinander politisch zusammenarbeiten. Wer diesen Grundsatz verletzt, pfeift letztlich auf die Demokratie. Darum geht es in diesen Diskussionen um die Brandmauer und um die Grüsse an die «lieben Freunde in der AfD». Um nicht mehr und nicht weniger.