Am geilsten klingen ihre Beats in einem Saab

Die Basler Mundart-Rapper Sherry-ou und Morow finden die Protzerei in der Szene albern. Sie wollen mit ganz anderen Qualitäten bestechen.

Basler Rap-Duo
Die Basler Rapmusiker Morow (links) und Sherry-ou. (Bild: Dritte Stock Records)

Anfang Mai in einem Studio hinter dem Bahnhof SBB. Die Basler Rapper Sherry-ou und Morow haben geladen, sie präsentieren exklusiv und zum ersten Mal ihr neues gemeinsames Album «Blessed». 

Wir, die Gäste, sind auf roten Samtcouches platziert und die Beats dröhnen aus den metergrossen Boxen. Die fünfzehn Leute hier sind bis auf eine Ausnahme allesamt Männer, das Testosteron-Level wäre also theoretisch hoch. Und das hier könnte nun eine klischeehafte Abhandlung über Karren-Koks-Bitches-Rap werden – doch das würde nicht mal ansatzweise stimmen. 

Denn, um das gleich klarzustellen: Sherry-ou und Morow sind in ihrer Musik überraschend persönlich. So persönlich sogar, dass die Nähe fast unangenehm wird. 

Sherry-ou, bürgerlich Jeremias Ganzoni, ist im Schweizrap schon seit 2016 ein Name. Mit dem Song «Digge wow» etablierte er in der Schweiz die Stilrichtung des Traps.

Trap ist eine Spielart in der Hip-Hop-Musik, ähnlich wie Rap, aber: Während Rap primär den Akt des Sprechgesangs beschreibt, hat Trap nicht nur eine andere Entstehungsgeschichte (nämlich erst in den späten 1990er-Jahren im Süden der USA), sondern bezeichnet heute vor allem die Nutzung von vielen und schnellen Hi-Hats, lauten und kräftigen Bässen und gerne auch den Einsatz der stimmkorrigierenden Software Autotune. 

Beispielhaft für Trap steht der 2020-Hit «The Box» des kalifornischen Rappers Roddy Rich.

Morow, der im echten Leben Mischa Uebersax heisst, debütierte 2019 mit seinem Album «Dreamflow» und brachte letzten Dezember sein zweites Album «Gfange in Gedanke» raus. Beide Rapper sind Teil des Labels Dritte Stock Records (wir berichteten
), welches sich dem Ziel verschrieben hat, Basel als Hauptstadt des Schweizraps zu etablieren und über Sprachgrenzen hinweg mit ihrer Musik Erfolg zu haben. 

Abheben im Saab

Und jetzt veröffentlichen sie also zusammen «Blessed», zu deutsch «gesegnet». Auf dem Album geht es um viele Themen: das Streben nach oben, (Selbst-)Zweifel, Liebeskummer und der Lifestyle, im Saab durch die Stadt zu cruisen.

Sowieso, der Saab: Kein Lamborghini ist der fahrende Untersatz der Crew, sondern dieses schwedische Kult-Auto, dessen Marke 2012 bankrott gegangen ist. Da drin werde schon einmal so laut Musik gehört, dass das Blech vibriere, sagt Sherry-ou. 

Das ist auch etwas, was schnell klar wird, wenn man mit den Beiden spricht: Grundlos zu protzen mögen sie nicht. «Wenn jemand in der Rapszene hier mit einem Lamborghini flext, dann weiss ich eben schon über fünf Ecken, dass der nur geleast ist», erklärt Morow. «Und sowas find ich albern.»

Deshalb ist es in ihrem Video zum Song «Checksch jetzt?» eben kein italienischer Sportwagen, sondern ein Saab, der abhebt: 

Ausschliesslich von der Musik leben beide nicht. Morow ist Videoproduzent für andere Künstler*innen und Sherry-ou gibt Musikworkshops an Schulen. Alles zusammen würde es also reichen, meint Morow. Aufwendige Produktionen, wie die Videos, finanzieren sie ausserdem über Fördergelder.

Das sei zwar viel Arbeit, vor allem anfangs, jedoch empfehlen beide, es zu versuchen. «Es gibt viele Wege, an Geld zu kommen für die eigene Kunst», sagt Sherry-ou. «Man darf sich einfach nicht zu schade sein, auch mal Konzepte zu entwickeln und Anträge zu schreiben.»

Wie bereits angesprochen, berührt vor allem die Nähe von Morow und Sherry-ou. Sie schaffen es aber, gleichzeitig unkonkret genug zu bleiben, sodass sich man sich schnell in den Texten wiederfinden kann, während sie vor allem im melancholischen Mittelteil des Albums beinahe verletzlich wirken. 

«Wenn jemand in der Rapszene hier mit einem Lamborghini flext, dann weiss ich eben schon über fünf Ecken, dass der nur geleast ist»
Morow, Basler Rapmusiker

Es komme sogar vor, dass sich die Leute mit ihren Geschichten melden würden, vor allem bei Morow, der in seiner Musik immer schon seine eigenen Depressionen thematisiert hat, wie der Titel seines zweiten Albums «Gfange in Gedanke» schon vermuten lässt.

«Es ist natürlich schön, wenn sich jemand so berührt fühlt, dass er sich öffnen will. Gleichzeitig ist das auch komisch, denn ich bin kein Therapeut», sagt er. «Und ausserdem ist vieles für mich Vergangenheit, ich konnte meine Depressionen zum Glück hinter mir lassen.»

Diese zugelassene Nähe macht nicht nur ihre Musik und ihre Persönlichkeiten aus, sondern auch ihr Umfeld im Label Dritte Stock Records: Keine Spur von Oberflächlichkeit oder Neid. Es sei dort wie in einer grossen Familie, sagt Morow.

Bestechende Videos

In der Promo-Phase, also dem Zeitraum zwischen Ankündigung und Release des Albums, veröffentlichten Sherry-ou und Morow mehrere bestechende Videos. Allesamt sind unglaublich aufwendig produziert und visuell beeindruckend. In jenem zu «Mini Cloud» hat der Videoproduzent SDH eine ganze computeranimierte Welt gebaut: 

Die Musik der beiden ist vielseitig und so unterschiedlich, dass sie sich gar nicht einem Genre zuordnen lässt. Neben den bereits erwähnten energiegeladenen harten Trap-Tracks sind einige Songs hitlisten-verdächtig autotune-poppig und wiederum andere erinnern an emotionale Elektronik-Balladen.

Das alles, die fast unangenehme Nähe, der beeindruckende visuelle Auftritt und die musikalische Abwechslung und Brillanz ihres Produzententeams macht Sherry-ou und Morow zu den wohl besten ihres Fachs in der Schweiz.

Und trotzdem: Der grosse Hype bleibt bisher aus. Die offensichtliche Erklärung, die Sprachbarriere – denn Sherry-ou und Morow rappen auf Mundart – greift zu kurz. Denn es gibt einige wenige Schweizer Rapper, die es auf den grossen Markt geschafft haben, wie beispielsweise der Zürcher Pronto. Gut möglich, dass die beiden die nächsten sind.

Das Feuer weitergeben

Aber wollen sie das überhaupt? «Es geht nicht um Klickzahlen», sagt Sherry-ou. «Wir liefern einfach das Beste ab, was wir machen können und haben übelst Bock da drauf.»

Und das kommt ganz offensichtlich an. «Ich krieg Videos zugeschickt von Leuten, die auf dem Bruderholz Joints rauchen und dabei unsere Musik hören – so wie ich vor ein paar Jahren dort Musik von anderen gehört hab», sagt Morow. «Wenn ich diesen Vibe bei anderen verbreiten kann, hab ich mein Ziel erreicht.»

Das ist es vielleicht, was Sherry-ou und Morow auch ausmacht: Das Weitergeben des Feuers an andere, die ansteckende Motivation, aus sich selbst das Beste herauszuholen. Also im Grunde die Message, die Hip-Hop schon immer verbreitet: Mach was aus dir, ganz egal wie schlecht deine Herkunft sein mag!

Hier spielt die Musik.

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