«Wenn du unten stehst, lernst du die Menschen kennen»
Khalil Majidi hat einen langen und harten Weg hinter sich. Doch heute hat er einen Platz gefunden, wo er sich wohlfühlt.
Khalil kam im Jahr 2015 mit seinem jüngeren Bruder aus Afghanistan in die Schweiz. Damals war er 15 Jahre alt, sein Bruder 12. «Es war wirklich, wie in eine andere Welt zu kommen», sagt er auf Hochdeutsch mit einem leichten Akzent. «Alles war neu: das Land, die Sprache, die Menschen.»
Es war schwer, eine Lehrstelle zu finden, erinnert er sich. Er schnupperte in verschiedenen Betrieben – als Gartenbauer, Metzger, Logistiker, Heizungsmonteur –, aber es habe zwischenmenschlich nicht funktioniert, sagt er. «Früher war ich naiv. Ich dachte, die Menschen sind nett und hilfsbereit. Doch die meisten sind das nicht. Wenn du unten stehst, lernst du die Menschen kennen», sagt er.
Bürokratische und zwischenmenschliche Hürden
Von 2010 bis 2020 lebten im Kanton Basel-Stadt insgesamt 964 Minderjährige mit einem N-Status und 126 Minderjährige mit einem F-Status. Viele dieser Minderjährigen stehen oder standen vor den gleichen Problemen wie Khalil: Sie suchen Ausbildungsplätze, Schulen oder Jobs. Und einfach ist das nicht in einem neuen Land mit einer fremden Sprache und ohne ein Netzwerk aus Familie und Bekannten.
Für die Schweiz ist das eine Chance. Hier herrscht Fachkräftemangel – gerade auch in den Lehrberufen. Und doch müssen Menschen wie Khalil grosse Hürden überwinden.
Aber es ist schwierig. Einerseits wegen der Bürokratie, andererseits wegen des Zwischenmenschlichen. Khalil hatte zwar damals den Status F - das bedeutet vorläufig aufgenommen. Damit darf man arbeiten, doch viele Arbeitgeber*innen trauen sich nicht, jemanden mit Status F einzustellen. Sie fürchten, ihr*e neue*r Arbeitnehmer*in müsse wieder ausreisen und sie würden vergeblich Zeit investieren.
«Wir verstehen nicht, dass diese Leute uns auch etwas bringen können.»Marianne Dubach, Leiterin impiega
Davon kann Marianne Dubach ein Lied singen. Sie arbeitet als Leiterin der Arbeitsvermittlung impiega häufig mit Geflüchteten. Der Umgang mit diesen Menschen hierzulande zeugt für sie oft von Geringschätzung. «Wir verstehen nicht, dass diese Leute uns auch etwas bringen können.»
Beispielsweise werde selten gefragt: «Was brauchst du, um hier gut Fuss fassen zu können?» Stattdessen seien die Geflüchteten eher in der Holschuld. Es werde vorausgesetzt, dass sie alles wüssten und verstünden.
Khalil hat es geschafft: Er ist heute im dritten Lehrjahr der Coiffeur-Ausbildung. Den Inhaber der Onyx Coiffeteria kennt er durch seine Pflegemutter, die sich dort frisieren liess. Sein zukünftiger Lehrmeister schnitt bei dieser Gelegenheit auch seinem Bruder und ihm die Haare – gratis.
«In der Schweiz gibt es eine Regel: Nie Pause machen.»Khalil Majidi
«Hier habe ich mich als Mensch gesehen gefühlt und nicht als Ausländer», sagt Khalil. Die Stelle bei Onyx habe er dank den Pflegeeltern bekommen. «Sie haben so viel für uns getan. Sie haben ihre Hände für uns ins Feuer gelegt, dass wir nichts Böses machen.»
Personen, die wie er mit einem F-Status auf Arbeitssuche sind, rät er: «Immer dran bleiben. In der Schweiz gibt es eine Regel: Nie Pause machen.»
Heute hat Khalil den B-Status, er gilt als anerkannter Geflüchteter, könnte theoretisch ins Ausland reisen …. Doch praktisch bringt ihm das wenig, da er wegen des Taliban-Regimes in seinem Herkunftsland keinen Pass beantragen kann. Diesen bräuchte er, um die Landesgrenze zu passieren.
Wohnheime für vulnerable Personen
Dieses Schicksal teilt Khalil mit anderen Geflüchteten. Für diese ist das Beschaffen von Dokumenten häufig eine grosse Herausforderung, sagt Marianne Dubach. «Sie können je nach politischer Situation des Herkunftslandes nicht einfach ein Konsulat aufsuchen und ihre Identitätsdokumente beantragen. Das ist etwas, das wir Schweizer*innen uns gar nicht vorstellen können.»
Khalil hatte Glück, so Dubach, dass er zu einer engagierten Pflegefamilie gekommen sei. «Viele junge Afghan*innen werden in Wohnheimen untergebracht, welche die Sozialhilfe für speziell vulnerable Personengruppen wie Minderjährige betreibt.»
Aufwändige Anerkennungsverfahren
Dubach wünscht sich mehr psychologische Betreuung Geflüchteter. Viele müssten erst einmal ihre Traumata bewältigen, bevor sie überhaupt arbeitsfähig seien. «Sie haben hier kaum Ansprechpartner*innen in ihrer Muttersprache und mit den nötigen Kulturkenntnissen.» Das wäre laut Dubach aber essenziell, um das nötige Vertrauen aufzubauen.
Aber auch hier gibt es eine Barriere: Die Diplome ausgebildeter Psycholog*innen und Ärzt*innen aus dem Ausland, die Menschen in seelischer Not helfen könnten, würden hier oft nicht anerkannt. «Gleichwertigkeits- und Anerkennungsverfahren sind aufwändig, dauern lang und setzen – je nach Herkunftsland – ein vorhandenes Abkommen mit der Schweiz voraus.» Und die jungen Geflüchteten machten selten einen Schweizer Abschluss in Psychologie oder Medizin, weil sie einfach unterprivilegiert seien.
Die Geschichte von Khalil zeigt: Neben bürokratischen Hürden sollten dringend auch Vorurteile abgebaut werden. Khalil hat mit der Hilfe seiner Pflegefamilie eine Lehrstelle gefunden. Doch was geschieht mit Menschen, die diese Unterstützung nicht haben?
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