«Ich verbinde mit dem Soca einen wichtigen Teil meiner Jugend»
Das legendäre Sommercasino im Gellert soll Ende September geschlossen werden. Sollte nun der Kanton einspringen und das Jugendkulturzentrum retten? Unsere Leser*innen finden: Ja. Und schwelgen in Erinnerungen.
Es ist für viele ein Schock: Die Nachricht, dass das Sommercasino (Soca) seine Tore schliessen soll, macht viele betroffen. Nicht nur der Jugend, die direkt betroffen ist, auch älteren Bajour-Leser*innen blutet das Herz, wenn sie an vergangene Erlebnisse im Soca denken, an Konzerte oder Tanzabende.
Grund für die Schliessung ist vor allem die finanzielle Situation des Soca auch in Folge der Corona-Pandemie. Ein strukturelles Defizit habe allerdings «von Beginn weg» bestanden. Der JKB ist seit 2016 Trägerverein des Socas, finanziert wird es massgeblich durch den Kanton. Dieser plant als Eigentümer des Gebäudes nun eine Gesamtsanierung – alles Gründe dafür, sich von dem traditionellen und beliebten Standort für Jugendkultur zu verabschieden. Aktuell klärt der Verein mit dem Erziehungsdepartement «das konkrete Ausstiegsszenario und den Zeitplan für die Schliessung». Den betroffenen Mitarbeiter*innen sei bereits ordentlich gekündigt worden.
Wie funktioniert eine Jugendkulturförderung ohne Sommercasino in Basel? Was für viele schwer vorstellbar ist, hat sich der Verein Junge Kultur Basel (JKB) nun zur Aufgabe gemacht. Wie der Verein mitteilt, wird er nun zusammen mit «interessierten Kreisen» prüfen, wo und in welcher Form Jugendkultur aktuell und bedarfsgerecht gefördert werden kann. Auch Jugendliche, junge Erwachsene und Personen, die an einer lebendigen Jugendkultur in Basel interessiert sind, sollen mit ins Boot geholt werden.
Grossrätin Jo Vergeat, Grün-alternatives Bündnis,und Vorstandsmitglied des JKB schreibt auf Instagram: «Das macht traurig und ist doch der richtige Schritt. Wir müssen als Stadt und mit der Jugend darüber diskutieren, was ein Jugendkulturhaus heute sein soll und vor allem, ob wir uns das leisten wollen. Ich bin mir sicher: Jugendkultur muss sich nicht rentieren.»
Es stirbt auch ein Begegnungsort
Wie denken die Menschen, die sich im Soca zu Hause fühlen oder fühlten? In unserer Frage des Tages von Mittwoch wollten wir von unseren Leser*innen wissen, ob der Kanton das Sommercasino retten soll. Wir haben sie auch nach Erinnerungen oder Geschichten aus dem Soca gefragt. Leser Peter erinnert sich an seine Jugend zurück, er schreibt: «Ich habe vor 60 Jahren mit der Volkstanzgruppe dort die damals alten Tänze gelernt. Es wird immer eine Jugend geben, die etwas gemeinschaftliches unternehmen will, auch in unserer modernen Welt.» Und SP-Grossrätin Melanie Nussbaumer bedauert: «Der einzige lebendige Ort im Gellert (neben den Spielplätzen) stirbt jetzt auch noch. Insbesondere die Buvette vor dem Soca ist fürs Quartier im Sommer sehr wichtig geworden. Es stirbt also nicht nur ein Jugendzentrum und ein Konzertort, sondern auch ein Begegnungsort für die Bevölkerung im Quartier.» BastA-Grossrätin Heidi Mück schreibt emotional, sie müsse gerade ein wenig Trauerarbeit leisten.
Erinnerungen bleiben, das Sommercasino geht
Auch Patrick Künzle, Leiter der SRF-Regionalredaktion Basel, schreibt: «Schade, geht das Sommercasino zu. Ich verbinde mit ihm einen wichtigen Teil meiner Jugend. Hier habe ich mein erstes Rockkonzert besucht: 1991, Polo Hofer, ein vierstündiger Gig.» Er habe auch im Keller des im Soca getanzt und er erinnert sich an die Details: «Dort stand die Führerkabine eines Trams, sie diente als DJ-Pult. Die wöchentliche Disco dort hiess darum Trämli. Gespielt wurde alles, was schräger klang als das Hitparadenzeugs. New Wave, Punk, Grunge. Hier tanzte ich erstmals Pogo und sah fasziniert den Grufties zu, die die Säule in der Mitte des Raums antanzten.»
Die Situation vor Ort kennt Amadis Brugnoni, der seit neun Jahren freier Mitarbeiter im Technik-Team des Soca arbeitet. Er schreibt, die neueste Entwicklung stimme ihn «sehr traurig». Er gibt aber zu bedenken: «Es ist aber irgendwie wie immer: Alle sind traurig, dass es zu Ende geht, jedoch geht kaum jemand hin. Die Besucherzahlen sind in den letzten Jahren stetig zurückgegangen, und da stellt sich die Frage, ob das Format ‹Sommercasino› noch eine zeitgemässe Plattform für aktuelle Jugendkultur ist. Macht es Sinn, dass eine solche Institution dem ED angegliedert ist?» Brugnoni stellt grundsätzlich infrage, ob die Verwaltung eines solchen Gefässes so aufwendig sein müsse: «Macht eine Top-Down-Hierarchie in der Jugendkultur Sinn?»
«Wir erfanden die Welt neu»
Bajour-Leser Mathis Reichel denkt an das Ende der 60er-Jahre, als er auf seinem Schulweg durch den Park am Sommercasino entlang ging. «Es war lauschig, verträumt, verlassen, Zeuge einer längst vergangenen Zeit. Dann wurde es belebt mit Elementen, die mit obigen Attributen nichts gemeinsam hatten: laut, jung, chaotisch, versprayt, anti-Establishment, meine Generation.» Für ihn war das Soca prägend, er beschreibt: «Ich besuchte Konzerte, kiffte, wir erfanden die Welt neu.» Für Reichel stellt der Ort ein «Stück Geschichte» dar, und auch er fragt: «Doch wie weiter?»
Nicht nur für Jugendliche ist das Sommercasino ein besonderer Ort. Bajour-Leser Roberto Barbotti findet: «Es ist ein Ort, an dem die Vielfalt in der Musikszene sichtbar wird. Ein Ort, welcher Kultur – insbesondere für junge Menschen – niederschwellig, möglichst zugänglich und verhältnismässig günstig anbietet. Es ist ein Ort, an dem Kulturschaffen durch günstige Atelierräume ermöglicht wird.» Er ist der Ansicht, unsere Kulturstadt brauche mehr davon: «Deshalb ist es unabdingbar, dass der Kanton – welcher jährlich hohe Überschüsse schreibt und somit auch genug Geld für die Rettung des «SoCa» hätte – mit allen Beteiligten und Interessierten partizipativ eine Lösung für die Weiterführung dieses Angebots findet.» Mit dieser Meinung steht Barbotti nicht alleine da: Fast 90 Prozent von rund 1200 Bajour-Leser*innen sprechen sich dafür aus, dass der Kanton das Sommercasino retten solle.
Wir wollten in unserer Frage des Tages vom Mittwoch wissen, ob der Kanton das Sommercasino retten soll. Fast 90 Prozent der knapp 2000 Bajour-Leser*innen stimmten klar mit Ja. Wie ist deine Meinung?
Es sei «ein Wunder und nur aufgrund aufopfernder Vorstandsmitglieder und Mitarbeitenden möglich gewesen, dass dieses Haus bis heute betrieben wurde», schreibt Sebastian Schlegel, Geschäftsführer von «Kulturstadt Jetzt», und verweist damit ebenfalls auf die Verantwortung des Kantons. Denn das Budget des Erziehungsdepartements, welches es dem Betreiberverein zugestanden hatte, sei «Zum Sterben zuviel, zum Leben zu wenig». Schlegel schreibt: «Die Politik muss jetzt Verantwortung übernehmen und der Jugendkultur eine nachhaltige Zukunft bieten. Und nicht wie bisher, stiefmütterlich behandelt, sondern mit einem öffentlichen Bekenntnis zur Jugendkultur und angemessenem Budget. Ob im SoCa oder woanders, das sollen die jungen Menschen der Stadt entscheiden dürfen.»