Strassenfussballer Michael Hofer: «Kein Fussball und keine Arbeit – das trifft mich hart»
Heute öffnet der Bolzplatz seine Tribüne für einen Blick auf andere Schweizer Plätze – und einen Dribbelkünstler: Michael Hofer ist Strassenfussballer und «Surprise»-Strassenmagazin-Verkäufer in Zürich-Oerlikon und in Luzern. Didi-Kolumnist Nils Widmer hat mit ihm über das Kicken gesprochen – und darüber, was jetzt besonders fehlt.
Eigentlich ist der Samstag Michael Hofers wichtigster Arbeitstag, dann verkauft der 40-jährige Winterthurer jeweils die meisten seiner «Surprise»-Hefte. «An einem anderen Tag mache ich eher mal blau», witzelt er.
- Michael Hofer und seine Kolleg*innen brauchen Hilfe. Wo und wie, steht am Schluss dieses Artikels.
Am 28. März hätte Hofer sogar an einem Samstag blau gemacht. Wobei «blau machen» für das, was Hofer vorgehabt hätte, ein unangebrachter Begriff ist: Der «Surprise»-Verkäufer hätte für einmal Fussball gespielt, statt Hefte zu verkaufen. Denn Hofer ist passionierter Strassenfussballer und spielt in der Schweizer Strassenfussball-Liga – organisiert vom Verein «Surprise», der das gleichnamige Magazin herausgibt und daneben diverse Projekte unterhält, die armutsbetroffene Menschen aus dem Abseits holen sollen.
Am 28. März sollte in Pratteln das erste Turnier der diesjährigen Strassenfussball-Saison stattfinden.
Doch es kam anders. Die Corona-Epidemie machte auch den Strassenfussballer*innen einen Strich durch die Rechnung. Den Turnierausfall könne er noch verkraften, aber er könne nicht ins Fitnesscenter, nicht ins Training, nicht ins Restaurant und sei alleine: «Es ist brutal. Es macht mich fertig. Psychisch, aber auch finanziell», sagt der Winterthurer gefasst, aber mit leiser Stimme.
Anfang letzter Woche habe er in der «Tagesschau» gesehen, dass der Bundesrat drastische Massnahmen beschlossen habe. «Ich habe dann noch beim Vertriebsleiter nachgefragt, aber eigentlich war mir klar: Ich kann keine Hefte mehr auf der Strasse verkaufen.»
«Es ist brutal. Es macht mich fertig. Psychisch, aber auch finanziell.»Michael Hofer
Für Michael Hofer und die anderen 450 «Surprise»-Verkäufer*innen ein harter Schlag. «Ich bin auf das Geld angewiesen. Ich weiss wirklich nicht, was ich jetzt genau machen soll», sagt er.
Der 40-Jährige finanziert seinen Lebensunterhalt mit einer IV-Rente und dem Verkauf des Strassenmagazins. Angefangen hat er 1999. Nach einer Lehre als Gärtner und einigen Gelegenheitsjobs stand der damals 19-Jährige ohne Arbeit da: «Ich musste irgendetwas machen. Ich hatte wirklich Angst, obdachlos zu werden.» Seither verkauft er das Strassenmagazin – an seine treue Stammkundschaft, aber auch immer wieder an fremde Leute: «Ich spreche gerne mit neuen Menschen».
Training auf der Wiese: Hauptsache ein Spielfeld und zwei Tore
Zum Strassenfussball kam der Winterthurer erst ein paar Jahre später. Als 2006 die Schweiz wegen der Weltmeisterschaft in Deutschland im Fussballfieber war, hat es auch Michael Hofer gepackt. Seither spielt und trainiert er beim «FC Surprise Zürich». Ihm gefalle das «Tschuute», aber auch der Kontakt mit seinen Mitspieler*innen. Unter normalen Umständen trainieren sie einmal pro Woche auf einer Wiese in der Nähe des Zürcher «Surprise»-Büros. Es sei nicht gerade der «Letzigrund», aber es habe ein Spielfeld und zwei Tore: «Das reicht.»
Im «Letzigrund» spielen Michael Hofers Vorbilder. Er ist FCZ-Fan und besucht auch ab und an die Spiele des Stadtzürcher Klubs. Manchmal geht er sogar an Auswärtsspiele. «Aber nur nach Sankt Gallen, das ist nicht mehr weit von Winterthur», sagt er.
Für Michael Hofer ist klar, dass er im Moment zu Hause bleibt. Dennoch hofft er, dass sich das gesellschaftliche Leben – lieber früher als später – normalisiert.
Für die Spiele mit seinem Team reist Michael Hofer nicht nur nach Zürich oder St. Gallen, sondern durch die ganze Schweiz. Einmal ging es für den Strassenfussballer sogar bis nach Norwegen. In Oslo fand 2017 der «Homeless World Cup» statt. «Das ist die Weltmeisterschaft der Strassenfussballer», sagt Michael Hofer stolz.
Auch die Schweiz stellt dort jedes Jahr ein Team. Die «Nationalmannschaft» wird von «Surprise»-Mitarbeiter*innen betreut und für jedes Turnier völlig neu zusammengestellt. «Jede*r darf nur einmal im Leben gehen, eine wirklich einmalige Sache», erzählt Michael Hofer. Für den Weltmeistertitel hat es ihm und dem Team nicht gereicht, aber er schwärmt von der Zeit. Er erzählt von schlaflosen Nächten im Car, dem Kontakt mit anderen Nationalteams im Hotel, ihm als Schweizer Fahnenträger bei der Eröffnungszeremonie und einem Zwischenstopp in Hamburg inklusive des Besuches eines Sankt-Pauli-Spiels.
2020 wird kein*e Strassenfussballer*in solche Erinnerungen mit nach Hause nehmen, die diesjährige Weltmeisterschaft in Tampere in Finnland ist ebenfalls abgesagt worden. Die Pandemie erreicht alle Teile unserer Gesellschaft und sie schränkt ein. Michael Hofer drückt es so aus: «Das mit dem Coronavirus ist verrückt.»
Für ihn ist klar, dass er im Moment zu Hause bleibt. Dennoch hofft er, dass sich das gesellschaftliche Leben – lieber früher als später – normalisiert. «Dann gehe ich wieder raus, kann trainieren und meine Hefte verkaufen.» Es ist ihm zu wünschen.
__________
Um Leuten wie Michael Hofer in dieser aussergewöhnlichen Situation zu helfen, hat der Verein «Surprise» einen Spendenaufruf lanciert. Mit den Spenden wolle man den Verkäufer*innen und den Stadtführer*innen der sozialen Stadtrundgänge unter die Arme greifen. Gleichzeitig sollen die soziale Beratung und Begleitung in den Büros in Basel, Bern und Zürich weiter angeboten werden – vor allem über Videochat oder Telefon. Es sei ganz wichtig, in der aktuellen Situation den Leuten nicht nur finanzielle, sondern auch soziale Unterstützung zu bieten, sagt Andreas Jahn vom Verein «Surprise».
---> Hier gehts zum Spendenaufruf von «Surprise» und hier kannst du direkt spenden.
Du willst mehr Bolzplatz-Texte, jeden Freitag, frisch gezapft aus dem Didi-Offensiv, der beliebtesten Fussballkneipe Basels? Mit unserem BaselBriefing verpasst du keine Folge – und auch sonst nichts davon, was in Basel gerade läuft.
Und last but not least: Bajour ist noch ein kleiner Verein. Wenn wir aufsteigen wollen, brauchen wir dich. Für 40 Franken im Jahr bist du dabei. Willkommen!