Tatort Tesla

Es sind Schilderungen brachialer Gewalt: In Basel berichten mehrere migrantische Menschen, wie sie jüngst von Polizisten malträtiert worden sind. Die Übergriffe sind Teil eines grösseren Problems. Eine Recherche der WOZ.

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Unterwegs für Recht und Ordnung, löst die Basler Polizei bei manchen Stadtbewohner:innen ein Gefühl der Unsicherheit aus. (Bild: Stefan Bohrer, Keystone)
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Dieser Artikel ist zuerst bei Die Wochenzeitung erschienen. Die WOZ gehört wie Bajour zu den verlagsunabhängigen Medien der Schweiz.

«Der Polizist hat mich gewürgt, bis ich fast ohnmächtig war», sagt Aymen Amin. «Ich kämpfte gegen die Ohnmacht an, weil ich mitbekommen wollte, was mit mir geschieht.» Bis heute verfolgen den Mann Anfang zwanzig, der eigentlich anders heisst, die Erinnerungen an jenen Nachmittag im Februar, als ihn ein Polizist bei einer Kontrolle in einem Kleinbasler Park derart misshandelte, dass er sich anschliessend im Spital untersuchen lassen musste. «Nach dem Würgen begann er, mir gegen den Kopf und in die Rippen zu schlagen.» Er habe sich zusammengekrümmt, um seinen Bauch zu schützen. «Meinen Kopf konnte ich aber nicht abschirmen, da meine Hände hinter dem Rücken gefesselt waren.»

In Basel häufen sich jüngst Berichte von gewalttätigen polizeilichen Übergriffen gegen Migrant:innen, wie Recherchen der WOZ zeigen. In mindestens vier Fällen soll dabei laut dem antirassistischen Komitee «No More» ein und derselbe Polizist direkt involviert sein – drei dieser Übergriffe ereigneten sich zudem in den letzten vier Monaten.

Die Basler Polizei steht seit längerem wegen ihres repressiven Vorgehens in der Kritik. Bisher vor allem wegen Einsätzen gegen Protestkundgebungen (vgl. «Richter:innen geraten in Bedrängnis»). Zuletzt liessen Polizeivorsteherin Stephanie Eymann (LDP) und Polizeichef Martin Roth etwa die bewilligte 1.-Mai-Demonstration gewaltsam stoppen.

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Auch Berichte von Gewalt gegen migrantische Menschen sind in Basel nicht neu: Im Mai 2020 hatte die WOZ zusammen mit der SRF-«Rundschau» das Ausmass der Gewalt im Bundesasylzentrum Bässlergut publik gemacht, wo Asylsuchende immer wieder von Schlägen von Securitas-Mitarbeiter:innen berichtet hatten.

Nach dem Vorfall im Park im Februar kontaktierte Amin den Anwalt Nicolas Roulet. Beim bekannten Basler Strafrechtler hatte sich zuvor schon eine migrantische Person gemeldet, die ebenfalls Gewalt durch einen Polizisten erlebt hatte. Ihm sei klar geworden, dass die beiden Opfer offenbar vom selben Polizisten misshandelt worden seien, so Roulet. Der Anwalt vertritt nun zwei der vier dokumentierten Opfer. Am 10. Mai reichte er bei der Basler Staatsanwaltschaft Anzeige gegen den Polizisten X ein. Das Dokument liegt der WOZ vor, der Name des Polizisten ist der Redaktion bekannt. Roulet wirft ihm in zwei Fällen Amtsmissbrauch, ein Offizialdelikt, und einfache Körperverletzung vor. Zudem verlangt er von der Kantonspolizei die Suspendierung von X.

«Knie ins Gesicht gerammt»

Aymen Amin flüchtete Ende 2019 aus Algerien in die Schweiz, seit einem negativen Asylentscheid lebt er als Sans-Papiers in Basel. Er werde seit seiner Ankunft immer wieder von der Polizei kontrolliert, sagt Amin. An besagtem Nachmittag im Februar hätten der Polizist X und zwei weitere Beamte einen Freund von ihm angehalten und ihn dabei grob gestossen. Er, Amin, habe X deshalb ermahnt, den Kontrollierten wie einen Menschen zu behandeln. «Er erwiderte, ich würde zu viel sprechen, und befahl mir, auf den Boden zu schauen. Ich antwortete ihm, dass es mein Recht sei, zu sprechen», sagt Amin. «Daraufhin legte er mir Handschellen an und zog diese sehr eng zu.» Dann habe ihn X zum Polizeiauto geführt, einem Tesla.

«Dort rammte er mir sein Knie ins Gesicht, drückte mir mit behandschuhten Händen in die Augenhöhle und die Nasenlöcher und wandte Schmerzgriffe im Gesicht an», sagt Amin. Wenn Personen am Auto vorbeigegangen seien oder wenn der Polizist wegen der ausgeteilten Schläge ausser Atem gewesen sei, habe X die Handschuhe ausgezogen und eine kurze Pause gemacht. Er, Amin, sei erleichtert gewesen, als die anderen beiden Polizisten nach einiger Zeit zum Tesla gekommen seien. «Sie sagten, dass sie mich auf den Posten brächten. Doch X meinte zu mir, dass er mich auf dem Posten weiter schlagen wird.» Die anderen Polizisten hätten nichts dazu gesagt.

Auf dem Polizeiposten Clara sei er in ein Zimmer ohne Kamera geführt worden, so Aymen Amin. Zwei der Polizisten hätten sich an den Computer gesetzt – X habe erneut mit Fäusten, Beinen und Knien zugeschlagen. «Ich musste mich auf den Boden legen, und er hat mir seinen Stiefel auf den Kopf gedrückt.» X habe ihn aufgefordert, sich auszuziehen. «Als ich die Hosen halb ausgezogen hatte, trat er mir in die Genitalien.» Die beiden anderen Polizisten seien die ganze Zeit anwesend gewesen, aber nicht eingeschritten.

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Verängstigte Betroffene

«Damit sich am harten Vorgehen von Politik und Polizei gegen illegalisierte Menschen etwas ändert, müssen Betroffene mit ihren Gewalterfahrungen an die Öffentlichkeit gehen», bilanziert das Komitee «No More», das Aymen Amins Fall dokumentiert hat. Doch viele Betroffene seien traumatisiert und verängstigt – von der Polizeigewalt, aber auch wegen drohender Ausschaffungen.

Bevor die Polizei Amin im Februar gehen liess, habe Polizist X zu ihm gesagt, dass er das nächste Mal den Blick zu senken habe, andernfalls würde er noch schlimmer geschlagen, erinnert sich der junge Mann. Dann rief er einen Freund an, der direkt mit ihm ein Krankenhaus aufsuchte. Der Spitalbericht liegt der WOZ vor: Die untersuchenden Ärzt:innen stellten bei Amin ein Würgetrauma am Hals, multiple Gewebequetschungen, ­«Prellmarken» an der Stirn, Blutergüsse am schmerzenden linken Rippenbogen sowie an den Innen- und Aussenseiten der Oberschenkel fest.

Die Kantonspolizei Basel-Stadt antwortet auf den detaillierten Fragenkatalog der WOZ mit einem kurzen Statement. Man habe «Kenntnis davon, dass gegen genannten Mitarbeiter aufgrund der beschriebenen Vorwürfe eine Anzeige ergangen» sei. Im Falle von Strafverfahren gegen Polizist:innen würden «allfällige personalrechtliche Massnahmen jeweils parallel geprüft». Es gelte für X die Unschuldsvermutung. Auch die Staatsanwaltschaft will sich «aufgrund des Amts- und Untersuchungsgeheimnisses» nicht zum Fall äussern. Rechtsanwalt Roulet bestätigt aber, dass inzwischen ein Strafverfahren gegen X eröffnet worden ist.

«Das Problem ist strukturell»

Das «No More»-Komitee glaubt indes nicht, dass sich die Polizei auf rechtlichem Weg reformieren lässt. «Das Problem ist strukturell, X ist kein Einzelfall.» Bei den Übergriffen in Basel hätten sich auch andere Polizist:innen durch ihre Anwesenheit und ihr Schweigen zu Mittäter:innen gemacht – teilweise hätten sie auch selber Gewalt angewandt. Die WOZ hat ein Transkript mit den entsprechenden Aussagen eines der weiteren Opfer gesichtet. Das Komitee hat zudem Kenntnis von einem fünften Übergriff durch einen anderen Polizisten. «Die aktuellen Fälle sind schockierend», so das Komitee, «sie reihen sich aber in die zunehmend repressiven Entwicklungen in Basel ein, die Armutsbetroffene, Migrant:innen und Sans-Papiers besonders treffen.» Für Samstag ist deshalb eine Demonstration gegen Polizeigewalt geplant.

Anders als noch vor einigen Jahren fahnde die Basler Polizei heute aktiv nach Menschen ohne Aufenthaltspapiere, sagt zudem Katharina Boerlin, Koleiterin der Anlaufstelle für Sans-Papiers Basel, auf Anfrage. Dies bestätigt die offizielle Statistik: Wurden im Jahr 2012 in Basel-Stadt weniger als 100 Menschen wegen «rechtswidrigem Aufenthalt in der Schweiz» angehalten, waren es 2022 bereits 1800, Tendenz stark steigend. Schweizweit blieb die Zahl im selben Zeitraum praktisch stabil.

«Wenn ich Polizeikontrollen sehe, bei der Schwarze junge Männer kontrolliert werden, geht die Polizei da oft mit einem massiven Aufgebot vor, gleichzeitig wird verhindert, dass Zeug:innen zuschauen können», sagt BastA!-Grossrätin Tonja Zürcher. Sie spricht von einer problematischen Grundhaltung gegenüber Migrant:innen. «Basel hat es bisher nicht geschafft, etwas dagegen zu tun.» Das habe auch mit der politischen Grosswetterlage zu tun. Wenn gegen Migrant:innen gehetzt wird und gleichzeitig Polizist:innen geschützt werden, gebe das übergriffigen Polizist:innen Rückendeckung.

Aymen Amin litt nach diesem Tag im Februar mehrere Monate an Hörproblemen auf einem Ohr und an einer schmerzhaften Rippenprellung. Bis heute quälen ihn Albträume, in denen er von Polizist X angegriffen wird. «Wenn ich auf der Strasse einen Polizei-Tesla sehe, löst dies grossen Stress aus», sagt er. Der junge Mann besucht deswegen einen Psychotherapeuten.

Trotz allem will Aymen Amin in Basel bleiben. Er möchte sich dafür einsetzen, dass die Basler Polizei endlich alle gleich behandelt – und dafür, dass die Brutalität gegen illegalisierte Menschen gestoppt wird.

WOZ Peering

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