Swissties take over
Swiftie Livia Grossenbacher über’s Fan-Sein, ihre Swiftie-Wurzeln und (natürlich) darüber, wie sie die Eras-Tour in Zürich erlebt hat.
«Love Story» war mein erster Song von Taylor Swift. Er wurde mir 2008 von einer Klassenkameradin in der grossen Pause per Bluetooth auf mein brandneues eigenes Handy gebeamt, und ich liess ihn von da an glücklich aus den ultra-schlechten Lautsprechern meines Nokias plärren. Das dazugehörige Musikvideo auf YouTube mit Taylor im Prinzessinnenkleid gab mir den Rest: Ich war Fan. Das nächste Album «Speak Now» (2010) erstand ich mit meinem Taschengeld auf iTunes im Vorverkauf.
Taylor Swift toll zu finden, war zu diesem Zeitpunkt (ich war damals in der 6. Klasse, heute bin ich 28 Jahre alt) nicht cool. Zuerst, weil sie mit ihren Country-Alben «Taylor Swift» und «Fearless» in Europa ein Nobody war. Aber auch danach blieb sie dezidiert uncool: 2010 datete sie einen Jonas Brother und wurde spätestens nach ihrem Cameo-Auftritt in «Hannah Montana – The Movie» erstmal in der Kids-Disney-Ecke parkiert. Als sie sich von ihren Country-Wurzeln löste und mit dem Pop-Album «1989» ein neues Home-Genre hatte, wurde sie in den Medien als Seriendaterin und ewige Break-Up-Songwriterin gehandelt. Dann machte Kim Kardashian 2016 in Folge des Kanye-West-Skandals den Hashtag #TaylorSwiftIsOverParty populär, und Swift verschwand für einige Zeit fast komplett von der Bildfläche.
Wenn ich mich an diesem 9. Juli, einem Dienstagabend, von der Bühne wegdrehe und das bis in die hinterste Ecke gefüllte Stadion anschaue, ist das quasi undenkbar. Die Taylor Swift, die heute hier performt, ist Spotifys Number One Artist, gewann als einzige Person in der Musikindustrie vier Grammys für Album of The Year, und bekam 2019 den Billboard Award für Woman of The Decade verliehen. Was für ein Comeback.
Ausgemacht hat den Erfolg vielleicht ihre Genre-Diversifizierung mit den zwei Indie-Alben «Folklore» und «Evermore», vielleicht die positive Presse, die sie durch ihren Aktivismus für die Bezahlung von Musiker*innen auf Streaming-Plattformen erfahren hat. Ganz bestimmt entscheidende Faktoren sind Swifts Geschäftssinn und ihr Talent für Community-Building: Obwohl die Sängerin auch von ihren Fans für ihre offensiven Verkaufsstrategien kritisiert wird, hat sie durch Fan-Aktionen, ihre Präsenz und die Tendenz, ihre Fanbase mit einem kryptischen Hinweis auf ein neues Projekt auf Schnitzeljagd durchs ganze Internet zu schicken, eine Community geschaffen.
Die Swifties, darunter myself, füllen die 48’000 Plätze im Letzigrund und sind in Hochform: Wir sind bunt, kreativ, tolerant, zu einem leicht beängstigenden Grad mit Wissen über Taylor ausgestattet, und absolut ready, nicht nur unsere Lieblingssängerin, sondern auch einander zu hypen. Einher mit dem ikonischen Eras-Armbänder-Tausch (jede Veröffentlichung von Swift steht für eine eigene «Era») gehen immer auch ein paar Sätze Smalltalk und mindestens ein Kompliment über unsere Outfits, die in vielen Fällen selbst gemacht oder sonst sicher sorgfältig durchdacht sind: Vor uns in der Schlange zum Einlass stehen zwei junge Frauen in schwarzen «Reputation»-inspired (so heisst das Album) Fischnetz-Strümpfen und Ostschweizer Dialekt, eines meiner ersten Armbänder tausche ich mit jemandem aus Südafrika in einem Glitzerstein-besetzten «Midnights»-Bodysuit, auf der Damentoilette wäscht sich eine Replik eines Taylor-Swift-Red-Carpet-Looks neben mir die Hände.
Ich, ein rosa Crop-Top-Minirock-Set und Schmetterling-Schmuck im Haar (Na? Welche Era ist das?), erfahre dieses Gefühl zum ersten Mal offline: Die Eras-Tour in Zürich ist trotz 15-jährigem ununterbrochenem Fanstreak mein erstes Taylor Swift-Konzert. Das dürfte für die meisten Swiss Swifties (Swissties?) der Fall sein: Obwohl Taylor Swift auch vergangene Shows international tourte, war sie vor diesem Dienstagabend noch nie auf einer Schweizer Bühne zu sehen. «Ich gebe mein Bestes, um einen guten ersten Eindruck zu machen», grinst sie von einem Hebeelement der Bühne herunter, und erntet eine Portion Fanjubel aus dem Publikum, weil, äh, ja, Taylor, dein erster Eindruck kommt gut an. Natürlich tut er das.
Die Eras-Tour ist die grösste Tournee der Popmusikgeschichte. Die über drei Stunden lange Show beinhaltet 16 Kostümwechsel und eine Setlist mit 46 Songs und wird bis zu ihrem Ende im Dezember 2024 ganze 152 Mal gespielt werden. Als Supporting Acts stehen Grössen wie Gracie Abrahams, Sabrina Carpenter und Paramore auf der Liste. Letztere machen bei unserer Show den Auftakt und bringen uns auch in der prallen Sonne mit «Rose Colored Boy» zum Tanzen.
Das Konzept hinter der gigantischen Hauptshow erklärt Taylor Swift im pink-goldenen Bodysuit mit umgehängter Gitarre nach ihrem ersten Song gleich selbst: «Ihr und ich begeben uns jetzt zusammen auf ein kleines Abenteuer, und dieses Abenteuer umspannt 18 Jahre meiner Musik. Wir werden dafür eine Era nach der anderen machen. Wie klingt das, Zürich?»
Needless to say – das klingt gut. Was haben wir schliesslich für unsere Tickets gekämpft und in der Schlange an der Sonne geschwitzt, um zusammen einmal quer durch die Swift’sche Diskografie geleitet zu werden? Taylor weiss um den Effort: Die Eras-Tour ist so sorgfältig konzipiert wie unsere Konzert-Looks. Vor dem grossen Bildschirm, der das Happening auf der Bühne allen zeigt, die es sonst verpassen würden, bewegen sich Back-Up-Sängerinnen und Tanzcrew konzentriert über die riesige Performance-Fläche, machen nebenbei Crowd-Work und Comedy-Cabaret-Einlagen; sie tun dies mit fast zufällig scheinender Genauigkeit mal einzeln über die Bühne verteilt, mal als Gruppe, mal angeordnet rund um The Woman of The Hour. Die tanzt und lacht mit, schauspielert passend zur Stimmung der Songs, lächelt für die Handy-Kameras der Fans, winkt, sagt «Grüezi, Züri», bedankt sich auf Deutsch, Italienisch und Französisch.
Livia Grossenbacher (sie/ihr) ist berufliche Popkultur-Enthusiastin, Alltagshexe und Sprachliebhaberin. Als Text- und Audiojournalistin berichtet sie über alle gesellschaftlichen und sozio-kulturellen Geschichten, die nicht auf eine halbe Seite passen.
Von meinem Stehplatz in den ersten Reihen aus ist es aber nicht das unendlich hohe Level der Professionalität oder Taylor Swifts krasse körperliche und emotionale Leistung, was mich am meisten fasziniert. Es ist der relativ klischeehafte Moment, in dem ich Taylor Swift direkt vor mir (so ganz ohne Bildschirm) zuschaue, wie sie «Love Story» performt, an das Nokia und meinen Schulhof denke, und sie wahrnimmt, wie wir als Publikum den Song mit ihr singen. Und irgendwie schafft sie es durch Blicke und Mini-Interaktionen, dass es weniger ein Mitsingen und mehr ein zusammen Singen ist. Diese Connection ist simpel, aber macht den Abend fundamental aus: Dieser Song bedeutet uns allen etwas – ein geteiltes Gefühl, eine Erfahrung, oder einfach nur die Tatsache, dass wir jetzt gerade zusammen einen Taylor Swift Song singen.