Uber zerstört die Geschäftsgrundlage unserer Wirtschaft
Wir stillen unseren Hunger mit einer Pizza – und stören und nicht daran, dass der Pizzakurier für einen Hungerlohn arbeiten muss.
Zur Erinnerung: Wir werden durchschnittlich 80 Jahre alt, stehen aber im Schnitt nur etwa 38 Jahre lang im Erwerbsleben. Die restliche Zeit leben wir als Kinder, bilden uns weiter, betreuen unseren Nachwuchs, sind arbeitslos, krank oder gönnen uns einen Sabbatical. Doch immer müssen wir konsumieren.
Wer sorgt in diesen Wechselfällen des Lebens für uns? Früher war das Sache der Familie oder Sippe. Heute übernehmen der Staat und die Sozialwerke fast alles – von der Schulung der Kinder über die Arbeitslosen- und Krankenkasse bis zur obligatorischen Rente.
Die Sozialwerke sind nicht nur für die Armen da. Ohne sie würde unsere Wirtschaft mangels Nachfrage innert Wochen kollabieren. Also zahlen wir auf unseren Lohneinkommen rund 40% an Steuern und Sozialabgaben. Nicht in erster Linie, um anderen zu helfen, sondern damit wir unsere 38 Jahre Arbeitseinkommen auf die ganzen 80 Lebensjahre verteilen können.
«Es gibt globale Unternehmer, die gemerkt haben, dass sie massiv Lohnkosten sparen, wenn sie keine Arbeitnehmer*innen und nur ‹Selbständige› beschäftigen.»
Das geht nicht auf freiwilliger Basis. Es braucht gesetzliche Grundlagen und eine*n Arbeitgeber*in, der*die diese Abgaben kassiert und in die Preise seiner Produkte einkalkuliert.
Das ist die Geschäftsgrundlage unserer sozialen Marktwirtschaft.
Doch nun gibt es globale Unternehmer, die gemerkt haben, dass sie massiv Lohnkosten sparen, wenn sie keine Arbeitnehmer*innen und nur «Selbständige» beschäftigen. Sie loben das als «innovatives Geschäftsmodell».
Und es gibt Leute, die schon froh sind, wenn sie mit ihrem Lohneinkommen wenigstens die laufenden Kosten decken können. Von der Hand in den Mund. Es gibt Kund*innen, die gerne billig Taxi fahren und Politiker*innen, die froh sind, wenn die Arbeitslosenquote nicht noch weiter steigt. Das ist die unappetitliche Gemengenlage, die dafür sorgt, dass weiterhin Pizzakurier*innen als «Selbständige» für Stundenlöhne von 10 Franken brutto unterwegs sind.
Das ist ein perfider Angriff auf die Geschäftsgrundlage unserer Wirtschaft.
«Vom Einspringen des Staats profitiert aber nicht in erster Linie der*die Kurier*in, sondern die Plattform.»
In einer funktionierenden Marktwirtschaft werden die Kosten letztlich von den Kund*innen getragen. In diesem «innovativen Modell» werden die «Nebenkosten» erst auf die Leistungserbringer*innen abgewälzt, und wenn diese sie nicht mehr tragen können, übernimmt sie der Staat. Bis dessen Kasse leer ist.
Faktisch muss also der Staat einen Teil der Lohnkosten übernehmen. Er muss einspringen, wenn diese «Selbständigen» arbeitslos, krank oder alt werden. Davon profitieren aber nicht in erster Linie die Kurier*innen, sondern die Plattform. Nach einer Recherche des «Tagesanzeigers» gehen von 100 Franken für vier Pizzen 70 Franken an die Pizzabäckerin, 8.50 Franken an den Kurier und 21.50 Franken an Uber.
In Stundenlöhnen ausgedrückt dürften das etwa 20 Franken für den Pizzaiolo 10 für die Kurierin und 150 Franken für Uber sein. Die Plattformen sahnen ab, sie werden zum grossen Saugnapf der Gig-Industrie und vergrössern die eh schon viel zu hohe Ungleichheit.
Der Kanton Basel-Stadt könnte Uber bzw. die Plattformen dem Arbeitsgesetz unterstellen, will aber wie alle anderen Kantone ausser Genf, einen «höchstrichterlichen Entscheid» abwarten. Aber hier geht es nicht darum, Paragraphen aus der Zeit vor der Gig-Economy auszulegen. Jetzt steht das Geschäftsmodell unserer Wirtschaft auf dem Spiel. Das ist nicht Sache der Richter. Da muss – endlich – die Politik ran.
Seit Corona setzen viele Beizen auf Lieferservice. Wie geht es eigentlich den Kurier*innen? Wir haben den Check gemacht, das ist unser Ranking.
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Werner Vontobel ist gebürtiger Basler und eine*r der bekanntesten Wirtschaftsjournalist*innen der Schweiz. Auf Bajour bringt er sich regelmässig zu volkswirtschaftlichen Themen, konjunkturpolitischen Grundsatzdebatten und ökonomischen Sinnfragen ein.