Ukrainische Mutter darf nicht nach Basel ziehen
Yuliya flüchtete mit den Kindern aus der Ukraine in die Innerschweiz. Nun will sie für ihren Job nach Basel ziehen – doch das Migrationsamt lehnt den Kantonswechsel ab.
Im März 2022 flüchtete Yuliya zusammen mit ihren beiden Kindern aus der ukrainischen Hauptstadt Kiew in die Schweiz. Unterkunft fand sie in Oberkirch am Sempachersee im Kanton Luzern bei der Familie von Gemeinderat Elias Meier (Mitte). Seit einem halben Jahr wohnt sie nun dort.
Aber: Yuliya arbeitet in Basel. «Von Anfang an hat sich Yuliya um eine Anstellung bemüht», erzählt Elias Meier. In der Ukraine hat sie einen Master-Abschluss in Psychologie und wirtschaftlicher Zusammenarbeit, der in der Schweiz jedoch nicht anerkannt ist. Ende Juni fand sie eine Stelle in der Administration eines Pharmaunternehmens in Basel.
Yuliya wurde aber schnell bewusst: Das tägliche Pendeln von Oberkirch nach Basel ist anstrengend, je nach Fahrplan knapp zwei Stunden von Tür zu Tür. Ihre Kinder, vier und neun Jahre alt, sieht sie so kaum noch. Die naheliegendste Lösung: der Umzug nach Basel.
Nachdem die Probezeit nun vorbei und Yuliya die Festanstellung sicher ist, stellte ihr*e Arbeitgeber*in ihr sogar Unterstützung für eine Wohnung in Basel in Aussicht. Das Problem: Die Behörden lassen sie nicht. Yuliya hat den Aufenthaltsstatus S und wie alle Geflüchteten mit dieser Bewilligung hat der Staat sie einem Kanton zugeteilt, in diesem Fall Luzern.
Den Kanton zu wechseln ist schwierig, wie Yuliya erfahren musste. Der Dienstweg geht so: Yuliya muss ein entsprechendes Formular ausfüllen und an die Taskforce Kantonswechsel Ukraine beim Staatssekretariat für Migration (SEM) einreichen. Das SEM gibt dann das Formular dem «Wunschkanton» weiter, der eine Empfehlung aussprechen darf. Zwar entscheidet am Schluss der Bund, aber das SEM folgt in der Regel der kantonalen Empfehlung.
Yuliyas bekam keine gute Nachricht vom SEM: Sie darf mit ihren Kindern nicht nach Basel ziehen, wo sie arbeitet. Eine Begründung bekam sie keine. Woran es scheiterte, kann auch das Basler Migrationsamt auf Anfrage von Bajour nicht beantworten; man will sich zu Einzelfällen nicht äussern. Yuliyas Gastgeber, Elias Meier, ärgerte sich jedenfalls sehr über die Entscheidung und liess einen entsprechenden Tweet raus:
Der Tweet von Meier sorgte für viel Aufregung – insbesondere, weil Yuliya berufstätig ist. Sie wäre finanziell also nicht mal vom Kanton abhängig. Mehr noch, als Arbeitskraft würde sie sogar ihre Steuern an den Kanton zahlen.
Was die Reaktion auf Meiers Tweet aber auch zeigt: Yuliya ist kein Einzelfall. Die Ablehnung von Kantonswechseln ist in der Schweiz gang und gäbe. Das SRF berichtete erst kürzlich über einen ähnlichen Fall in Schaffhausen.
Elias Meier wird Yuliya zwar helfen, eine Stellungnahme einzureichen, um die Ablehnung des Kantonswechsels anzufechten. «Aber so wie es aussieht, wird es bei diesem Entscheid bleiben», sagt Meier resigniert.
Denn das Asylrecht in der Schweiz ist so ausgelegt, dass quasi ausschliesslich die Familienzusammenführung einen Kantonswechsel möglich macht. Andere Fälle, selbst gut begründete wie der von Yuliya, haben in diesem System wenig Chance. Das Asylrecht hält sie quasi in dem ihnen zugewiesenen Kanton gefangen.
Elias Meier, Gemeinderat Oberkirch LU
Warum ist das Asylrecht so ausgelegt?
Das Basler Migrationsamt erklärt auf Anfrage, dass der Verteilschlüssel für die Kantone entscheidend bei einer proportionalen Verteilung von ukrainischen Geflüchteten ist. Basel-Stadt hat im Vergleich zu anderen Kantonen sogar noch mehr Geflüchtete aufgenommen, als der Verteilschlüssel vorsieht. Deshalb werde der Kantonswechsel «nur zurückhaltend ermöglicht».
Für eine Zustimmung des Kantonswechsels wegen «ausserkantonaler Erwerbstätigkeit» seien die Kriterien des Bundes entscheidend:
- die schutzbedürftige Person bezieht weder für sich noch für ihre Familienangehörigen Sozialhilfe;
- das Arbeitsverhältnis besteht seit mindestens zwölf Monaten oder ein Verbleib im Wohnkanton ist aufgrund des Arbeitsweges oder der Arbeitszeiten nicht zumutbar;
- beide Kantone sind mit dem Kantonswechsel einverstanden.
Das Migrationsamt sagt zwar, dass es «keine starren Kriterien» für die Zumutbarkeit einer Pendeldistanz gebe, grundsätzlich ein Arbeitsweg von rund 90 Minuten dennoch zumutbar sei. Diese Grundsätze führten wohl zur Ablehnung von Yuliyas Antrag.
Auf Twitter wurden unterschiedliche Vorschläge eingebracht, wie Yuliya doch noch näher an ihren Arbeitsort ziehen könnte: beispielsweise als Wochenaufenthalterin. Doch dann kann sie ihre Kinder in Basel nicht einschulen lassen. Sie wird wohl noch einen Antrag in Baselland einreichen, doch Meier schätzt die Chance klein ein, «denn dort hat sie ja nicht mal die Arbeitsstelle, das Vorgehen wird das gleiche bleiben».
Eine weitere Möglichkeit wäre, einen anderen Aufenthaltsstatus zu erlangen, zum Beispiel mittels Arbeitsbewilligung für den Kanton Basel Stadt. Doch auch hier ist Meier pessimistisch: Für Ausländer*innen, insbesondere aus Nicht-EU-Ländern, ist das Erlangen einer Arbeitsbewilligung auch sehr schwer.
Vorerst wird Yuliya also weiterhin den Weg von Oberkirch nach Basel auf sich nehmen müssen. Laut Meier sucht sie nun mit ihren Kindern in Luzern eine Wohnung. Und vielleicht – wenn es nicht mehr anders geht – auch eine neue Stelle. Letzteres wird aber ebenfalls schwierig: «In Basel sind die Möglichkeiten für Berufe, in denen man Englisch sprechen kann, einfach bedeutend besser als in Luzern.»
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