Ukrainische Schiedsrichter-Assistentin: «Ich hoffe, ich muss nicht weinen»
Am Mittwochabend findet im Joggeli das Benefizspiel des FCB gegen Dynamo Kyiv statt. Auf dem Feld steht auch Maryna Striletska, die vor knapp zwei Monaten aus der Ukraine geflüchtet ist.
Im Februar versteckten sich Maryna Striletska und ihre Tochter in der Ukraine vor den russischen Bomben. In der Nacht sassen sie im Flur im Dunkeln, weit weg von den Fenstern. Heute Mittwoch steht Striletska im Joggeli auf dem Rasen. Als Schiedsrichter-Assistentin pfeift sie das Benefizspiel FCB gegen Dynamo Kyiv, zusammen mit den Schweizer Schiedsrichterinnen Esther Staubli und Susanne Küng.
Maryna Striletska freut sich: «Als der Schweizerische Fussballverband mich anfragte, hatte ich Freudentränen in den Augen.»
Striletska ist 38 Jahre alt. Sie ist erst seit ein paar Wochen in Basel. Mitte März ist sie mit ihrer Tochter aus der Ukraine zu ihrer Schwester Eugenia Senik geflohen, die in Basel lebt und als Autorin arbeitet. Für Bajour schreibt sie unter anderem ein Tagebuch über den Krieg. Beim Gespräch mit Bajour übersetzt Eugenia für ihre Schwester, Maryna Striletska hat erst gerade angefangen, Deutsch zu lernen.
Viele wollen zum Frieden beitragen
Viele Ukrainer*innen haben das Bedürfnis, irgendetwas Sinnvolles zu tun in diesem Krieg. Auch Striletska: «Ich kann der Ukraine nicht helfen, da ich keine Soldatin bin», sagt sie im Gespräch mit Bajour. «Aber mit dieser Arbeit als Schiedsrichterin kann ich wenigstens einen kleinen Teil zum Frieden beitragen.»
Sie freut sich sehr auf den Match und die ukrainischen Fussballer. Zwar sei es ihr aus sportlichen Gründen verboten, mit den ukrainischen Spielern in Kontakt zu treten, sagt Striletska, sie könne sich aber vorstellen, dass die Situation für diese sehr hart sei. Sie seien zwar «Männer und im wehrpflichtigen Alter». Durch den Profi-Sport könnten sie aber dem Krieg «entgehen». Ein Dynamo-Spieler habe nach dem Spiel gegen Borussia Dortmund sogar im Fernsehen deswegen geweint.
«Beim Fussball ist man nie alleine»
Striletska wünscht sich ein Spiel ohne Verletzungen und mit viel Respekt. Doch fürchtet sie sich vor etwas: «Ich hoffe, ich muss nicht weinen, wenn ich all die ukrainischen Flaggen sehe».
Das Schöne: «Beim Fussball ist man nie alleine», sagt Striletska. «Es ist ein Mannschaftssport. Auch die Schiedsrichter*innen spielen im Team. Wir werden vielleicht nicht immer so gesehen, aber wir sind das dritte Team auf dem Platz.»
Die Schiris dieser Welt seien wie eine Familie. In welches Land sie auch kommt, Striletska kann sich immer mit dem jeweiligen Fussball-Verband verbinden. Es sei grossartig, was ihr der Job ausserhalb des Fussballs alles ermögliche. «Ich durfte schon in so viele Kontinente reisen und so viele Kulturen kennen lernen.» Dem Schweizerischen Fussballverband dankt sie besonders, dass sie mit so offenen Armen empfangen wurde.
Runden im Stadion
Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet sie ausgesucht wurde, um das Benefizspiel zu pfeifen. Neben Dynamo spielt auch Schachtar Donezk eine Reihe von Benefiz-Matches in ganz Europa. Die beiden Clubs suchen explizit nach ukrainischen Schiedsrichter*innen, die vor dem Krieg geflohen sind.
Am 4. Mai findet um 19 Uhr im Joggeli das Freundschaftsspiel zwischen dem FC Basel und Dynamo Kyiv statt. Die Tickets dazu sind im Ticket- und Fanshop des FCB gratis erhältlich. Eine Person kann maximal sechs Tickets beziehen.
Die Höhe der Spende kannst du selbst wählen. Gespendet wird via QR-Code oder in Bargeld direkt vor Ort. Das gesammelte Geld geht an die Glückskette.
Gourmets können zusätzlich das Benefiz-Dinner buchen. Es wird von Sterneköchin Tanja Grandits und neun weiteren Basler Chefs zubereitet. Serviert in der FCB-Lounge, kostet es 400 Franken pro Person. Für Gourmets mit kleinerem Portemonnaie gibt es im Stadion von Grandits kreierte Hotdog-Variationen für zehn Franken. Alle Erlöse – auch vom konsumierten Bier – fliessen an die Glückskette.
Während der Halbzeit-Pause spielt Sänger Baschi ein kleines Konzert für die Fussball-Fans.
Schon als Kind war Striletska eine Sportskanone. Sie machte Leichtathletik, spielte Tischtennis und Basketball. In ihrer kleinen Heimatstadt Lutuhyne ging sie öfters ins Stadion zum Joggen, wo auch der lokale Fussballverein trainierte. Das weckte ihre Faszination fürs Kicken. Später verliebte sie sich sogar in einen Spieler. Um seine Welt besser zu verstehen, begann sie schliesslich für die Universitäts-Mannschaft von Luhansk zu spielen.
«Geh zurück in die Küche»
Seit 2006 muss in der Ukraine laut Striletska wegen der Gleichstellung in jeder Verbands-Region mindestens eine Frau als Schiedsrichterin tätig sein. Sie wurde angefragt, da sie laut eigener Aussage schnell rennen konnte und die Regeln verstand. Doch zu Beginn musste sie hart um die Anerkennung kämpfen. Sie hörte Sätze wie «Du bist eine Frau, was kannst du?» oder «Geh zurück in die Küche».
«Einmal pfiff ich ein Spiel in eben jenem Stadion, wo ich früher joggte», erinnert sich Striletska. «Der Trainer der gegnerischen Mannschaft beleidigte mich, doch dann kam mein Vater und verteidigte mich.»
Alle halten sich für Experten
Solche Geschichten sind passé. Heute kommt sie einfach aufs Feld und macht ihren Job. Doch Unzufriedenheit bei den Zuschauer*innen komme weiterhin vor. Beispielsweise wüssten viele nicht, dass die Fussballregeln sich hin und wieder änderten und regten sich dann über vermeintliche Fehlentscheide auf.
«Alle meinen, sie sind Fussball-Experten. So wie sich jetzt auch viele als Kriegs-Experten und bis vor Kurzem als Corona-Experten sahen. Jeder hat eine Meinung», sagt Striletska.
Doch darum soll es beim heutigen Spiel nicht gehen. Heute geht es darum, mit Fussball ein Zeichen gegen den Krieg zu setzen und eine metaphorische Fahne des Friedens zu tragen.
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