«Wir Bürgerlichen schaffen es nicht, dass unsere Frauen gewählt werden»

Patricia von Falkenstein ist «La Grande Dame» der LDP. Pünktlich zum Frauen*streik redeten wir mit der Parteipräsidentin und Grossrätin über das Frauen*problem der Bürgerlichen.

Patricia von Falkenstein schlug dieses Porträtbild vor, weil es ihr «Temperament» zeige.
Patricia von Falkenstein schlug dieses Porträtbild vor, weil es ihr «Temperament» zeige. (Bild: Christian Jaeggi )

Kürzlich hat Bajour über Helvetia ruft geschrieben, eine Kampagne, die sich für mehr Frauen* in der Politik – und in Basel an den Grossratswahlen im Herbst einsetzt (aktuell sind 66 von 100 Grossrät*innen Männer). Danach meldete sich Patricia von Falkenstein bei der Redaktion und kritisierte, ihre Liberal-Demokratische Partei LDP komme im Artikel nicht vor. Wir packten die Chance und trafen die Parteipräsidentin anfangs Juni zu einem Gespräch über die Bürgerlichen und ihr Frauen*problem.

Patricia von Falkenstein, im Herbst sind kantonale Wahlen. Was macht die LDP, um mehr Frauen* zu gewinnen?

Wir fördern Frauen nicht speziell. Das heisst, wir organisieren keine speziellen Anlässe für Frauen, haben keine Frauengruppe und keine Quote – auf den Wahllisten haben wir auch nie fifty-fifty Frauen und Männer. Und trotzdem hat die LDP auf ganz natürlichem Weg konstant Politikerinnen, die kandidieren wollen und auch gewählt werden und zwar schon seit Jahrzehnten. Das ist der Punkt.

Das heisst, die LDP hat eigentlich keine Gleichstellungsstrategie.

Was heisst schon Gleichstellungsstrategie? Wenn es um Wahlen geht, fragen wir auch bewusst Frauen an, ob sie kandidieren wollen. Und wir kümmern uns um Themen, die mit Gleichstellung zu tun haben. Aber wir haben keinen Paragraphen, welcher der Partei vorschreibt, sich speziell für Frauen einzusetzen.

Nur 3 der 15-köpfigen LDP-Grossratsfraktion sind Frauen. Wenn Sie nächsten Monat zurücktreten und Michael Hug für Sie nachrückt, sind es noch 2 Frauen. Sind das genug?

Es sind nicht viele Frauen, ich hätte gerne mehr. Aber manchmal bin ich ratlos, wie mehr Frauen in den Grossen Rat gewählt werden könnten.

Mehr Frauen* auf die Liste setzen, vielleicht? Bei den Wahlen im Jahr 2016 waren nur 30 Prozent der LDP-Kandidat*innen weiblich.

Ich bin mir nicht sicher, ob die Anzahl der Frauen auf den Listen den grossen Unterschied macht. Der springende Punkt ist, ob die Frauen auch gewählt werden.

Das Grüne Bündnis ist am weiblichsten.
Das Grüne Bündnis ist auf den Wahllisten am weiblichsten. (Bild: Staatskanzlei BS)

Aber wenn man Frauen* auf die vordersten Listenplätze setzt, werden sie eher gewählt.

Das ist nicht erwiesen. Die FDP hat das vor vier Jahren gemacht – es wurde keine einzige FDP-Frau direkt in den Grossen Rat gewählt. Mich würde es freuen, wenn die Bevölkerung den Frauen mehr Stimmen geben würde. Bei den Linken klappt das, rotgrün hat fast gleich viele Frauen wie Männer im Grossen Rat. Aber irgendwie schaffen wir Bürgerlichen es nicht, dass unsere Frauen gewählt werden.

Wählen denn bürgerliche Wähler*innen tendenziell Männer?

Das kann ich nicht beurteilen, da es keine Auswertungen dazu gibt. Aber wenn wir sehen, dass wir mehr Männer in der Fraktion haben, muss das ja so sein. Und das, obwohl wir immer viele parteiübergreifende Stimmen bekommen; ich erhalte zum Beispiel sehr viele Stimmen von anderen Parteien.

Sie machten das beste Resultat der Fraktion. Aber Sie sind als Präsidentin auch das Aushängeschild der Partei. Die anderen LDP-Frauen kennt man weniger.

Das ist nicht wahr. Wir haben beispielsweise die Grossrätinnen Catherine Alioth und Lydia Isler-Christ. Oder Emélie Dunn, die Vizepräsidentin der Jungliberalen und Nicole Strahm, Präsidentin der LDP Riehen/Bettingen.

Aber keine hat Ihr Format. Warum baut die LDP nicht mehr Politikerinnen Ihres Kalibers auf?

Wir hatten schon immer gute Frauen – denken Sie an die Alt-Nationalrätin Christine Wirz-von Planta oder Maria Iselin, die ehemaligen Präsidentinnen und Grossrätinnen. Die LDP ist die Partei, welche die meisten Präsidentinnen hatte – die SP hatte bisher nur eine, Brigitte Hollinger, und die ist nach kurzer Zeit wieder zurückgetreten.

«Muss ich aus reinem Pflichtbewusstsein Regierungsrätin werden? Nein, ein Mann würde das auch nicht machen.»
Patricia von Falkenstein

Aber schauen wir uns die Regierungsratswahlen im Herbst an. Es war ein riesiges Hin und Her, bis die Bürgerlichen – SVP ausgeschlossen – sich endlich auf eine Frau einigen konnten. Und dann kommt die LDP mit einer Kandidatin, Stephanie Eymann, die in Basel kaum bekannt ist.

Mich wundert Ihre Frage doch sehr, es werden ständig Frauen gefordert und wenn wir dann eine Frau aufstellen, ist es auch wieder nicht recht, da offenbar zu wenig bekannt. Wir führen laufend Gespräche mit Frauen im Hinblick auf diverse Ämter. Der Zeitpunkt muss aber für diese Frauen stimmen. Stephanie Eymann stand der LDP schon immer nahe, hat die letzten Jahre aber im Baselbiet gelebt und politisiert. Aber jetzt ist sie wieder zurück in der Stadt, wo sie aufgewachsen und studiert hat. Sie ist eng verbunden mit der Stadt. Sollen wir ihr sagen, du darfst nicht kandidieren, du musst noch warten? Abgesehen davon ist es nicht so, dass sie nicht bekannt wäre.

Wenn die LDP in den letzten Jahren zwei, drei super Kandidatinnen aufgebaut hätte, müsste Frau Eymann jetzt vielleicht noch ein paar Jahre die Ochsentour machen, ja. Das wäre doch nichts Negatives, dann hätte die Basis eine breite Auswahl an Kandidatinnen.

Was verstehen Sie unter aufbauen? Es ist schwierig, den Frauen geeignete Plattformen dafür zu geben. Ich habe viele gute Frauen angefragt. Die Gründe, weshalb sie nicht wollen, sind verschieden. Die einen sagen, ihre Karriere im Job sei ihnen wichtiger. Andere sagen, die Kinder seien noch zu klein, sie wollen noch ein paar Jahre warten. Ich verstehe jeden einzelnen Grund.

Einmal fragen reicht vielleicht nicht, vielleicht muss man mehrere Male nachhaken?

Selbstverständlich mache ich das, sogar mehrfach. Aber irgendwann sage ich auch: Das sind erwachsene Frauen, die können ihre eigenen Entscheidungen fällen. Das respektiere ich.

Willst du dem generischen Maskulinum ein Sternli aufsetzen?

Wieso wollten Sie selbst nicht Regierungsrätin werden?

Einerseits bin ich jetzt lange in der Politik gewesen, nächstes Jahr werde ich 60 Jahre alt. Und ein Regierungsamt ist nicht etwas, das man nach zwei, drei Jahren abgeben kann – um das Departement und die Mitarbeitenden kennenzulernen und etwas zu erreichen, sollte man mindestens acht Jahre lang bleiben.

Ich möchte lieber meine Ehrenämter weiterhin pflegen, meine Eltern regelmässig besuchen, mal spontan zu meiner Tochter nach Bern fahren. Das könnte ich als Regierungsrätin definitiv nicht. Also stellte ich mir die Frage: Muss ich aus reinem Pflichtbewusstsein Regierungsrätin werden? Und sagte: Nein, ein Mann würde das auch nicht machen. Ausserdem möchte ich lieber in den Nationalrat nachrücken, falls Christoph Eymann irgendwann zurücktritt.

Christoph Eymann war schon in den 90er-Jahren Nationalrat, dann Regierungsrat und jetzt zum zweiten Mal wieder Nationalrat. Könnte er Ihnen nicht bald einmal Platz machen?

Ich verstehe Ihre Forderung nicht. Christoph Eymann ist einer der profiliertesten Politiker Basels, das ist seine Entscheidung. Die neue Legislatur hat auch eben erst begonnen, es gibt keinen Grund jetzt zurückzutreten. Unsere Partei funktioniert eben nicht so, dass er nun Platz machen muss, weil ich als Frau nachrücken könnte.

Sie sind für Ihre Partei ein Trumpf und ich frage mich, ob der Trumpf richtig gespielt wird: Sie kandidierten für den Ständerat, als sehr wahrscheinlich war, dass Eva Herzog gewinnt. Beim Nationalrat sind Sie auf der Warteliste. Wann sind Sie dran?

Politik ist kein Spiel, bei dem jeder frei entscheiden kann, was er wann machen möchte. Die Ständeratskandidatur war wichtig und richtig. Es wäre doch eher seltsam gewesen, sich nicht zur Verfügung zu stellen, nur weil wir davon ausgehen mussten, nicht zu gewinnen. Es war Zeit, dass sich endlich eine bürgerliche Frau für dieses Amt zur Verfügung stellt. Falls Christoph Eymann in Zukunft als Nationalrat zurücktreten würde, nehme ich das Amt gerne an. Wenn nicht, wird mir ganz bestimmt nicht langweilig.

Beat Jans von der SP hat zugunsten von Eva Herzog auf eine Ständeratskandidatur verzichtet.

Dies wohl eher unter Druck und nicht freiwillig.

«Einige der linken Frauen sind nach kürzester Zeit wieder weg. Das ist schade und für den Rat nicht hilfreich.»
Patricia von Falkenstein

Ist das typisch Frau*, dass man noch andere Pläne hat als Karriere?

Vielleicht hat es mehr Frauen, die Zeit haben wollen für Freundinnen, Reisen und andere Hobbys. Viele Frauen arbeiten Teilzeit, obwohl sie keine Kinder haben. Und wissen Sie: Ich möchte keine Listenfüller auf der Liste – weder Männer noch Frauen. Ich möchte Kandidaten, die sich wirklich engagieren.

Sind die Frauen bei den Linken Listenfüllerinnen?

Nein, nicht Listenfüllerinnen, aber es fällt auf, dass es bei den linken Parteien immer wieder Frauen gibt, die gewählt werden, weil sie Frauen sind. Einige sind dann nach kürzester Zeit wieder weg. Das ist schade und für den Rat nicht hilfreich.

An wen denken Sie?

Lea Steinle, Barbara Wegmann, nicht zuletzt Mirjam Ballmer.

Gut, Mirjam Ballmer ist ja in Fribourg auch im Grossen Rat.

Ja, ich versteh das, wenn man sich für Familie und Job in einer anderen Stadt entscheidet. Oder wenn wegen der Familienplanung oder einem Jobwechsel für die Politik keine Zeit mehr bleibt. Aber für die Partei ist das nicht gut. «Meine» Frauen kandidieren, wenn sie sich sicher sind. Und dann bleiben sie dabei. Ich wüsste nicht eine, die nach kürzester Zeit wieder abgesprungen ist. Und wir politisieren ja nicht schlechter, nur weil wir weniger Frauen haben.

Aber Sie verlieren Einfluss in der Familienpolitik. Traditionell haben bürgerliche Politikerinnen die Familienpolitik stark geprägt. Heute gilt Familienpolitik als linke Sache.

Das meint man höchstens, weil die Linke will, dass der Staat alles bezahlt. Dies wollen wir dezidiert nicht und dann sieht es so aus, als ob wir Bürgerlichen gegen Familien sind. Dabei stehen auch wir für Familien ein, wir wollen einfach, dass die Menschen sich auch selber soweit möglich organisieren – in allen Bereichen. Viele bürgerliche Frauen engagieren sich sehr stark ehrenamtlich in diesem Bereich, ich auch. Meine ganze Zeit fliesst neben der Politik in die Familienarbeit und das ehrenamtliche Engagement.

Letzte Frage: Was machen Sie am 14. Juni, am Datum des Frauen*streiks?

Letztes Jahr war ich weg, sonst wäre ich sicher gegangen.

Eine bürgerliche Frau am Frauen*streiktag?

Ja, wieso denn nicht? Meine Nachbarin wollte mich abholen. Ich fand es gut, wie friedlich der Tag war, wie viele verschiedene Gruppen mit verschiedenen Anliegen es hatte. Und man sieht, was der Streik bewirkt hat.

Was hat er bewirkt?

Dass so viele Frauen in National- und Ständerat gewählt wurden, haben wir sicher auch dem Frauenstreik vom letzten Jahr zu verdanken. Niemand kam um dieses Ereignis herum, weder die Medien, noch die Bevölkerung. Das gab einen Schub.

Und was machen Sie dieses Jahr?

Was ich sicher mache, ist das: Eine Slideshow von LDP-Frauen auf der Homepage. Das Profil dieser Frauen ist beeindruckend. Das haben wir schon letztes Jahr gemacht. Gut, dass Sie mich daran erinnern.

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Davor: Chefredaktorin im Lokalmedium meines ❤️-ens (Bajour), TagesWoche (selig), Gesundheitstipp und Basler Zeitung

Kann: alles in Frage stellen

Kann nicht: es bleiben lassen

Liebt an Basel: Mit der Familie am Birsköpfli rumhängen und von rechts mit Reggaeton und von links mit Techno beschallt zu werden. Schnitzelbängg im SRF-Regionaljournal nachhören. In der Migros mit fremden Leuten quatschen. Das Bücherbrocki. Die Menschen, die von überall kommen.

Vermisst in Basel: Klartext, eine gepflegte Fluchkultur und Berge.

Interessensbindungen:

  • Vorstand Gönnerverein des Presserats
  • War während der Jugend mal für die JUSO im Churer Gemeindeparlament. Bin aber ausgetreten, als es mit dem Journalismus und mir ernst wurde.

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