Dani gegen Goliath
Er steckt hinter allen aufsehenerregenden linken Kampagnen der Schweiz: Daniel Graf. Nun hat er quasi im Alleingang den Sieg über das E-ID-Gesetz herbeigeführt. Wer ist der rastlose Wahlbasler?
Keine drei Sekunden und Daniel Graf hat das Steuer an sich gerissen. «Weisst du, was ich super fände?» Ich weiss es nicht, aber ahne, dass auch ich es super finden werde. «Ein Bajour-Tiktok-Jugendkanal! Von und für Jugendliche! Die fahren total auf das ab!» Jeder Satz ein Ausrufezeichen. Kein megalomanisches, kein streberhaft-eifriges, kein selbstverliebtes. Ein aufrichtig begeistertes.
Daniel Graf redet mit dem Enthusiasmus eines Kindes und dem Vokabular eines Erwachsenen, dessen Berufung es ist, andere für seine Anliegen zu begeistern. Eine irre Mischung. Und eine professionalisierte. Nach zehn Minuten Telefongespräch hat mich Daniel Graf überzeugt, auch wenn mir Tiktok wenig sagt. Ich hänge auf, mit dem Gefühl, einem sehr sympathischen Vertreter aufgesessen zu sein. Daniel Graf, vertretend: Daniel Graf. Eigentlich war es nur darum gegangen, ein Treffen für dieses Porträt aufzugleisen.
Wie passe es denn gleich heute Nachmittag, hatte er gesagt, er habe ohnehin nicht so Lust zu arbeiten. Wer sich auch nur ein bisschen über Daniel Graf schlau macht, weiss: Reine Koketterie. Dieser Mann geht mit jeder Faser seines Körpers in seiner Arbeit auf. Später im Gespräch wird er erzählen, wie er immer wieder in den roten Bereich gehe, die Frage danach, wie er abschaltet, wird er fast nicht zu verstehen scheinen. Halt mal Handy weglegen und gut ist.
Ohne Graf kein Referendum
Aber erstmal Vorstellung: Daniel Graf, genannt Dani. Ebenfalls genannt: Nerd, Netzaktivist, Verlierer. Vergangenen Sonntag hat sich die Liste um einen Namen erweitert: David. Der Mann, der gegen den millionenschweren Goliath namens E-ID gewonnen hat. Natürlich war es die Stimmbevölkerung, die mit 64.4% Nein zur Privatisierung des digitalen Passes gesagt hat. Aber ohne Daniel Graf, das sagen verschiedene Sachkundige, hätte es kein Referendum gegeben.
Wer ist der Mann, der ohne Verbände und grosse Organisationen im Rücken, mit 300’000 Franken Kampagnenbudget fast zwei Drittel der Schweizer Wähler*innen dazu brachte, für seine Überzeugung zu stimmen?
Beginnen wir beim Nerd. Die erste Anekdote, die Dani Graf an diesem Nachmittag in der Sonne am Rhein erzählt, ist aus seiner Schulzeit: Ein Klassenkamerad nannte ihn Eierkopf. Graf war sehr verletzt, die Beleidigung hat er bis heute nicht vergessen. Ihn störe nicht der Begriff, sondern die Assoziation: Ein Nerd, der alleine im Kämmerchen mit einer peniblen Besessenheit nischigen Dingen nachgeht. «Das bin ich nicht!»
Das Bild des eigenbrötlerischen Pedanten passt wirklich nicht zu ihm. Wer sich in seinem beruflichen Umfeld umhört, kriegt immer wieder zu hören: Dani Grafs grösste Stärke ist seine Fähigkeit, komplexe Dinge runterzubrechen und für ein breites Publikum verständlich zu machen. Als 2016 im Zürcher Hauptbahnhof tausend Zehnernötli echtes Geld verteilt werden, um auf die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen aufmerksam zu machen, ist Daniel Graf Kampagnenberater der Initiative.
Als 2018 eine Gruppe Menschen mit Plakaten vor dem Hauptsitz der CSS Versicherungen in Luzern auftaucht, auf denen ein Auge mit einem Aufnahmeknopf als Iris zu sehen ist – ein Bild, das später durch alle Schweizer Medien geht – ist Dani Graf einer der Kampagnenleiter. Als aus dem komplexen E-ID-Geschäft des Bundesrats die Kernbotschaft gelöst wird (Wollen wir wirklich, dass Banken und Versicherungen unsere Daten verwalten?) und das Bild des Schweizer Passes ins Spiel kommt, ist Hauptverantwortlicher der Referendumskampagne: Daniel Graf.
«Ich kenne niemanden, der diese Übersetzungsleistung besser beherrscht als er», sagt Grafs Geschäftspartner Che Wagner, der seit der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen mit ihm zusammenarbeitet. Graf bringe immer wieder Unangenehmes an die Oberfläche, suche aber gleichzeitig nach konstruktiven Lösungswegen. Konstruktiv bedeutet: realpolitisch.
Graf passte nirgends rein. In der Zürcher Besetzer*innenszene war er der Nerd mit der Mac-Kiste, in der Politikszene der Studi, an der Uni der Aktivist.
Dabei ist Graf kein Politiker, sondern Aktivist. Auch dieses Label mag er nicht. Er habe nirgends reingepasst, sagt er. «Aber ich wollte es auch nicht. Kennst du den Film ‹The Breakfast Club›? Ich habe jeden von denen verstanden!» In der Zürcher Besetzer*innenszene ist er der Nerd mit der Mac-Kiste, der seinen Freund*innen das Internet zeigt («zeigt, nicht erklärt. Dafür bin ich zu wenig Nerd»), in der Politikszene ist er der Studi, an der Uni der Aktivist. Er studiert Geschichte, arbeitet danach eine kurze Weile als Journalist.
Dann wird er Parteisekretär der Grünen der Stadt Zürich und ein paar Jahre später Sprecher von Amnesty International. Etappen, die ihn anscheinend perfekt auf das vorbereiten, was er heute ist: Selbständiger Berater, Träger politischer Kampagnen, Kopf hinter der Stiftung für direkte Demokratie, der ersten Crowd-Stiftung der Schweiz. Die auch die Plattform WeCollect unterhält, die digitale Werkzeuge für die Lancierung von Referenden und Initiativen gratis zur Verfügung stellt.
Hauptsache Machen
Ausserdem sorgt er für Nachwuchs. 2015 startete er sogenannte Campaign Bootcamps, wo junge Politaktivist*innen in fünf Tagen das Kampagnenhandwerk lernen sollen. Abgänger*innen sagen, sie hätten nie wieder so viel über Campaigning gelernt, wie an diesen fünf Tagen. Jeden Tag gibt es ein Thema, etwa Theorie, Strategie, Medienarbeit oder Online-Kommunikation. Man lernt, wie Pitches an die Medien formuliert werden müssen – indem man eine Liste mit Nummern von Journalist*innen bekommt, die abtelefoniert werden müssen. Learning by doing, anders geht es nicht. Bei jungen Campaignern schaue er auf zwei Dinge, sagt Graf: Kritikfähigkeit und Machfähigkeit. Man müsse Kritik geben und nehmen können. Und machen. Hauptsache Machen.
In all seinen Funktionen bleibt Dani Graf laut Erzählungen immer derselbe: Der, der ständig rumrennt, hohe Erwartungen hat, treibend und mitreissend ist, aber auch selbstkritisch und fordernd. Spürt er, dass eine Entscheidung nicht passt, wird sie so lange diskutiert, bis wirklich alle mit ganzem Herzen dabei sind. Wenn nicht, wird sie wieder verworfen, auch wenn sie kurz zuvor noch als wesentlicher Teil der Strategie galt. Graf ist keiner, der sich lange mit Ballast aufhält.
Er ist keiner, der sich lange mit Ballast aufhält. Passt eine Entscheidung nicht, wird sie kurzerhand über Bord geworfen.
«Er ist sehr anspornend», sagt Philippe Kramer. Der 21-jährige Basler und Klimaaktivist ist Grafs Zögling, seit er sich vor zwei Jahren direkt nach der Matura beim Verein hinter der Plattform WeCollect beworben hatte. Graf gibt ihm viel Verantwortung – beim E-ID-Referendum etwa war er als Kampagnenkoordinator tätig – und Kramer liefert: Letzten Herbst vermochte er die Mehrheit des Nationalrats vom Stimmrechtsalter 16 zu überzeugen. «Überall sonst hätte ich für diese Chance jahrelang Stufe für Stufe die Karriereleiter hinaufklettern müssen.» Aber wo frische Energie sei, da wolle auch Dani sein. Er verlange viel von den Menschen, die mit ihm arbeiten. «Aber wegen dem Ziel, nicht aus Prinzip.»
Was ist denn Daniel Grafs Ziel? «Ganz klar: die Welt retten», sagt er und lacht. Er hat anderthalb Stunden lang ohne Pause erzählt, es ging um das Jugendhaus in Bachenbülach, sein erstes Refugium, um seine Zeit beim Militär und die sechs Monate als freiwilliger Helfer im Bosnienkrieg. Um seine Bewunderung für Sibylle Berg, seine Bewunderung für die Klimabewegung, seine Bewunderung für seine beiden Söhne. Darum, dass er wenig Freund*innen in Basel hat. Dass die Wurzeln fehlen. Um Demokratie und wie Demokratiebildung ein Schulfach sein sollte. Ums Putzen, das er gar nicht mag – und um Star Wars. Meister Yoda. «So ein bisschen sehe ich mich ja als Meister Yoda.» Der Satz kommt ein paarmal. Der alte, etwas entrückte Meister, der weise im Zentrum waltet, aber nicht mittendrin steht. Er sei schliesslich nicht mehr der Jüngste, «und ich kenne keine Campaigner über 50.»
Graf ist jetzt 48. Besorgt klingt er nicht.