«Engelberger und Weber übernehmen keine Verantwortung»
SP-Nationalrätin und Gewerkschaftlerin Samira Marti über nicht gehaltene Versprechen gegenüber dem Pflegepersonal und weshalb die Exekutive und die Mitteparteien jetzt dringend mehr tun müssen als Schöggeli verteilen.
Samira Marti, Sie kritisieren die mangelnde Wertschätzung gegenüber den Pflegenden. Was fordern Sie konkret?
Zuerst einmal fordere ich eine Corona-Prämie für die Pflegenden. Sie haben wegen der Pandemie in den letzten Monaten einen ausserordentlichen Einsatz geleistet. Der muss entlöhnt werden - und zwar mit mehr als nur einem Blumenstrauss oder einem Schöggeli.
Aber die gab es doch bereits? Das Kantonsspital Baselland hat Prämien, das Unispital hat Lohnerhöhungen für Pflegende auf der Intensivstation und auf der Notaufnahme ausgesprochen.
Ja, aber im Kantonsspital Baselland nur für die Mitarbeitenden, die besonders viel Kontakt zu Covid-19-Patienten hatten. Im USB gab es keine Prämien und auch keine nachhaltige Lohnentwicklung.
Samira Marti ist SP-Nationalrätin fürs Baselbiet und Präsidentin des VPOD Region Basel.
Auf den Intensivstationen ist der Mangel an ausgebildetem Personal am grössten.
Die Intensivpflegenden waren ja nicht die einzigen, die Ausserordentliches geleistet haben. Alle Beteiligten haben eine Prämie verdient.
Wie hoch soll die konkret sein?
Mindestens ein paar hundert Franken. Den genauen Betrag müssten wir mit den Sozialpartnern aushandeln. Aber Schoggi reicht nicht. Ausserdem hat der Personalmangel ja nicht nur mit Corona zu tun.
«Gerade jetzt in der Pandemie merken die Menschen zwar, wie relevant die Pfleger*innen sind, aber auch, wie schlecht sie behandelt werden.»
Wo liegt das Problem?
Die Arbeitsbedingungen sind schlecht. Die Pfleger*innen arbeiten unter massivem Zeitdruck, kriegen dafür viel zu wenig Lohn. Junge Leute überlegen sich zweimal, ob sie wirklich diesen Beruf wählen sollen. Das ist katastrophal, wir laufen auf einen weiterwachsenden Personalmangel zu.
Aber wenn der Personalmangel so gross ist, müsste man als Eltern den Kindern doch sagen: Werde Pfleger*in, dann hast du immer Arbeit.
Nein, das passiert nicht. Im Gegenteil. Gerade jetzt in der Pandemie merken die Menschen zwar, wie relevant die Pfleger*innen sind, aber auch, wie schlecht sie behandelt werden.
Normalerweise ist es doch so: Je grösser der Personalbedarf in einer Branche, desto höher die Löhne.
Im Gesundheitswesen funktioniert der Markt nicht. Wenn der Arbeitsmarkt funktionieren würde, wären die Löhne längst gestiegen. Aber wir brauchen jetzt dringend eine nachhaltige Lohnentwicklung.
Warum ist das so?
Gesundheit ist kein privates Gut. Es ist Service Public und darum Aufgabe der öffentlichen Hand, sie zu gewährleisten. Wir können nicht darauf verzichten. Es geht um nichts weniger als die öffentliche Sicherheit, wir können es uns nicht leisten, wegzuschauen.
«Wie viel Gesundheit wollen wir und wie viel darf sie uns kosten. Dieser Diskussion verwehren wir uns schon zu lange.»
Sie haben in der «Basler Zeitung» ziemlich ausgerufen. Ihre Kritik richtete sich an die Gesundheitsdirektoren der beiden Basel, Thomas Weber (SVP) und Lukas Engelberger (CVP). Was haben sie verbrochen?
Weber hat im Frühling gegenüber der bz gesagt, die Löhne müssen steigen. Doch seither ist dieses Versprechen in der politischen Alltagskakophonie untergegangen. Am Schluss müssen wir als Gesellschaft entscheiden: Wie viel Gesundheit wollen wir und wie viel darf sie uns kosten. Dieser Diskussion verwehren wir uns schon zu lange, und zwar auf Kosten des Personals.
Aber die Spitäler sind ausgelagert. Die Regierung wählt den Verwaltungsrat, aber der entscheidet nachher über Löhne und so weiter. So steht es in den Gesetzen.
Lose Sie, Frau Fopp. Wenn Regierungsrat Thomas Weber eine Anhörung mit dem Verwaltungsrat des Kantonsspitals Baselland verlangt und denen sagt: «Wir haben ein Problem, das müssen wir lösen. Wir sind politisch bereit, mehr Geld zu investieren und die Löhne anzuheben.» Dann sage ich Ihnen: Kein einziges Mitglied des Verwaltungsrats wird sich wehren.
Aber Engelberger und Weber tun das nicht?
Offensichtlich nicht. Sie sagen zwar, die Pflegenden seien ihnen wichtig. Aber sie übernehmen keine Verantwortung, sondern zeigen auf die Institutionen und sagen: Die sind zuständig.
Die Regierungsräte sind die Exekutive. Sie führen den Willen des Parlaments aus. Sie sind SP-Nationalrätin, Sie sind VPOD-Präsidentin. Ist es nicht Ihr Job, bessere Bedingungen für die Pflegenden einzufordern?
Natürlich, man kann als Parlament die Regierung beauftragen. Entsprechende Vorstösse sind in den Parlamenten beider Basel auch hängig. Aber Sie wissen es so gut wie ich: Wenn das Parlament Vorstösse einreicht, geht es Monate, bis etwas passiert. Thomas Weber und Lukas Engelberger sind es, die den wirksamen Schritt machen können, um das Ganze zu beschleunigen. Das wäre wahre Leadership. Und es braucht die bürgerliche Mitte und die FDP. Wenn die auf ihre Regierungsräte zugehen und bessere Bedingungen für die Pflegenden fordern würden, wäre eine Lösung möglich. Das hat man ja bei der Dreidrittelslösung für Geschäftsmieten gesehen, die in Baselland gegen den Widerstand der Regierung durchkam.
Sind den bürgerlichen Politiker*innen die Pfleger*innen ebenso wichtig wie die KMU, die von der Dreidrittelslösung profitieren?
Das müssen Sie sie selbst fragen.